Kommentar: Chronik eines angekündigten Todes

Montag, 23. September 2024 - Kaspar Hohler
Die BVG-Reform wird von zwei Dritteln der Bevölkerung verworfen. Das hat sich bereits abgezeichnet, als das Parlament die Vorlage verabschiedete. Ein Kommentar vom Chefredaktor der Schweizer Personalvorsorge.

Santiago Nasar wird sterben. Das weiss in Gabriel Garçia Marquez‘ Roman das ganze Dorf – ausser dem Mann selber. Dass die BVG-Reformvorlage sterben wird, sprich an der Urne durchfallen wird, wussten nicht alle, aber doch die meisten bereits, als sie im März 2023 vom Parlament verabschiedet wurde.

Die Befürworterinnen und Befürworter gaben sich redlich Mühe, die Vorteile der Reform hervorzustreichen. Selbst sie behaupteten aber nicht, dass dies ein wirklich gutes Paket sei. Mit echtem Feuer verteidigte niemand die Vorlage, während die Gegner mit deutlich mehr Verve unterwegs waren und ja, auch mit zweifelhaften Zahlen und Behauptungen.

Nicht jede Reform des BVG ist eine Totgeburt. Schwer krank kommt aber jede zur Welt: Unverständlichkeit liegt der 2. Säule in den Genen.

Nicht jede Reform des BVG ist eine Totgeburt. Schwer krank kommt aber jede zur Welt: Unverständlichkeit liegt der 2. Säule in den Genen. Und wenn dann ein Kompromiss an die Urne kommt, dessen Folgen für die eigene Vorsorge nicht einmal Spezialisten wirklich abschätzen können, haben die Gegner leichtes Spiel. Die falschen AHV-Zahlen waren nicht entscheidend, sie machten nur noch aus einem klaren Nein ein komplettes Desaster für die Befürworter.

Wenn dem Aspekt der Verständlichkeit nicht Sorge getragen wird, ist – wie im aktuellen Fall – das traurige Ende an der Urne gewiss. Die Vorlage war überladen. Die Erweiterung der versicherten Löhne allein wäre vielleicht vermittelbar gewesen, trotz des hohen Preises für das Gewerbe. Die zusätzliche Senkung des Umwandlungssatzes mit einem beliebig wirkenden Kompensationsmechanismus bescherte der Vorlage jedoch von Beginn weg das Schicksal Santiago Nasars.

Die Verständlichkeit ist im Übrigen auch ein Grund, weshalb eine Reformvorlage nicht zwingend besser herauskommen würde, wenn sie nicht von der Politik, sondern von der Branche selber gezimmert wird: Was für Fachleute schlüssig ist, muss es für die Bevölkerung nicht sein. Pauschale Elemente oder Zuschläge können den Weg zum Erfolg an der Urne frei machen, auch wenn sie Kennern der 2. Säule ein Graus sind.

Wird im nächsten Reformanlauf wieder so munter drauflos gebastelt wie bei der nun versenkten Reformvorlage, so drohen dem BVG nicht 100 Jahre Einsamkeit, um ein weiteres Werk von Marquez zu zitieren, aber 100 Jahre Reformstau. Immerhin wissen sich die einzelnen Pensionskassen zu helfen. Die Anpassung an die moderne Arbeitswelt und die gesellschaftlichen Realitäten ist in den meisten Vorsorgeeinrichtungen bereits viel weiter gediehen, als das BVG-Obligatorium es vermuten lässt. Das Gesetz mag stehenbleiben, die Pensionskassen machen vorwärts.

Die Reform ist tot, es lebe die 2. Säule!

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