Die App "Etwas tun?!" hilft bald über 1000 Menschen
Die App «Etwas tun?!» von Angestellte Schweiz habe sich etabliert und werde rege genutzt. So auch bei der Bundesverwaltung sowie in der Romandie und der italienischen Schweiz.
In der Schweiz leidet ca. ein Drittel der Bevölkerung temporär an psychischen Störungen. Davon sucht nur die Hälfte ärztliche Unterstützung. Wiederum nur die Hälfte findet einen Therapeuten. Mit dieser Bestandsaufnahme vermittelte Prof. Thomas Berger, Universität Bern, die Relevanz digitaler Interventionen. So genannte «Sprechzimmer-Therapien» haben eine begrenzte Reichweite, dagegen sind digitale Interventionen skalierbar. Aber sind sie bei psychischen Problemen auch gleich wirksam?
In der Forschung werden verschiedene Therapieformen unterschieden. Neben der klassischen Face-to-face-Therapie in einer Praxis existieren rein digitale Lösungen und diverse Mischformen persönlicher Betreuung mit digitaler Unterstützung (siehe Grafik 1).
Zu Email-Therapien gebe es wenig Forschung, so Berger, allerdings beanspruche diese Kommunikationsform doppelt so viel Zeit wie persönlich geführte Gespräche. Digitale Selbsthilfetools, in denen keine Therapeuten involviert sind, seien ebenfalls weniger wirksam. Die Patienten blieben nicht dauerhaft motiviert und frühe Absprungraten seien deshalb sehr hoch. Anders stelle sich die Erfolgsquote bei therapeutisch begleiteten Selbsthilfetools dar. Die so genannten «Blended-Therapien» seien inzwischen auch gut erforscht (siehe Grafik 2).
Selbsthilfetools aus den App-Shops der Smartphones dagegen seien häufig hinsichtlich ihrer Wirksamkeit nicht erforscht. Allerdings könne man davon unabhängig wissenschaftlich fundierte Aussagen über verschiedene Methoden der Psychoedukation machen. Zu vielen Übungen gebe es Erfahrungswerte, führte Berger aus. Wenn Hilfen zur Selbsthilfe von Fachpersonen begleitet werden, habe dies den Vorteil, dass zwar weniger persönlicher Therapeutenkontakt in Anspruch genommen, jedoch durch die Begleitung die Wirksamkeit gefördert werde. Dies gelte vor allem für die leicht- bis mittelgradigen psychischen Erkrankungen. Digitale Anwendungen zeigen neue Lösungen im Konflikt zwischen Gesundheitskostenmanagement, Wirksamkeit der Versorgung und Versorgungsanspruch der Bevölkerung.
Allerdings, so Berger, seien Apps noch kaum in bestehende Versorgungsstrukturen integriert, es gebe aber Vorreiter wie Australien, Schweden, Norwegen oder Kanada, auf deren Erfahrungswerte man aufbauen könne.
Schachinger unterscheidet verschiedene Kategorien von Apps (in Klammern: Nutzungswerte aus der EPatient Survey 2022, n = 6000 Befragte in Deutschland):
Mit dem Markt der Gesundheitsapps beschäftigt sich Dr. Alexander Schachinger mit seinem Unternehmen EPatient Analytics (Berlin). Es beobachtet die Entwicklung digitaler Gesundheitsanwendungen für Patienten und Verbraucher. Ein Fazit aus der Marktforschung sei, dass es nicht immer entscheidend sei, ob die Wirksamkeit einer App wissenschaftlich bewiesen sei. Eine handwerklich gut gemachte pseudowissenschaftlich fundierte App könne sehr erfolgreich sein. Dagegen könnten qualitativ hochwertige Apps untergehen, wenn sie nicht im Konsumentenmarkt inszeniert werden, erläuterte Schachinger die Relevanz von Produktmarketing auch in diesem Bereich.
In einer Umfrage in Deutschland, die EPatient Analytics 2022 in Deutschland durchgeführt hat, zeigte sich die Corona-Pandemie als Beschleuniger für digitale therapeutische Angebote (siehe Grafik 3).
Die Abbruchrate bei Anwendungen der Prävention und Online-Therapie sei allerdings nach einem Peak im Corona-Jahr 2021 signifikant. Dabei handelt es sich um einen Effekt, den Thomas Berger bereits anhand der psychotherapeutischen Interventionen erläutert hat und den auch Forschende für Selbsthilfe-Anwendungen bei Lungenerkrankungen (COPD)* festgestellt haben. Je mehr persönliche therapeutische Unterstützung gewährt wird, umso länger anhaltend die Nutzung der digitalen Angebote.
Die Forschungslage zur Wirksamkeit therapeutischer Gesundheitsanwendungen zeigt, dass sich diese am besten entfaltet, wenn Apps in konventionelle, persönlich von Fachpersonen begleitete Therapien integriert werden. Der Erfolg von Gesundheitsanwendungen im Sinne ihrer Reichweite korreliert jedoch im Wesentlichen mit ihrer Anwendungsfreundlichkeit und den Marketing-Anstrengungen, die für die Bekanntmachung eines Produkts unternommen werden. Gleichzeitig können digitale Interventionen die therapeutischen Prozesse unterstützen und Kosten für Konsultationen reduzieren. Damit dieser Effekt eintritt, müssen digitale Gesundheitsanwendungen verstärkt ihren Weg in das Versorgungssystem finden – über die App auf Rezept.
* Talboom-Kamp E, Verdijk N, Kasteleyn M, Harmans L, Talboom I, Numans M, Chavannes N: High Level of Integration in Integrated Disease Management Leads to Higher Usage in the e-Vita Study: Self-Management of Chronic Obstructive Pulmonary Disease With Web-Based Platforms in a Parallel Cohort Design. J Med Internet Res 2017;19(5):e185. DOI: 10.2196/jmir.7037.
Quellenhinweis
Die Berichterstattung basiert auf den Vorträgen von Thomas Berger und Alexander Schachinger anlässlich der Veranstaltung «Trendtage Gesundheit 2023») am
23. März 2023 in Luzern. trendtage-gesundheit.ch
Die App «Etwas tun?!» von Angestellte Schweiz habe sich etabliert und werde rege genutzt. So auch bei der Bundesverwaltung sowie in der Romandie und der italienischen Schweiz.
Eine neue Kampagne zeigt auf, wie die psychische Gesundheit gefördert werden kann und will die Bevölkerung insbesondere dazu motivieren, über Gefühle zu sprechen. Frühzeitiger Austausch über belastende Gefühle ist ein Schlüssel zur Prävention psychischer Erkrankungen. Deshalb lancieren verschiedene Institutionen in der Deutschschweiz die Kampagne «Wie geht es Dir?», die neben diversen Plakaten im öffentlichen Raum auch eine App mit gleichem Titel launcht.
vps.epas | Postfach | CH-6002 Luzern | Tel. +41 41 317 07 07 | info@vps.epas.ch