Arbeitswelt: Die Zukunft ist Synthese

Samstag, 10. Juli 2021
Welche Trends beeinflussen die Arbeitswelt von morgen und welche Rolle spielt die Corona-Pandemie? Mit dieser Frage setzte sich Tristan Horx vom Zukunftsinstitut auseinander.

Das Zukunftsinstitut steht für pointierte Thesen rund um das Konzept der Mega­trends, die der Zukunftsforscher Mat­thias Horx seit Jahren auf vielen Veran­staltungen präsentiert, in denen es um künftige Entwicklungen und Innovation geht. Sein Sohn, der 28-jährige Tristan Horx, vertrat in diesem Referat eine jün­gere Generation von Mitarbeitern des Instituts, und man konnte gespannt sein, ob sich dadurch neue Perspektiven auf das Thema «Zukunft der Arbeitswelt» er­geben würden.

Scheitern an der Technik ist weder al­tersspezifisch noch abhängig vom Sta­tus als Digital Native, als den sich Horx bereits schon einleitend selbstironisch profilierte. Eine kleine, sympathische Pi­rouette der Selbstdarstellung, der in die­sem Vortrag noch einige folgen sollten.

Megatrends, so Horx, bezeichnen keine kurzfristigen Moden oder Hypes, son­dern grundlegende Umwälzungen und Veränderungen (siehe Kasten, Seite 4). Die Corona-Erfahrung könnte zwar Wen­depunkte markieren, werde aber keine Megatrends auslösen, prognostizierte Horx in seinem Vortrag.

Megatrends seien Revolutionen in Zeit­lupe. Sie erfüllten per Definition die Krite­rien, sich in langen Zeiträumen zu entwi­ckeln, sich ubiquitär in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen auszuwirken und zudem global zu sein. New Work sei in diesem Sinne auch ein Megatrend, selbst wenn er sich in den Ländern und Kulturen der Welt unterschiedlich ent­wickle. Corona spiele die Rolle eines Trend-Brandbeschleunigers, so der viel­leicht nicht ganz glückliche Vergleich des Referenten; Homeoffice oder auch Blended-Learning hätten durch Corona Fahrt aufgenommen.

Zur Visualisierung der Megatrends kre­iert das Zukunftsinstitut regelmässig eine Megatrend-Map, die wie die Mün­chener U-Bahn-Karte gestaltet ist. Die U-Bahn-Linien symbolisieren dabei die Megatrends, die miteinander vernetzt sind. Dort, wo viele Megatrends an einem Bahnhof zusammentreffen, «geht die Trendenergie ab», führte der Refe­rent aus, was ein wenig an den Bahnhof Bern zur Stosszeit erinnert. Alle drei bis vier Jahre aktualisiere das Zukunftsins­titut diese Karte, erläuterte Horx; dabei würden aber nur die Bahnhöfe verscho­ben, die Megatrends selbst bleiben lange Zeit unverrückbar. Lediglich die Sicherheit habe sich in den letzten Jah­ren zu einem neuen Megatrend gemau­sert, weil diese im Zuge der Digitalisie­rung immer wichtiger geworden sei. Dies erscheint angesichts der Langwierigkeit von Megatrends doch überraschend, reflektiert die Instrumentali­sierung des Themas Sicherheit im politischen Kontext doch seit jeher ein ge­sellschaftliches und wirtschaftliches Grundbedürfnis, was sich etwa an etab­lierten Begriffen wie Sicherheitspolitik ablesen lässt.

Lebensmodelle als Folge der Individualisierung im Wandel

Der Spannungsbogen stieg, als Horx einen der seiner Meinung nach zentralen gesellschaftlichen Trends ankündigte, der den Wandel der Arbeitswelt voran­treibe: das Down-Aging. Bezeichnet werde damit, dass sich pro Generation die Menschen in ihrem Lebensstil um ca. 7.4 Jahre verjüngten. Wie sich diese An­gabe berechnen lässt, wie in dieser Fest­stellung eine Generation definiert wird und mit welchen Methoden dies er­forscht worden ist, blieb im Dunkeln (siehe dazu Link am Ende des Texts). Dieses Verjüngungsphänomen beein­flusse die Gesellschaftswahrnehmung und das Verhältnis zur Arbeit, so Horx weiter. Von dort kam der Referent dann auf das «U des Lebens» zu sprechen, das besagt, dass es älteren Menschen nach dem 35. Lebensjahr immer besser geht. Aus diesen Bedingungen leite sich ein neues Verständnis des individuellen Le­bensmodells ab, das allerdings heute noch vom Industriezeitalter geprägt sei. Dieses veraltete Modell sehe vor, dass man mit Anfang Zwanzig heirate, vierzig Jahre im selben Job arbeite und dann pensioniert werde. Heute seien Lebens­modelle differenzierter, was in Unterneh­men den Eindruck von Illoyalität der Mitarbeitenden hinterlassen könne. In Wirk­lichkeit würden sich jedoch die Lebens­phasen schneller abwechseln. Gleich-zeitig lösten generationsübergreifende Lebensstile das klassische Generations­denken ab. Bei den verschiedenen Le­bensstilen innerhalb der Altersgruppen bestünden heute grössere Unterschiede als zwischen Generationen. Diese Verän­derungen geschähen im Zuge des Mega­trends Individualisierung.

Vom Trend zum Gegentrend

Jeder Trend entwickle im Laufe der Zeit einen Gegentrend, führte Horx weiter aus, ein Phänomen, das vom Zukunfts­institut Rekursion genannt wird. Aus die­ser Synthese ginge dann ein neuer Megatrend hervor, zu dem wiederum ir­gendwann ein Gegentrend entstehe. Der Referent belegte diese Idee anhand eines Microtrends, dem Veganismus, zu dem es ja nun eindeutig einen Gegen­trend, das bewusste (Bio-)Fleischessen gebe, wie Horx selbst im Imbissmilieu beobachtet habe. Feldforschung be­ginnt eben vor der Haustür.

Ein Gegentrend zur Individualisierung sei der Kollektivismus, in der Synthese werde dann die «Wir-Kultur» geschaffen. Ein anderer Begriff dafür sei Post-Indivi­dualisierung – gemeinsam verschieden sein –, was in der Arbeitswelt Verände­rungen herbeiführe. Im industriellen Le­benskonzept sei dies so nicht vorgese­hen. Jüngere Generationen seien da­gegen individualisiert erzogen worden und suchten heute deshalb nach Ge­meinschaft, nach Verbindungen.

Wirkungen der Corona-Pandemie auf Megatrends

Abschliessend fasste Horx die beschleu­nigende Kraft der Coronakrise für die fünf Megatrends in einigen fokussierten Thesen zusammen.

  • Ökologie: Die Klimathematik sei inzwi­schen ein übergreifendes Thema und werde in die Agenda von Wirtschaft und Politik eingehen.
  • Konnektivität: Das postdigitale Zeitalter habe begonnen. Digitalität sei überall angekommen. Gleichzeitig entwickle sich auch ein Gegentrend zur «Humani­sierung», der Wunsch nach Verbindung. Digitalität sei deshalb ein Teilbereich der Konnektivität als Megatrend. Konnekti­vität könne im Unternehmen mit der Unternehmenskultur unterstützt wer­den.
  • Globalisierung: Die Phase der Re-Regio­nalisierung habe begonnen. Lieferketten würden wieder zurückgeführt auf über­schaubare, ökologisch vertretbare Strukturen.
  • Sicherheit: Neue Formen der Vertrau­enskultur schafften Sicherheit. Ver­trauen sei ein Grundprinzip der Führung. Monetäre Aspekte interessierten jün­gere Generationen nicht mehr.
  • New Work: Die Arbeitskultur wandle sich von der Work-Life-Balance zum Work-Life-Blending, der Überlappung von Lebensbereichen im Homeoffice, oder in der Steigerungsform zur Workation, der Gleichzeitigkeit von Ferien und Arbeit an anderen Orten.

Befragt nach der Auswirkung wechseln­der Lebensphasen anstelle eines konti­nuierlich mit Arbeit verbundenen Le­bensplans mit Blick auf die Rente, stellte Horx die These auf, dass für die Jungen Rente kein Konzept mehr sei. Früher sei diese ein Lebensziel gewesen. Die Vor­stellung von Leben und Alter veränder­ten sich. Eine Präzisierung dieser Aussa­gen hinsichtlich möglicher zukünftiger Szenarien war vom Referenten leider nicht erhältlich. Fazit: Die aktive Gestal­tung des späteren Lebensalters und dessen Finanzierung bleiben offene Fra­gen. (he)

Der Artikel beruht auf Aufzeichnungen der Keynote von Tristan Horx «Megatrends – Die Arbeitswelt von Morgen» auf der Veranstaltung Zukunft Personal Digital Spring Edition vom 3. Mai 2021.

Studie zum Down-Aging

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