Vom Gender Pension Gap, der keiner ist
Frauen haben durchschnittlich tiefere Renten aus der berufliche Vorsorge als Männer. Fragt sich, ob tatsächlich das Geschlecht für diesen Unterschied verantwortlich ist.
Gleichbehandlung ist ein massgebender, in Art. 8 BV verankerter Grundsatz unserer Rechtsordnung. Danach ist Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Sachliche Gründe, z.B. biologische oder familienpolitische, können somit eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Nicht ausser Acht gelassen werden darf aber, dass der Gesetzgeber bislang auch weitere Kriterien, so insbesondere finanzielle oder weltanschauliche, berücksichtigt. Im Sozialversicherungsrecht haben sich verschiedenartige Ungleichheiten – berechtigte und auch unberechtigte – bis heute erhalten.
Das gesetzliche Rentenalter ist nach geltender Rechtslage für Frau und Mann unterschiedlich hoch. Historisch betrachtet ist dies auf alt Art. 22 AHVG (in der Fassung vom 1.1.1948) zurückzuführen, der für den Anspruch auf Ehepaarrente für Männer das Alter 65 Jahre und für deren Ehefrau 60 Jahre vorsah. Ansonsten galt damals für beide Geschlechter das gleiche
Rentenalter 65. In der Folge wurde unter dem Aspekt der Gleichbehandlung aller Frauen das Rentenalter für diese generell auf 62 Jahre gesenkt, um es im Zuge des Gleichstellungsziels schrittweise wieder auf 64 Jahre zu erhöhen. Ob das ungleiche Rentenalter für Mann und Frau noch gerechtfertigt ist, ist – wie schon dazumal – zu hinterfragen. Biologische Gründe werden in der Diskussion ums tiefere Rentenalter der Frau heute kaum mehr geltend gemacht. Als Rechtfertigung wird u.a. auf die nach wie vor existierenden – aber jenseits der AHV liegenden
– Diskriminierungen im Erwerbsleben und die für manche Frauen bescheidene berufliche Vorsorge hingewiesen.
Die Besserstellung der Witwe gegenüber dem Witwer mit Bezug auf die einen Unterhaltsersatz bezweckenden Hinterlassenenrenten beruht auf der nach altem Eherecht geltenden Rollenverteilung zwischen Mann (Erwerbstätigkeit) und Frau (Haushaltführung). Denn auch die Witwe, die bei der Verwitwung keine rentenberechtigten Kinder und das 45. Altersjahr
sowie eine fünfjährige Ehedauer zurückgelegt hat, kann – dies gilt auch für die Lesben- im Gegensatz zur Schwulenehe (siehe Artikel Bürgi) – eine Witwenrente beanspruchen. Nicht so aber
der kinderlose Witwer.[1] Für ihn besteht die Schlechterstellung zudem im Erlöschen des Rentenanspruchs, wenn das jüngste Kind mündig wird. Angesichts der Tatsache der hierzulande hohen Frauenerwerbsquote [2] und der Bestreitung des Lebensunterhalts durch beide Ehepartner ist diese auf dem Konzept der Versorgerehe beruhende Ungleichbehandlung nicht mehr zeitgemäss. So erleidet heutzutage auch der Witwer durch den Einkommenswegfall der erwerbstätig gewesenen Ehefrau einen Unterhaltsverlust. Eine Angleichung der Leistungsvoraussetzungen ist – unter Berücksichtigung des durch Art. 13 Abs. 1 BV geschützten Privatlebens sowie der in Art. 163 Abs. 2 ZGB garantierten freien Rollenverteilung – daher
geboten.
Weiter ist eine familienstatusbezogene Ungleichbehandlung festzumachen zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren, da letzteren gesetzlich keine Hinterlassenenrenten zustehen. Doch auch bei dieser Form der Lebensgemeinschaft entsteht beim Tod des Partners ein Unterhaltsverlust, da in der Regel diverse gemeinsame Lasten vom Paar gemeinsam finanziert werden. Diese Ungleichbehandlung knüpft an den objektiven Unterschied zwischen Ehe und Konkubinat an, nämlich die fehlende gegenseitige gesetzliche Unterhaltspflicht. Auch würde bei einer ausschliesslichen Anknüpfung an den Unterhaltsverlust die Ehe mit ihren gesetzlichen Rechten und Pflichten gegenüber dem Konkubinat benachteiligt, was wohl nicht im Sinne von Art. 14 BV liegen dürfte. Schwer praktikabel für eine Massenverwaltung dürfte wohl auch die Abklärung des konkreten, im Konkubinat frei gestaltbaren und veränderbaren Paarverhältnisses und des Unterhaltsverlusts sein, was ein Eindringen in die verfassungsmässig geschützte Privatsphäre erfordern würde.
Eine fragwürdige Benachteiligung der Ehe gegenüber dem Konkubinat hat sich – aus finanziellen Gründen – hinsichtlich der Plafonierung der Ehepaarrente auf 150% des Höchstbetrags der Altersrente (Art. 35 Abs. 1 AHVG) erhalten. Ungerechtfertigt erscheint die Plafonierung insbesondere deshalb, weil im Gegensatz zu der früher beitragsbefreiten nichterwerbstätigen Ehefrau heutzutage oft beide Ehepartner erwerbstätig und beitragspflichtig sind. Auch mit Bezug auf die Zuteilung von Erziehungsgutschriften wird dem nicht verheirateten Elternpaar Gestaltungsfreiheit bei der Zuteilung eingeräumt, während dem Ehepaar unabhängig der tatsächlich gelebten Kinderbetreuungsaufgabe je die Hälfte gutgeschrieben wird (Art. 52f AHVV).
Während im Beitragsrecht geschlechterbezogene Ungleichbehandlungen in der obligatorischen Sozialversicherung abgeschafft sind, konnte sich in der 1. Säule bis heute eine familienstatusbezogene Ungleichbehandlung bzw. die Privilegierung des nichterwerbstätigen gegenüber dem erwerbstätigen Ehegatten halten. Die Beiträge des nichterwerbstätigen
Ehegatten gelten nämlich dann als mitbezahlt, wenn der erwerbstätige und der AHV unterstellte Ehepartner mindestens den doppelten Mindestbeitrag im Jahr entrichtet (Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG). In den übrigen Fällen wird der nichterwerbstätige Ehegatte auf der Grundlage des Vermögens beitragspflichtig. Diese Regelung schafft zudem Ungleichheiten zwischen Gutverdienenden und Niedrigverdienenden, Ehepaaren mit und solchen ohne erwerbsbezogenem Auslandbezug oder solchen ohne Erwerbseinkommen. Eine beitragsbezogene, nicht zwingend gerechtfertigte Ungleichbehandlung betrifft sodann auch die gemäss Art. 28 Abs. 1 AHVV nach oben gedeckelte Beitragshöhe für Nichterwerbstätige gegenüber den unlimitierten Beiträgen auf dem Erwerbseinkommen.
Nicht Ungleichbehandlungen, sondern Ungleichheiten entstehen auch durch Umverteilung, die ihre Legitimation aus dem in der Bundesverfassung verankerten Solidaritätsgedanken bzw. dem Generationenvertrag mit Fokus auf den Schutz der Schwächeren und der Familien ableitet. So entsprechen die Leistungsanwartschaften – nicht aber so grundsätzlich in der 2. Säule – versicherungstechnisch nicht äquivalent den eigenen Beitragsleistungen, d.h., die Leistungen werden von den Reichen für Ärmere, von Gesunden für Kranke, von Jungen für Alte, von Ledigen für Verheiratete, von Kinderlosen für Versicherte mit Kindern, ja unter Umständen sogar von Vollzeiterwerbstätigen für Teilzeit- bzw. Nichterwerbstätige mitfinanziert. Die Frage, wie weit die Umverteilung durch den Solidaritätsgedanken gedeckt ist, hat die Gesellschaft laufend neu zu beantworten.
Solange der Ausbau der eigenen Vorsorge im Rahmen der Sozialversicherungen massgeblich vom Erwerbseinkommen abhängt, spiegelt sich das Gefälle der Erwerbseinkommen in der Vorsorge – speziell in der 2. Säule – entsprechend wieder (siehe Artikel Schmidt). Davon besonders betroffen sind Teilzeitbeschäftigte und Niedrigverdienende wie Frauen mit Betreuungsaufgaben, gesundheitlich Beeinträchtigte, bildungsschwache Kreise oder auch Versicherte mit Beitragslücken. Damit der Risikofall bei schlecht ausgebauter Vorsorge nicht in die Armut führt, müsste man nebst dem Kampf um Lohngleichheit auch über Systemänderungen nachdenken.
Die gewandelten familiären und gesellschaftlichen Verhältnisse rufen nach mehr Individualisierung der eigenen Vorsorge, mit der Folge, dass z.B. alle nichterwerbstätigen Personen Beiträge entrichten müssten, vielleicht sogar – z.B. Betreuungsaufgaben oder gesundheitliche Gründe vorbehalten – auch Teilzeiterwerbstätige prozentual zu ihrem Pensum. Auch sollten die Erziehungsgutschriften für alle Eltern frei zuteilbar sein. Prüfenswert im Zeitalter der Mobilität wäre sodann die Möglichkeit, Beitragslücken schliessen zu können. Auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung ist die Reduktion des Koordinationsabzugs in der 2. Säule. Sicher ist, dass sich nicht alle Ungleichheiten eliminieren lassen, Systemänderungen politische Hürden zu nehmen haben, Umverteilung nicht zu weniger Eigenverantwortung führen darf und eine Verbesserung der eigenen Vorsorge nicht zum Nulltarif zu haben ist.
[1] In der Schweiz bezogen im Jahr 2021 17456 Witwer und 189660 Witwen eine Hinterlassenenrente (BSV, AHV-Statistik, 2022).
[2] Im Jahr 2021 lag die Erwerbsquote der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren bei 79.7%, die der Männer bei 87.5 % (BFS, SAKE, 2022).
Frauen haben durchschnittlich tiefere Renten aus der berufliche Vorsorge als Männer. Fragt sich, ob tatsächlich das Geschlecht für diesen Unterschied verantwortlich ist.
Die Ehe steht auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen. Damit sind sie weitgehend gleichberechtigt. Ungleichbehandlungen zwischen Frauen und Männern gibt es trotzdem. Hinsichtlich der Sozialversicherung lohnt sich eine Umwandlung der eingetragenen Partnerschaft zur Ehe nur für Frauen.
Ungleichbehandlungen in den Sozialversicherungen: Gründe, Schieflagen und neue Regeln.
In den Sozialversicherungen gibt es einige Ungleichbehandlungen von Frauen und Männern, Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen oder Verheirateten und Unverheirateten. Das Handout bietet eine kompakte Übersicht .
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