Kommentar zum Thema Metaversum: Immersiv oder invasiv?

Montag, 08. November 2021 - Karen Heidl
Ganz ehrlich: Wer würde ernsthaft ein Unternehmensnetzwerk einer Facebook-Plattform ausliefern?

Nun will sich die Datenkrake also im Meta-Mäntelchen in neue Märkte schleichen. Meta verfügt über beachtliche technische und finanzielle Ressourcen, um ein Metaversum Realität werden zu lassen. Wie häufig verwirklichen sich Visionen in unvorhergesehen Ausprägungen, weil sich die Bedürfnisse von Kunden, Technologien oder Märkten sehr schnell verändert haben. Man kann heute nicht mit Sicherheit sagen, was Kunden morgen wollen, denn Menschen verändern sich mit ihren konkreten Lebensverhältnissen.

Virtual Reality kommt!

Das zeigte auch die Pandemie, die die Bedürfnisse von Menschen verschoben hat. Man mag in Zweifel ziehen, ob noch mehr Interaktion über digitale Schnittstellen diesen Bedürfnissen entspricht. Aber Fakt ist: Diese Entwicklungen rund um Virtual Reality (VR) schreiten voran. Ihre Anwendungsmöglichkeiten sind bestechend vielfältig, die Tools dafür werden immer einfacher. Facebook wird – wie andere Technologievorreiter auch– spannende Entwicklungsarbeit beitragen, von der viel gelernt werden kann. Dabei – und das ist ganz natürlich – wird es neue Gratwanderungen geben. Dass auch Investoren die Entwicklungen mit gewachsener Sensibilität betrachten, zeigt sich in den Reaktionen auf die Ankündigung von Facebook, sein Gesichtserkennungssystem abschalten zu wollen – wohl als Massnahme, um Kritik am Unternehmen abzufangen. Kommentiert wird dies etwa von Benjamin Chekroun, Stewardship Analyst bei der Investmentgesellschaft Candriam so: «Dies ist eine positive Entwicklung und steht im Einklang mit der Candriam-Investorenerklärung zur Gesichtserkennungstechnologie».

Anwendungsfälle von VR im Recruiting

Das Konzept der Immersion ist bereits länger bekannt; es wird in verschiedenen Anwendungsbereichen bereits genutzt bzw. getestet, bspw. in der Aus- und Weiterbildung, bei Supportaufgaben, im Training, in der Medizin oder der ­Psychotherapie. Nachfolgend zwei Anwendungsfälle aus dem Recruiting.

Das Beratungsunternehmen Accenture hat vor einigen Jahren damit begonnen, seine potenziellen Mitarbeiter via VR in einer altägyptischen Krypta einzusperren, um beim Entschlüsseln von Hieroglyphencodes ihre Problemlösungsfähigkeiten zu testen. Aber auch weniger verspielte, typische Alltagsauf­gaben wie Kundengespräche oder Sitzungsmanagement werden in solchen virtuellen Assessments durchgespielt.

Dr. Stéphanie Pougnet von der Ecole Hôtelière de Lausanne berichtet von einem Forschungsprojekt, das über allgemeine Problemlösungs-Assessments hinausgeht. Es wurde in dem Projekt untersucht, ob die prädiktive Validität bei der Kandidatenauswahl im Recruitingprozess mithilfe von VR verbessert werden könne. Sie stellte dar, dass es gerade die Immersion sei, die es ermögliche, die Kompetenzen von Menschen besonders herauszufordern. Daher gelte VR als geeignetes Instrument für die Erstellung simulierter Arbeitsproben, schreibt sie in ihrem Beitrag über die Experimente.

Die in dem Projekt verwendete VR-Ausrüstung ermöglichte eine umfangreiche Datenerfassung, einschliesslich der Zeit, die für die Reaktion auf bestimmte Wahrnehmungshinweise und -reize benötigt wurde, Blick-Heatmaps, die darstellten, wohin und wie lange der Nutzer geschaut hat und was er vor und nach dem Blick getan hat. Die Daten erfassten auch emotionale Zustände, indem relevante Signale wie Gesichtsausdruck, Tonfall, Art der Sprache, Geschwindigkeit der Bewegungen, Fokus der Augen usw. ausgewertet wurden. Diese Daten konnten dann in Form von Indikatoren für das Leistungspotenzial interpretiert werden. Pougnet kommt zu dem Schluss, dass die Auswahl von Bewerbern durch den Einsatz von VR ein ­hohes Mass an prädiktiver Validität erreiche.

Datenintegrität ist Vertrauensarbeit

In dem zweiten Beispiel scheint mir der schmale Grat zwischen Immersion und Invasion überschritten. Digitale Schnittstellen – ob Handy, Videokamera oder VR-Headset – sammeln Daten. Wie mühsam es ist, die Hoheit über Daten zu behalten, haben die letzten 30 Jahre deutlich gezeigt. Diese Skepsis wird allerdings nichts an der fortschreitenden Digitalisierung unserer Interaktion ändern. Es ist zu hoffen, dass Unternehmen dazugelernt haben. Denn Datenintegrität ist Vertrauensarbeit. Facebook ist ein gutes Lehrbeispiel.

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