Perspektivenwechsel

Donnerstag, 26. September 2024 - Karen Heidl, Simon Bühler
Die Fähigkeit der Emotionsregulation senkt nicht nur die Risiken von Gewalteskalationen, sondern führt zu erfolgreicheren Interaktionen und verbesserter Dienstleistungsqualität. Die Arbeitspsychologin Andrea Fischbach erklärt im Gespräch mit Penso, warum diese Kompetenz im Arbeitsleben so wichtig ist.

In ihren Forschungen sind Gewalterfahrungen am Arbeitsplatz und Emotionsregulierungen wiederkehrende Schwerpunkte. Als Leiterin des Fachgebiets Sozial-, Arbeits- und Organisationspsychologie an der Deutschen Hochschule der Polizei verfügt Prof. Dr. Andrea Fischbach über entsprechend fundierte Expertise. «Gewalt kommt in vielen Berufen vor. Es ist aus der Sicht des Arbeitsschutzes und der Arbeitsgesundheit ein grosses Thema.»

Dabei unterscheidet sie zwischen der alltäglichen Gewalterfahrung und der ausserordentlichen Gewalterfahrung, die als lebensbedrohlich und folglich traumatisch erlebt wird. «Traumata sind so definiert, dass in der Situation die eigene Unversehrtheit oder die eines Menschen, den ich direkt beobachte, bedroht bzw. gefährdet ist.» In der täglichen Interaktion mit Menschen können in Konflikt- und Stresssituationen Diskussionen in verbale oder gar körperliche Gewalt eskalieren, wenn sich einer oder beide Kommunikationspartnerinnen missverstanden, respektlos oder ungerecht behandelt fühlen.

Emotionsarbeit zur Stressreduktion

Das Gefühl des Ärgers erzeugt Stress, der sich nicht nur negativ auf das eigene Befinden auswirkt, sondern auch ein gezieltes Agieren verhindern kann. «Es ist eine Anforderung für Menschen, die mit professionellen Interaktionen ein Arbeitsziel verfolgen, in bestimmten Situationen einerseits gut mit den eigenen Emotionen und andrerseits auch gut mit den Emotionen des anderen umzugehen. Dieses souveräne Verhalten gegenüber den eigenen und den Emotionen des anderen – das ist Emotionsarbeit.» Präzise definiert die Wissenschaftlerin Emotionsarbeit als eine Aktivität, mit der man das eigene emotionale Erleben bewusst beeinflusst, um eine Interaktion zielführend und möglichst positiv zu gestalten. Dies kann ein Mittel der Prävention von Gewalterfahrungen sein. Gelungene Emotionsarbeit wirkt sich aber auch direkt auf die Wahrnehmung der Qualität einer Dienstleistung durch Kundinnen und Kunden aus.

«Ich bin ein Fan der Idee des transformationalen Services.» Dabei gehe es darum, die Rahmenbedingungen für Dienstleistungssituationen – dazu gehören für Andrea Fischbach auch Interaktionen mit Behörden und Polizei – so zu gestalten, dass es gar nicht erst zu einer Eskalation komme. Zur Illustration führt Andrea Fischbach ein Beispiel aus: Wenn ein geplanter Flug ausfalle und die Fluggesellschaft nur eine Person abstelle, um die Situation mit den Fluggästen zu lösen, dann sei der Stress psychologisch gesehen vorprogrammiert; dieser könne vielleicht sogar in Gewalt eskalieren. «Diese Dienstleistungssituation ist nicht gut gestaltet, denn die Kundinnen und Kunden brauchen eine schnelle Orientierung. Wie weiter? Möglicherweise muss man dafür sorgen, dass Grundbedürfnisse der Fluggäste befriedigt sind, sie müssen die Möglichkeit haben, etwas zu trinken, zu essen und irgendwo bequem warten zu können. Das sind alles Dinge, die der einzelne dienstleistende Mensch in der Interaktion nicht unbedingt selbst steuern kann.» Diese Begleitumstände hätten auch Einfluss auf die Emotionsarbeit – sie können Interaktionen erleichtern oder eben erschweren.

Rollenbild als Dienstleister klären

Bei der Emotionsregulierung müssten die Dienstleistenden den Kundinnen und Kunden immer einen Schritt voraus sein: «Sie sind die Profis für Interaktionsarbeit», erklärt Andrea Fischbach. «Ich kann von einem Kunden nicht erwarten, dass er weiss, wie man höflich fragt. Ich kann es natürlich wünschen, aber es ist auch eine Frage der eigenen Professionalität, dessen Perspektive zu übernehmen.» Wichtig sei in diesem Zusammenhang, sich das eigene Rollenbild bewusst zu machen: «Bin ich hier, um meine Organisation gut zu vertreten oder um dem Kunden das Gefühl zu geben, dass er bei uns gut aufgehoben ist, oder um gemeinsam mit dem Kunden zu überlegen, wie diese schwierige Situation gelöst werden kann?» Das eigene Rollenverständnis ist hier zwar von grosser Bedeutung; allerdings müssen den Akteuren auch die Rahmenbedingungen gegeben werden, um das Problem zu lösen, was etwa in dem Beispiel des ausgefallenen Flugs bedeuten würde, dass adäquate Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Auch Erholung, sogenannte Detachments, sei ein wichtiger Faktor der Emotionsregulationen. «Der Umgang mit Eskalationen ist professionelle, anspruchsvolle Arbeit, aber zum Teil wird in Organisationen so getan, als ob diese einfach selbstverständlich ist», kritisiert Andrea Fischbach die mancherorts anzutreffende mangelnde Anerkennung der hohen Anforderungen.

Zur Person

Prof. Dr. Andrea Fischbach ist Arbeits- und Organisationspsychologin und leitet das Fachgebiet Sozial-, Arbeits- und Organisationspsychologie an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören «Emotionsarbeit in Dienstleistungsberufen», «Emotionen in Führungsinteraktionen und bei der Teamarbeit» und «Arbeitsgesundheit von Organisationsmitgliedern».

Emotionsregulierung und Team-Interaktion

Andrea Fischbach weiss aus ihren Beobachtungen der Polizeiarbeit, dass soziale und psychologische Unterstützung im Team ein wichtiger Faktor für die psychische Gesundheit der Einzelnen ist. Auch ein gemeinsam geteiltes Verständnis über den Umgang mit Kunden und das gemeinsame Selbstverständnis als Dienstleistende schaffe Sicherheit und schütze vor Überforderung. Die entsprechenden Haltungen und Werte prägen die Unternehmenskultur.

Kultur versteht die Wissenschaftlerin als die real gelebten Werte einer Organisation. Diese müssten nicht immer identisch sein mit denjenigen, die eine Organisation für sich selbst explizit reklamiere. Die Kultur zeige sich in der miteinander geteilten Wahrnehmung der Mitarbeitenden über das, was in der Organisation wertgeschätzt wird. «Wir Forschenden fragen in unseren Studien, ob man sich wirklich darum kümmert, dass die Qualität der Dienstleistungen erbracht wird, ob Fortbildungen durchgeführt werden, ob Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden und die Zufriedenheit der Kundschaft wirklich Top-Prioritäten sind. Wir denken, dass sich auf Basis einer solchen Bestandsaufnahme empirisch zeigen lässt, ob ein positives Klima für Emotionsarbeit und Dienstleistungskultur besteht.»

Eine besondere Rolle spielten dabei die Führungspersonen, die die Anforderungen an Emotionsarbeit im Blick haben müssten. Sie könnten durch Gespräche und Nachfragen die belasteten Mitarbeitenden unterstützen oder auch punktuell selbst in schwierige Situationen eingreifen. Dabei dürfe man allerdings den belasteten Mitarbeitenden nicht das Gefühl geben, unfähig zu sein. Das sei dysfunktionale soziale Unterstützung. Gute Lösungen sollten immer gemeinsam gesucht werden, empfiehlt Andrea Fischbach.

«Emotionsregulation ist zentral für
unser Wohlbefinden.»

«Das nennen wir dann befähigende Führung. Es ist essenziell, dass Führungskräfte über alle Führungsebenen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeitenden auch leisten können, was von ihnen erwartet wird, dass sie die richtigen Leute auswählen und dass die organisatorischen Rahmenbedingungen die Leistungserbringung unterstützen. Wenn ein Mensch einer Arbeitsbelastung ausgesetzt ist, die nicht legitim ist, weil sie vermeidbaren Stress verursacht, dann ist dies Organisationsversagen.»

Personalverantwortliche müssten daran mitwirken, entsprechende, menschenzugewandte Charaktere mit emotionaler Intelligenz für Führungsaufgaben zu rekrutieren und regelmässig weiterzubilden.

Perspektivenwechsel trainieren

Konzepte für Weiterbildungen gebe es in der klinischen Psychologie. Hier seien verschiedene Ansätze vorhanden, emotionale Regulation zu trainieren, die vergleichbaren Vorgehensweisen folgten, erklärt Andrea Fischbach. In einem ersten Schritt gehe es darum, die eigenen Emotionen wertfrei wahrzunehmen, um dann in einem weiteren der auslösenden Situation nachzugehen. Die Auslöser negativer Emotionen seien häufig Konstellationen, in denen die eigenen Ziele behindert würden. Diese Erkenntnisprozesse seien gar nicht so einfach zu erlernen.

Literaturempfehlung

Fischbach, Andrea: Gewalt als Arbeitsanforderung. In: 21. Workshop Psychologie der Arbeitssicherheit und Gesundheit. Gewalt in der Arbeit verhüten und die Zukunft gesundheitsförderlich gestalten. 2020. S. 1–8. 

«Es geht bei dieser Bewusstmachung nicht darum, sich die Situation positiv zu denken. Stattdessen ist zu überlegen: Was ist denn das beim anderen, was jetzt zu meinem Gefühl des Ärgers geführt hat? Vielleicht weiss die Person gar nicht, dass sie meine Ziele oder meine Grenzen nicht respektiert. Die einfachsten Hypothesen sind manchmal die wahrscheinlichsten. Oder vielleicht hat das Gegenüber einen guten Grund, sich zu ärgern, dann kann man einfach einmal nachfragen, was einem vielleicht ermöglicht, die Perspektive zu ändern und die Situation neu zu bewerten.» Erst wenn man die Perspektive des Gegenübers kenne, könne man sie auch besser beeinflussen. Auf diese Weise schaffe man Wirksamkeitserfahrung für sich selbst und auch für andere. «Und diese macht uns in der Arbeit zufriedener», schliesst Andrea Fischbach.

Auch Körpersprache gebe wichtige Signale, um Situationen zu beeinflussen. Andrea Fischbach nennt dazu ein Beispiel aus einer konkreten Deeskalationssituation, in der Eigensicherung die wichtigste Regel darstellt. So sei es in einer Situation, in der man beispielsweise angebrüllt werde, ratsam, körperlich auf Abstand zu gehen. Damit signalisiere man gleichzeitig, dass kein Widerstand beabsichtigt sei: Man lässt sich auch verbal nicht provozieren und versucht gar nicht erst, sein Ego durchzusetzen. «Der Ansatz ‹Wer am lautesten schreit, hat zum Schluss gewonnen› ist eben nicht professionell.» Ein solches Verhalten könne man sehr gut trainieren, das erfahre sie immer wieder aus der Polizeiarbeit. «Emotionsregulation ist zentral für unser Wohlbefinden. Eine gesunde Emotionsregulation fördert die psychische und körperliche Gesundheit.»

Take Aways

  • Die Emotionsregulation ist entscheidend für erfolgreiche Interaktionen und die Dienst­leistungsqualität, insbesondere in Berufen, die potenziell mit Gewalt konfrontiert sind.
  • Eine gute Emotionsarbeit kann helfen, Stress­situationen zu entschärfen, und dient als Prävention gegen Gewalterfahrungen, indem
    sie Eskalationen vorbeugt.
  • Es ist wichtig, dass Dienstleistende ihr Rollenbild klären und professionelle Interaktionsarbeit leisten, um Kundenzufriedenheit und Sicherheit zu gewährleisten.
  • Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle in der Förderung von Emotionsarbeit und sollten ihre Mitarbeitenden durch unterstützende Massnahmen stärken, ohne sie dabei zu entmündigen.
  • Emotionsregulation kann trainiert werden und fördert sowohl die psychische als auch die körperliche Gesundheit der Mitarbeitenden, indem sie Stress und Konflikte reduziert.

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