Gesundheit ist subjektiv
Was ist psychosoziale Gesundheit und wie kann man sie fördern? Mit diesen Fragen beschäftigten sich zwei Vorträge am 1. Tag der psychosozialen Gesundheit.
Ängste werden bei einer Bedrohung von Grundbedürfnissen wie Sicherheit, Orientierung oder Zugehörigkeit entwickelt. Um sich mit ihnen auseinanderzusetzen, könne das Resilienzkonzept als hilfreicher Reflexionsrahmen dienen, regte Kappes an. Dieses Konzept geht von der Annahme aus, dass Menschen mithilfe bestimmter Schutzfaktoren leichter Krisen bewältigen können; sie sind resilienter.
Im ersten Schritt im Rahmen dieses Modells ist es notwendig, die gegebene Situation zu akzeptieren. Eine optimistische, gleichzeitig realistische Grundeinstellung erleichtert die Fokussierung auf die Problemstellung und die Übernahme von Verantwortung für den Fortgang der Dinge. Sie hilft, die Opferrolle zu verlassen. Dies erfordert die Fähigkeit zur Selbstreflexion, um Lösungen zu entwickeln. Resiliente Menschen haben eine Zukunftsorientierung und pflegen verschiedene soziale Bindungen.
Führungskräfte könnten diese Resilienzfaktoren nutzen, um sich ein Bild von belasteten Mitarbeitenden zu machen. Zum einen könne man anhand dieser Faktoren über die Neigung einer Person reflektieren: Handelt es sich um einen lösungsorientierten Menschen, oder begreift er oder sie sich eher als Opfer? Welche Grundeinstellung liegt vor? Übernimmt die Person Verantwortung? Diese Überprüfung von Einstellungen funktioniere auch auf Teamebene, so Kappes. Kommunikation mit dem Team und dem Einzelnen sei der Schlüssel, wenn es darum gehe, Resilienzfaktoren in Erfahrung zu bringen.
Ängste und Sorgen sollten ernst genommen werden, sie dürften nicht heruntergespielt werden, warnte Kappes. Das heisse nicht, dass man als Führungskraft therapeutisch wirken sollte. Wichtig sei es aber, frühzeitig Veränderungen zu bemerken, wenn Mitarbeitende belastet sind und Ängste entwickeln.
Psychische Belastungen könne man häufig an Veränderungen im Arbeits- und Leistungsverhalten erkennen: Die Fehlerquote erhöht sich vielleicht, Unpünktlichkeit stellt sich ein, Verbindlichkeit ist nicht mehr gegeben, oder die Person zieht sich zurück oder zeigt aggressives Verhalten. Blieben diese Veränderungen über einen längeren Zeitraum bestehen, könnten sie erste Hinweise auf eine Belastung sein. Alarmierend sei aber auch, wenn sie kurzfristig stärker ausgeprägt ausfielen, beispielsweise als starke Stimmungsschwankungen, abwehrendes Verhalten, gleichgültige Äusserungen, auffälliger Alkohol- oder Tablettenkonsum oder gar als suizidale Absichten zeigende Verhaltensweisen.
Kappes empfiehlt für den konkreten Umgang mit belasteten Mitarbeitenden das so genannte HILFE-Konzept (siehe Abbildung oben). Er trifft dabei eine klare Unterscheidung: Als Führungskraft wirke man nicht als Therapeut.
Führen bedeute immer auch Fordern. Gleichzeitig müsse man die betroffene belastete Person unterstützen. Dazu brauche es zunächst einen Dialog, in dem die beobachteten Veränderungen thematisiert werden (Hinsehen) und Hilfsmöglichkeiten erörtert werden.
Wenn die Führungskraft feststelle, dass sich auf Basis dieses Dialogs keine Änderung einstellt, sei es notwendig, die Initiative zu ergreifen und erneut auf die belastete Person zuzugehen und mit ihr die Situation zu besprechen, um herauszufinden, ob es Resilienzfaktoren und Ressourcen gibt, mit denen sie sich selbst helfen kann. Auch hierbei müsse deutlich bleiben, dass man die Führungskraft sei und kein Therapeut.
Die Leitungsfunktion werde wahrgenommen, wenn der Person vermittelt wird, dass eine Verbesserung der Situation erwartet wird, und zwar ggf. mit Hilfe externer Hilfsangebote. Führen bedeute auch, die Person nicht zu sehr zu schonen und ggf. ihre Leistungsfähigkeit in Frage zu stellen. Die Führungsarbeit muss abwägen zwischen Fordern und Unterstützen.
Als Gesprächsleitfaden empfiehlt Kappes eine Bestandsaufnahme der beobachteten Auffälligkeiten zu notieren und fürsorglich an die belastete Person heranzutreten, beispielsweise mit einer Einleitung wie: «Ich habe diese oder jene Veränderung wahrgenommen. Ich mache mir Sorgen um Sie.» Der Veränderungsbedarf sollte deutlich formuliert werden. Vorhandene Hilfsangebote sollten unterbreitet werden können. Auch Konsequenzen bei Nicht-Veränderung sollten benannt werden. Über Vereinbarungen und regelmässige Folgetermine – bei hoher Brisanz in kurzen Abständen – kann sichergestellt werden, dass die belastete Person das Thema ernst nimmt und aktiv wird. Eine Einsicht des Gegenübers in das Problem sei im ersten Schritt noch nicht notwendig, so Kappes. Wichtig sei es, Erwartungen deutlich zu formulieren, Hilfesysteme anzubieten und Verhaltensänderung einzufordern.
Wenn Menschen Lebensmüdigkeit signalisieren, solle dies unbedingt ernst genommen werden, wobei die eigenen Grenzen klar gesteckt werden müssten. Gegebenenfalls solle man sich selbst Rat in solchen Fällen holen - nicht zuletzt beim eigenen Vorgesetzten. In akuten Fällen, in denen man die Person nicht mehr sich selbst überlassen könne, ohne dass man befürchten müsse, dass sie sich selbst oder anderen etwas antue, sei eine konsequente Intervention notwendig, beispielsweise durch Begleitung in eine psychiatrische Behandlung oder notfalls durch Rufen der Polizei.
Das Ziehen von Grenzen in solchen Akutsituationen kann eine schwierige Gratwanderung sein. Kappes nennt folgende Anhaltspunkte für Situationen, in denen die Abgrenzung gefährdet ist:
Quelle: Vortrag von Markus Kappes: «Führen von Mitarbeitenden mit Ängsten» am 8. Dezember 2021 im Rahmen der Veranstaltung #CreateHealth der B·A·D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH.
Alle Vortragsvideos der Veranstaltung (bis 15.Januar 2022 verfügar)
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