Learning-Experience-Systeme (LXS): Arbeitszeit = Lernzeit

Freitag, 04. Juni 2021 - Karen Heidl
Eine Lernsoftware schafft noch keine Lernkultur. Aber sie kann dabei helfen, die Lernkultur eines Unternehmens voranzubringen. Neue Learning-Experience-Systeme unterstützen moderne Lernkulturen, die sich durch Eigeninitiative, Quellenvielfalt sowie in- und externe Expertennetzwerke auszeichnen.

Learning-Management-Systeme (LMS) haben sich bereits seit Jahrzehnten in Unternehmensumgebungen bewährt, in denen regelmässig geforderte Unterweisungen, Produktbriefings für den Vertrieb oder Fortbildungen zum Pflichtprogramm gehören. Spätestens seit der Corona-Pandemie haben diese Systeme auch in Bildungseinrichtungen ihren festen Platz gefunden.

Sie werden in verschiedenen Komplexitätsgraden angeboten, sowohl hinsichtlich ihrer Funktionalität als auch technischer Bedingungen, die zu diversen Unternehmensformen und -grössen passen. So bieten LMS häufig Test- und Zertifizierungsfunktionen, Self Assessments oder die Möglichkeit, individuelle Lernpfade für Mitarbeitende im Sinne einer Talententwicklung vorzugeben. Die Basisfunktionalität umfasst eine Kursverwaltung, ein Content-Management-System für verschiedene Medienformen, eine Benutzerverwaltung, Kommunikations-Werkzeuge und eine einheitliche Benutzeroberfläche, die über verschiedene definierte Rollen Zugriffe auf die Funktionen erlaubt.

Technisch gesehen ist das Thema seit Aufkommen von Mietsoftware, die in sogenannten Clouds auf externen Servern gehostet wird (Software-as-a-Service SAAS) auch für mittelständische Unternehmen keine grosse Herausforderung mehr.

Auf dem Weg zu einer «lernenden Organisation» sind Unternehmen allein mit der Implementation eines LMS allerdings noch nicht.

Was hat Lernen mit Unternehmenskultur zu tun?

«New Work» heisst das Stichwort für Organisationen, die sich für Herausforderungen der Zukunft neu aufstellen. Vernetzung der Mitarbeitenden untereinander, Eigeninitiative, Autonomie und Kollaboration spielen im zukunftsfähigen Wertemix eine tragende Rolle. Der E-Learning-Experte Jan Foelsing formuliert in Anlehnung des menschlichen Reifegradmodells der «Spiral Dynamics» [1] ein Stufenmodell der Lernerfahrungsentwicklung, die dem jeweiligen Reifegrad einer Organisation entspricht. In diesem Modell wird der Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und Lernerfahrung verdeutlicht (siehe Abbildung).

In reiferen Organisationen wird kontinuierliches Lernen auf das individuelle Entwicklungsprofil der Mitarbeitenden zugeschnitten. Die Inhalte speisen sich aus diversen On- und Offline-Quellen und -Formaten wie beispielsweise Zoom-Vorlesungen, die etwa von Universitäten angeboten werden, Learning Communities, die sich zu bestimmten Themen oder in Branchen zusammenschliessen, oder persönlichen Coachings oder Team-Seminaren zum Erlernen gruppendynamischer Methoden. Die Mitarbeitenden, die häufig über Expertenwissen verfügen, von dem HR-Verantwortliche wenig wissen, vernetzen sich idealerweise in selbstgesteuerten Learning Communities oder in explorativen Projektteams. Die autonome Vernetzung der Mitarbeitenden untereinander ist ein wichtiger Treiber des Wissensaustauschs.

Die Entwicklung solcher Kompetenzen in einer Welt mit schnellen Technologiesprüngen ist aus einer zentralistischen Perspektive, in der alle Weiterbildungsaktivitäten gesteuert und kontrolliert werden, kaum zu leisten. Ein weiterer kritischer Faktor von Top-Down-Ansätzen für Weiterbildungsmassnahmen ist die Aktivierung intrinsischer Motivation, die zwar häufig mit sogenannten Gamification-Elementen gefördert werden soll, aber dergestalt auch schlicht albern wirken kann und zudem technischen Aufwand erfordert. Grassroots-Initiativen in Projekt- oder Lerngemeinschaften dagegen entstehen eher aus konkreten Arbeitserfordernissen und Entwicklungen in den spezifischen Tätigkeitsbereichen der Mitarbeitenden und sind per se intrinsisch motiviert.

Sogenannte Learning-Experience-Systeme (LXS) unterstützen diese Lernkultur: Vielfältige Lernquellen und -initiativen, also sowohl top-down gesteuerte Massnahmen als auch individuell oder innerhalb von Communities entwickelte Lerninitiativen. Recherche, Lerninhalte und Kommunikation, Buchungsmöglichkeiten sowie Agendaverwaltung sind in einer Benutzeroberfläche kombiniert, die eine konsistente und leichte Nutzererfahrung (User Experience) gewährleistet.

Welche Funktionen bieten LX-Systeme?

LX-Systeme unterstützen positive, individuelle und auf Interaktion mit Peers ausgerichtete Lernerfahrungen. Das bedeutet, dass sie mit modernen, aus Social-Media-Anwendungen bekannten Design- und Funktionselementen (Bewertung, Kommentar, Empfehlung, Diskussion, Blog, Wiki) ausgestattet sind und wie diese auch den Austausch eigener Nutzerinhalte (User Generated Content) erlauben. Algorithmen helfen bei der Analyse des individuellen Weiterbildungsbedarfs oder bei Auswahl von Offerten von internen und externen Anbietern, passend zu individuellen Nutzerpräferenzen. Externe Anbieter lassen sich an die LX-Plattform andocken und nach bestimmten Kriterien – beispielsweise Datenschutzkriterien – auch ausschliessen. Buchungsfunktionen und ggf. Genehmigungsprozesse sind idealerweise in das System integriert. Aktivitäten-Dashboards für Nutzer und Administratoren sowie die automatische Integration von Terminen in den Kalender sind heute ebenfalls Standard.

Wird es in Zukunft noch LMS geben?

LMS sind Subsysteme von LX-Systemen und können wahlweise über Schnittstellen mit diesen verbunden oder integraler Bestandteil moderner Systeme sein. Sie haben mit spezieller Funktionalität für bestimmte Nutzungsfälle auch weiterhin eine gewisse Eigenständigkeit.

Wie aufwendig ist die Einführung eines LX-Systems?

Der Aufwand ist abhängig von der Anzahl der Nutzer, der Anzahl Schnittstellen zu vorhandenen Systemen und der Anzahl von Content-Quellen, die in die Oberfläche integriert werden sollen. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Einführung ist die Akzeptanz bei den Nutzern, weshalb ein schrittweises Ausrollen in der Belegschaft empfehlenswert ist. Wichtig in diesem Zusammenhang sind die einfache Bedienung für alle Nutzergruppen und ein Feedback-System für die Mitarbeitenden, mit dem Aktivitäten im LXS in einer beliebigen Form begleitet werden. Dies können Boni sein, aber auch direkte Anerkennung oder spezielle, hervorgehobene Nutzerrollen, mit denen ein Engagement verbunden wird.

Die Kollaborations-Software Microsoft Teams, die Bestandteil der MS Office 365 Business-Lizenzen ist, bietet eine Reihe von Learning-Apps (siehe Links zum Thema), die sich leicht mit Teams verbinden lassen. Mit dem Learning-Management-System LMS 365 beispielsweise lässt sich Teams mit einfachen Mitteln zu einer Learning-Plattform erweitern. Allerdings hat diese Lösung noch die Anmutung eines App-Flickenteppichs.

Screenshot zu Microsoft Viva (ebenso das Titelbild) Screenshot zu Microsoft Viva (ebenso das Titelbild)

Mit der Einführung von Viva Learning, die für dieses Jahr geplant ist, wird Microsoft die neueste Entwicklung auf Teams-Basis herausbringen. Sie ist für Unternehmen deshalb interessant, da Teams vielen Usern bereits bekannt ist und somit eine gute Akzeptanz neuer Funktionen zu erwarten ist. Zudem ist standardmässig die Plattform LinkedIn mit ihren Lernangeboten integriert (siehe Abbildungen). Dazu eine kurze historische Rückschau ins Jahr 2015: LinkedIn Learning war ehemals die Video-Training-Plattform lynda.com, die vom Business-Netzwerk LinkedIn akquiriert wurde, LinkedIn wiederum wurde 2016 von Microsoft übernommen. 2020 wurde aus lynda.com LinkedIn Learning. Diese Entwicklungen zeigen den strategischen Stellenwert, den Microsoft dem Corporate Learning beimisst.

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