Die Digitalisierung verändert (fast) jeden Beruf

Montag, 27. Mai 2024 - Judith Yenigün
Die Post beschäftigt Mitarbeitende aus 141 Nationen, mit 84 unterschiedlichen Sprachen und in über 100 verschiedenen Berufen. Das Management soll noch diverser werden, wie Valérie Schelker im Interview erklärt. Bei der Rekrutierung setzt die Post auf neue Formate wie Active Sourcing, auf Lohntransparenz und sie investiert in die Berufsbildung.
Valérie Schelker, als Leiterin Personal und Mitglied der Konzernleitung einer der grössten Arbeitgeberinnen der Schweiz sind Sie quasi exemplarisch mit der ganzen Bandbreite relevanter HR-Fragen konfrontiert. Was sind für Sie persönlich aktuell die drei dringlichsten HR-Themen?

Ein Topthema ist der Fachkräftemangel. Der Arbeitsmarkt wird heute in vielen Berufen von den Arbeitnehmenden dominiert. Die Anforderungen an die Unternehmen ändern sich rasch und tiefgreifend. Wer Talente gewinnen und halten will, muss spannende und sinnstiftende Aufgaben anbieten, Entwicklung ermöglichen und auch neue Wege gehen in der Rekrutierung.

Zweitens sehen wir einen Trend zu mehr unfall- und krankheitsbedingten Absenzen. Für uns als Arbeitgeberin ist zentral, dass die Mitarbeitenden psychisch und physisch gesund bleiben. Darum investieren wir viel in die Prävention und in eine gesunde Führung. Wir haben bei der Post vielfältige gesundheitsfördernde Angebote für alle Berufsgruppen und wir engagieren uns stark für die Reintegration von verunfallten oder erkrankten Mitarbeitenden. Denn die Erfahrung zeigt: Je länger die Abwesenheit, desto schwieriger ist die Rückkehr an den Arbeitsplatz.

Ein drittes Thema ist der tiefgreifende und schnelle Wandel der Arbeitswelt. Die Digitalisierung verändert (fast) jeden Beruf! Gleichzeitig entstehen neue Aufgaben – und damit sind oft auch neue Fähigkeiten gefragt. Ich sehe das als Herausforderung und gleichzeitig als Chance. Die Post begleitet die Mitarbeitenden auf diesem Weg mit Schulungs- und Beratungsangeboten. Parallel wandelt sich das Führungsverständnis – Mitarbeitende befähigen, coachen und in ihrer Entwicklung zu unterstützen wird immer wichtiger. Gleichzeitig tragen auch die Mitarbeitenden eine Verantwortung für ihre berufliche Laufbahn, indem sie sich mit ihrer Zukunft auseinandersetzen und so fit bleiben für die Arbeitswelt von morgen.

Sie haben den Fachkräftemangel erwähnt. Welche Strategie verfolgen Sie, um geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten?

Wir haben bei der Post über 100 verschiedene Berufsbilder. Bestimmte Jobs sind vom Fachkräftemangel stärker betroffen als andere – nicht nur in Bereichen wie der IT, sondern auch bei PostAuto oder in der Zustellung. Für uns ist zentral, die Vielzahl an attraktiven Berufsbildern bei der Post noch bekannter zu machen. Neben fairen und fortschrittlichen Arbeitsbedingungen setzen wir auf eine bewegliche Unternehmenskultur und ein werteorientiertes Führungsverständnis. Wir bieten spannende Arbeits­inhalte sowie bedürfnisgerechte Weiterbildungsmöglichkeiten. Bei der Rekrutierung testen wir neue Formate oder sprechen potenzielle Kolleginnen und Kollegen mit Active Sourcing direkt an. Und wir investieren in die Berufsbildung: Als drittgrösster Ausbildungsbetrieb bildet die Post schweizweit rund 1900 Lernende in 19 Berufen aus. Zum Beispiel im neuen Lehrgang «Entwickler:in digitales Business EFZ», den wir wesentlich mitentwickelt haben. Über 60% unserer Lernenden setzen ihren beruflichen Weg bei der Post fort – damit gewinnen wir in Zeiten des Fachkräftemangels jährlich rund 400 gut ausgebildete junge Fachpersonen.

Die Post gibt in ihren Stelleninseraten die mögliche Lohnspanne an. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen und welches Zwischenfazit ziehen Sie?

Wir engagieren uns für faire Anstellungsbedingungen und damit für Chancengleichheit. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine transparente Lohnsystematik, die mögliche Lohnungleichheiten schon zu Beginn der Anstellung verhindert. Die Maxime lautet: Die Mitarbeitenden haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Wir sind überzeugt, dass der Lohn nicht von der Verhandlungsstärke der Stellensuchenden abhängen darf, sondern nach stringenten Kriterien festgelegt werden muss. Die Lohntransparenz in Jobinseraten entspricht auch einem Bedürfnis vieler Bewerbender. Wir machen damit gute Erfahrungen und erhalten mehrheitlich positive Rückmeldungen.

Seit Corona hat sich das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitsbedingungen deutlich verstärkt. Die Post will bis 2030 ihre Büroflächen deutlich reduzieren. Welche Grundsätze prägen Ihre Homeoffice-Strategie?

Die Büroarbeit hat sich in der Tat stark verändert. Deshalb bündeln wir unsere Büroflächen bis 2030 an zwölf zentral gelegenen Standorten in der ganzen Schweiz. Die Bürohubs sind zeitgemäss ausgestattet und sie stehen bereichsübergreifend allen Mitarbeitenden offen. Die gemeinsame Arbeit im Büro bleibt für uns zentral. Denn persönliche Begegnungen sind eine wichtige Voraussetzung für eine starke Unternehmenskultur, gemeinsames Lernen, Innovation und damit auch für den unternehmerischen Erfolg. Ergänzend dazu bieten wir flexible Arbeitsorte, Arbeitszeiten und Arbeitsmittel an. Mitarbeitende können auch von zu Hause aus, an einem anderen Bürostandort der Post, beim Kunden oder während der Zugfahrt arbeiten. Leitprinzipien geben Orientierung für die Zusammenarbeit: Mit den Kunden im Fokus entscheiden die Teams gemeinsam mit ihren Führungspersonen, welche Aufgaben sie wo, wie und wann am besten erfüllen können.

Mit dem Homeoffice-Trend halten auch regelmässige Online-Meetings Einzug. Diese «Meeting-Flut» wird inzwischen von vielen Arbeitnehmenden als ineffizient und belastend empfunden. Welche Meeting-Praxis erwarten Sie diesbezüglich von Ihren Mitarbeitenden und Führungskräften?

Die digitale Transformation ermöglicht nicht nur neue Formen der Zusammenarbeit, sondern stellt uns auch viele neue Kanäle und Instrumente zur Verfügung. Diese Möglichkeiten effizient und sinnvoll zu nutzen, ist eine Herausforderung. Wir fördern eine Kultur, in der wir Zeit und Ressourcen bewusst einsetzen. Das ist nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern hat auch einen grossen Impact auf die Gesundheit. Gleichzeitig setzen wir auch bei diesem Thema auf Eigenverantwortung, denn unsere Mitarbeitenden in den Büroberufen haben vielfältige Möglichkeiten, die eigene Arbeitszeit mitzugestalten.

Das Thema Diversität ist in aller Munde. Welche Massnahmen verfolgen Sie, um insbesondere in Kaderpositionen den Frauenanteil und die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu fördern?

Mit 141 Nationen, 84 verschiedenen Sprachen und über 100 verschiedenen Berufen sind wir als Post ein Abbild der vielfältigen Schweiz. Im Management haben wir noch einen Weg zu gehen: Wir haben aktuell 22% Frauen in leitenden Funktionen und 19% Personen, die eine andere Landessprache als Deutsch sprechen. Das Thema hat für uns als Post hohe Priorität: Vielfältige Teams treffen bessere Entscheidungen und sind ein wichtiger Hebel für den unternehmerischen Erfolg. Deshalb wollen wir den Anteil Frauen in Führungspositionen bis Ende 2030 auf 30% steigern, bei den nicht Deutsch sprechenden Führungspersonen liegt die Ambition bei 23%. Dafür haben wir verschiedene Hebel: Wir achten in der Rekrutierung auf ausgeglichene Shortlists und schreiben Stellen so aus, dass sie auch Frauen und nicht Deutschsprechende ansprechen. Weiter gestalten wir die Arbeitsbedingungen so, dass die Mitarbeitenden ihren Beruf mit ihrem Privatleben besser vereinbaren können, zum Beispiel durch Flexibilität beim Arbeitsort oder neue Führungsmodelle wie zum Beispiel Topsharing und Co-Leitungen. Wir schulen und sensibilisieren unsere Mitarbeitenden und Führungspersonen für das Thema, setzen ambitionierte Ziele und messen den Fortschritt regelmässig.

Axa Schweiz hat beschlossen, die Titel aus dem Organigramm und von den Visitenkarten zu entfernen. Was halten Sie von solchen Hierarchie-Abbaumassnahmen? Ist dies auch bei der Post ein Thema?

Bei der Post verzichten wir schon lange auf Titel, wie zum Beispiel Direktor in der Anrede. Wir pflegen eine Kultur der Zusammenarbeit auf Augenhöhe und begegnen uns im Alltag per Du. Entscheidend ist die Aufgabe im Unternehmen, nicht die Zugehörigkeit zu einem Gremium wie einer Geschäftsleitung oder die Position in der Hierarchie. Unsere Lohn- und Kaderpolitik ist konzernweit einheitlich – gleiche Arbeit wird gleich bewertet und gleich vergütet. Hinzu kommt, dass verschiedene Unternehmensbereiche agil arbeiten und Rollen von Personen auf ganz unterschiedlichen Positionen besetzt sein können.

2024 steht politisch unter dem Zeichen verschiedener Reformen in der Altersvorsorge. Wie stehen Sie persönlich dazu, über das Referenzalter hinaus zu arbeiten?

Dies ist eine sehr persönliche Entscheidung. Aktuell haben wir rund 1000 Mitarbeitende, die über das ordentliche Pensionsalter hinaus für die Post tätig sind, die meisten davon in einem Teilzeitpensum. Wir schätzen die umfangreiche Erfahrung der älteren Mitarbeitenden. Zudem sind sie eine wertvolle Ergänzung, nicht zuletzt auch wegen des Fachkräftemangels in verschiedenen Berufen.

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