KI kann nicht Zukunft

Donnerstag, 11. Juli 2024 - Karen Heidl
Dies war ein Fazit der Perikom-Tagung 2024 über die kreative Leistungs­fähigkeit Künstlicher Intelligenz (KI). Aber: Zukunft ohne KI ist nicht mehr ­denkbar. Worauf es im Umgang mit KI in Kommunikation und Personal­management heute ankommt.

Einen stimmungsvollen Einstieg in die Perikom-Tagung bescherte Dalith Steiger, Unternehmerin (Swiss Cognitive) und regelmässige Sprecherin bei Anlässen zu Themen rund um Künstliche Intelligenz. Ihre kurzen Filmvorführungen trieben dem Publikum beinahe Tränen der Rührung über die schöne neue Welt der KI in die Augen – wenn beispielsweise diverse Sensoren heute illegale Abholzungen im Regenwald diagnostizieren können, wobei KI in der Soundanalyse eine Rolle spielt. Ihre Aussagen lassen sich knapp zusammenfassen, da diese bereits seit den Anfängen der Digitalisierung in den Kanon einander ähnelnder Keynotes zum Thema gehören: Digitaler Wandel beschleunige sich zunehmend, schaffe neue Möglichkeiten und biete viele Chancen, aber auch Risiken. Man müsse mit althergebrachten Glaubenssätzen brechen, ethische Grundsätze entwickeln, Mitarbeitende zu lebenslangem Lernen anhalten und ermächtigen. Und schliesslich: Technologie müsse die Menschen verstehen und nicht umgekehrt.

Der Mensch bleibt in der Verantwortung

Solchermassen positiv motiviert diskutierte im anschliessenden Panel die Keynote-Speakerin Dalith Steiger mit Susanne Beer (Global Head HR, SPS) und Jan Müller (Head Group Communications, Swiss Re). Moderiert wurde das Podiumsgespräch von Thore Lingel (Change Consultant bei Farner und Vorstand Perikom). Die Diskussion über die Realität in Unternehmen zeigte ein ähnliches Bild wie der Austausch auf der KI-X im März in Berlin: Es wird derzeit viel experimentiert, und es gibt – noch oder mangels Notwendigkeit? – keine allumfassenden Strategien hinsichtlich des Einsatzes Künstlicher Intelligenz. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass in bestimmten Unternehmensapplikationen bereits intelligente Module implementiert seien, beispielsweise im Finanz- und Procurement-Bereich. Schliesslich sei KI ja nicht erst seit Chat-GPT ein Thema für Software-Developer. So arbeitet Swiss Re derzeit an einem Testprojekt für den Einsatz von «Microsoft Copilot» (siehe Kasten unten). Die Erweiterung «Copilot Studio» wird zudem einige Extra-Features für Kommunikation bereithalten, beispielsweise eine umfangreiche «Prompt-Library». Müller wies mahnend darauf hin, dass KI durchaus das Potenzial habe, zur weiteren «Verschmutzung des Diskursraums» durch Fake- und irrelevante Informationen beizutragen. Das Management von Relevanz sei eine der Hauptaufgaben in der Unternehmenskommunikation, was Müller als «Informationsökologie» bezeichnete. Beer forderte, dass «Kontrolle und ethische Haltung internalisiert» werden müssten. Der Mensch bleibe auch mit intelligenten Tools in der Verantwortung für alle Inhalte.

KI in der internen Unternehmenskommunikation

Das «Handwerk», die Entwicklung einer sinnvollen Kommunikationsstrategie, sei der Dreh- und Angelpunkt erfolgreicher Unternehmenskommunikation. In allen operativen Ausführungsschritten können sich KI-Tools als hilfreiche Assistenten bewähren – dies demonstrierte der Kommunikationsprofi Thore Lingel in einem der Workshops. Er stellte einige Anwendungsbeispiele vor:

  • Visualisierung von Zukunftsvisionen mithilfe von bildgenerierenden KI-Anwendungen
  • Automatisierte Übersetzungssoftware
  • KI-gestützte Newsletter-Aggregatoren
  • KI-gestützte Podcast-Generierung (Eleven Labs)
  • Nutzung von Chat-GPT als «Advocatus Diaboli», dem man die eigenen Gedanken zur kritischen Prüfung unterbreitet

Als visuell besonders beeindruckend erwies sich jedoch nicht die KI-imaginierte Zukunftsvision von Ikea, die eher wenig überraschend ein rundes Glasgebäude mit begrüntem Dach und vielen Drohnen zeigte. Technologiefrohe Menschen erfreuten sich stattdessen an einem sehr langen Prompt, dessen Aufgabe es ist, Texte auf verschiedene Sinus-Milieus auszurichten. Ob dies «informationsökologisch» ist, wird sich in der Praxis erweisen müssen. «Noch mehr Overload» gelte es jedoch ebenso zu verhindern wie einen Verlust von Authentizität, Glaubwürdigkeit und (echter) Kreativität. «KI kann nicht Zukunft», so Lingel, sie könne nur auf Informationen aus Vergangenem aufbauen. Für Letzteres war das Ikea-Bild ein gutes Beispiel. Die Chancen, die KI-basierte Lösungen in der Kommunikation bieten, fasste Lingel in vier Stichpunkten zusammen: mehr Personalisierung, mehr Effizienz, mehr Inklusion und mehr Mut zum Experiment.

Dr. Andreas Jäggi (Geschäftsführer Perikom) und Ambros Scope Dr. Andreas Jäggi (Geschäftsführer Perikom) und Ambros Scope
Thore Lingel Thore Lingel
Dalith Steiger Dalith Steiger
Susanne Beer Susanne Beer
Jan Müller Jan Müller

Was ist Microsoft Copilot?

Microsoft Copilot ist ein KI-basierter Assistent für Office-­Anwendungen, der Nutzern hilft, Texte zu erstellen, zu ­bearbeiten und zu verbessern. Copilot nutzt maschinelles Lernen, um den Kontext, die Absicht und den Stil des ­Nutzers zu verstehen und passende Vorschläge zu machen. Mit MS Copilot können Nutzer:

  • Grammatik- und Rechtschreibfehler korrigieren
  • Formulierungen optimieren
  • Inhalte strukturieren
  • Quellenangaben ergänzen

Copilot ist in verschiedenen Lizenzmodellen erhältlich, je nach Umfang und Funktionen. Copilot kann als Add-in für Word, Outlook, PowerPoint oder Excel installiert werden oder als eigenständige Webanwendung genutzt werden.
(Text erstellt von Microsoft Copilot)

Microsoft Copilot zeigt sich als Funktionalität innerhalb der ­Office-Anwendungen; in diesem Beispiel ist es ein Word-Text.

Diese Infobox über das Produkt Microsoft Copilot soll eingefügt werden.

Wer genau liest, wird den stilistischen Bruch zwischen dem maschinell erstellten Text und dem übrigen Artikel bemerken.

Kernkompetenz: Kritikfähigkeit

Der Psychologe Ambros Scope (Head Leadership and Future of Work bei Zurich Insurance Company) sieht den «Spagat» zwischen dem Entwicklungstempo neuer Technologien wie KI und der Notwendigkeit, die Mitarbeitenden auf diesem Weg «mitzunehmen», als heikelste Herausforderung für HR und Führungskräfte in Unternehmen. Sein Impulsreferat in seinem Workshop über «KI im HR» umfasste fünf Handlungsfelder, deren Titel mit den fünf Vokalen des Alphabets beginnen und sich so leicht merken lassen:

Awareness: Unabdingbar für die Zukunft eines Unternehmens sei Wettbewerbsorientierung. Die Mechanismen der Marktwirtschaft müssten Mitarbeitenden bewusst gemacht werden, ebenso die Chancen der Digitalisierung. Entwicklungsmöglichkeiten seien aufzuzeigen und Weichen hierfür vorausschauend zu stellen, so Scope, und er schloss mit den Worten: «Lebenslanges Lernen ist der Kern der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen.»

Emotionale Intelligenz: Die Einzigartigkeit jedes Menschen, sein «USP», solle in Unternehmen gefördert werden. Die soziale Bindung sei ein wichtiger Faktor für erfolgreiche Zusammenarbeit im Unternehmen – vor allem auch vor dem Hintergrund derzeit häufigerer Homeoffice-Arbeit. Scope veranschaulichte am Beispiel der Strukturierung von Corporate-Learning-Aktivitäten, wie soziale Bindung gefördert werden könnte. Die Corporate Trainings bestehen in der Regel aus selbstlernenden Teilen und Präsenztrainings. Für diese Treffen vor Ort stehen Interaktionen im Vordergrund, um persönliches Kennenlernen und den Austausch zu fördern.

Implementierungsintelligenz: Ausschliesslich kritische Haltungen, die KI-Technologie aus Gründen des mangelnden Datenschutzes, der Verletzung von Copyrights und Fairness oder mangelnder Korrektheit ablehnten, seien auf Widerstände zurückzuführen, die aus Verunsicherung oder drohendem Statusverlust resultieren. Wer etwas bewegen wolle, müsse sich diesen Widerständen stellen und deren eigentliche Ursachen reflektieren.

Operationale Intelligenz: Eine gute operative Praxis müsse Schritt halten mit der technischen Entwicklung. Je gravierender die Entscheidungen, die gefällt würden, umso wichtiger sei allerdings die Kontrolle von Ergebnissen, die mithilfe von intelligenten Systemen generiert würden.

User Intelligenz: Die Fähigkeit zum kritischen Denken und Hinterfragen hält Scope für eine der wichtigsten Kompetenzen der Zukunft. Es solle eine Kernaufgabe in der Personalentwicklung sein, diese Fähigkeit zu entwickeln. Eine Herausforderung sei es allerdings, neue Methoden des Erlernens von kritischem Denken zu entwickeln, da die herkömmlichen von KI teilweise abgelöst würden. Dies zeige sich bereits heute im Lernverhalten der verschiedenen Generationen.

Fazit

Die Perikom-Tagung zeichnet sich vor allem durch ihre praxisorientierten Workshops aus, in denen ein diskussionsfreudiges Publikum einen offenen und lebendigen Austausch pflegt, der sich in den Pausen lebhaft fortsetzt. Die Workshops finden in parallelen Tracks jeweils zweimal statt, so dass Interessenten gemäss ihren Präferenzen gut auswählen können. Insgesamt eine sympathische und inspirierende Veranstaltung sowohl für Kommunikationsverantwortliche als auch für HR-Fachpersonen und Führungskräfte.

Quelle: Die Aufzeichnungen basieren auf Vorträgen anlässlich der Perikom-Jahrestagung vom 16. Mai 2024.

Take Aways

  • Menschliche Verantwortung: In einer Podiums­diskussion wurde hervorgehoben, dass trotz Einsatz von KI der Mensch weiterhin für alle Inhalte verantwortlich bleibt. Susanne Beer und Jan Müller diskutierten über die Notwendigkeit der Kontrolle und einer ethischen Haltung im Umgang mit KI.
  • KI in der Unternehmenskommunikation: Thore Lingel betonte die Chancen des Einsatzes von KI in der Kommunikation, um die Effizienz zu fördern, neue Impulse für eigene Ideen zu generieren und um Inhalte für unterschiedliche Zielgruppen anzupassen. Er warnte vor dem Verlust von Authentizität.
  • Kritikfähigkeit und neue Kompetenzen: Ambros Scope betonte die Wichtigkeit der Entwicklung von Kritikfähigkeit und emotionaler Intelligenz bei Mitarbeitenden. Diese Fähigkeiten seien zentral für den Umgang mit den schnellen technologischen Veränderungen und für die Förderung sozialer Bindungen in Unternehmen.

Artikel teilen


Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.

Folgen sie uns auf