Sabine Can, Leiterin des Betrieblichen Gesundheitsmanagements bei der Landeshauptstadt München, und Florian Hellmeier, Leiter Arbeits- und Gesundheitsschutz bzw. Personalplanung bei der Branddirektion München, hatten eine schwierige Ausgangslage, als das BGM-Projekt in der Integrierten Notrufleitstelle in München initiiert wurde.
Die Leitstelle ist die Notrufeinsatzzentrale, in der im Jahr ca. 1 Million Anrufe eingehen, das heisst alle zwei Minuten klingelt das Telefon. Die Mitarbeitenden in der Zentrale, die Disponenten, koordinieren alle Massnahmen nach Eingang eines Notrufs. Dies erledigen in der Leitstelle 220 Menschen rund um die Uhr, die über eine langjährige Ausbildung als Rettungskraft, in der Feuerwehr und in anderen Fachgebieten für ihre Aufgaben vorbereitet werden. Der Altersdurchschnitt liegt bei ca. 47 Jahren, wobei es eine breite Generationendiversität gebe, erläuterte Hellmeier die Rahmenbedingungen.
Die Ausgangslage
Der Job ist herausfordernd: Es besteht permanenter Zeit- und Entscheidungsdruck bei den Disponenten Die Anrufenden sind häufig emotional hoch belastet. Der subjektive Eindruck einer Person in einer Notfall-Ausnahmesituation entspricht nicht immer einer fachlichen Analyse. Der Disponent muss sich in kurzer Zeit einen Eindruck verschaffen, um die entsprechenden Einsatzmittel zu bestimmen.
Anlass für die Einführung des BGM waren nicht nur die konkreten anspruchsvollen Arbeitsbedingungen, sondern auch andere Veränderungen, die die Situation verschärften: Nach einem Umzug der Leitstelle waren weniger Raumkapazitäten für Ruhezonen vorhanden, was bei einem 24-Stunden-Einsatz und in Krisensituationen eine notwendige Anforderung ist. Die Einsatzkapazitäten stiegen und gleichzeitig wurde ein neues System eingeführt, was anfangs auch Mehraufwand bedeutete. In der Folge stiegen die Belastungen, die Mitarbeiterzufriedenheit sank und die Krankschreibungsquote erhöhte sich.
Verankerung des BGM in die Personalstrategie
Das BGM-Projekt ist Teil einer längerfristigen, nachhaltigen Personalstrategie. Deren Kernelemente sind Mitarbeiterbindung und Erhalt der Arbeitsfähigkeit, denn aufgrund der jahrelangen Ausbildung, die es für die Ausübung der Tätigkeiten als Disponenten benötigt, ist es nicht einfach, Mitarbeitende zu ersetzen.
Ganzheitliches BGM in drei Dimensionen hat Auswirkungen auf die Organisations- und Personalentwicklung
Ein BGM müsse ganzheitlich angelegt werden (siehe Abb.), sagte Sabine Can in ihren Ausführungen. Arbeitgebende haben den höchsten Einfluss auf Arbeitsbedingungen, die dem Erhalt der Gesundheit förderlich sind. Deshalb liegt der Schwerpunkt auf diesem Bereich. Die Verhältnisprävention hat einen Prozess auch in der Arbeitsorganisation angestossen.
Die Einzelfallprävention widmet sich dem Individuum und geht auf dessen spezielle Bedürfnisse für Gesundheitserhalt oder Wiedereingliederung nach Krankheit oder bei einer eingetretenen Beeinträchtigung ein. Ziel ist es, die Mitarbeitenden möglichst langfristig, wenn möglich bis zur Pensionierung zu binden.
Gesundheitsmanagement ist mehr als «Töpfern in der Toskana»
Mit diesem Vergleich leitete Can ihre Ausführungen über die abgestuften Vorgehensweisen bei BGM-Projekten für die Organisation ein, zugleich machten diese den Stellenwert für die Organisation deutlich. Die Massnahmen basieren auf zwei zentralen Grundlagen: Einer Dienstvereinbarung (das ist im öffentlichen Dienst in Deutschland eine Vereinbarung zwischen einer Dienststellenleitung und dem Personalrat. Anm. d. Red.) zum Gesundheitsmanagement, in der Ziele und Integration der BGM-Massnahmen in die Personalarbeit und die Qualitätsstandards festgelegt sind. Das andere, wichtige Instrument ist der Leitfaden zur Umsetzung der psychischen Gefährdungsbeurteilung.
Führungskräfte haben mehrere Optionen BGM-Massnahmen zu initiieren: Sie können ein Projekt auf Basis der Dienstvereinbarung durchführen. Dies bedarf aufgrund der Maxime einer nachhaltigen Verankerung in der Organisation einer gewissen Ausdauer. Eine andere Option besteht im Führungsdialog. Dabei handelt es sich um ein Personalentwicklungsinstrument, bei dem alle neuen Führungskräfte einen Führungsdialog mit ihren Teams durchführen müssen. Das niederschwelligste Angebot ist die «Checkliste Stress», also ein orientierendes Verfahren.
Alle drei Verfahren zielen darauf ab, zu erfahren, welche Probleme in der Belegschaft vorhanden sind und die Beschäftigten als Experten für ihren Arbeitsplatz einzubeziehen.
Die Erfahrungen zeigten, so Can, dass es keinen wichtigeren Faktor für die Gesundheit am Arbeitsplatz gebe als funktionierende soziale Beziehungen - und dies heisse hauptsächlich die Beziehungen zu den Vorgesetzten.
Vorgehensweise bei der Einführung des BGM
Im ersten Schritt wurden Gespräche auf Managementebene geführt, und es wurde entschieden, die psychische Gefährdungsbeurteilung an den Führungsdialog zu koppeln. Anschliessend wurden umfassende Informationsveranstaltungen unter Einbindung der Personalvertretung durchgeführt. Daran knüpften Workshops an, an denen alle Teams teilgenommen haben. Dort wurden die zentralen Themen erfasst und dann in weiteren Workshops bearbeitet. Sechs Monate später wurden dann Evaluierungsgespräche geführt, um herauszufinden, was sich geändert hat.
Vor Durchführung der Workshops wurde überprüft, welche Themen vom Team selbst bearbeitet werden können, und anschliessend der jeweiligen Führungskraft übertragen. Andere mussten unter der Ägide der Dienststellenleitung umgesetzt werden.
Aus der psychischen Gefährdungsbeurteilung kristallisierte sich eine Vielzahl von Themen heraus, von denen die wichtigsten Stressoren fokussiert wurden. Als Ergebnis wurden 30 Massnahmen in Kooperation mit den Mitarbeitenden beschlossen. Die Wichtigsten:
Arbeitsorganisation
- Der Personalbestand wurde quantitativ überprüft und bedarfsgerecht erhöht. 30 neue Stellen wurden besetzt.
- Es wurde ein Karrieremodell entwickelt und
- das Arbeitszeitsystem überprüft.
Arbeitsinhalt
- Auf Ebene der Arbeitsinhalte wurden die Arbeitsprozesse überprüft, um Komplexität zu reduzieren.
- Es wurden eine eigene Fachkarrieren entwickelt. Diese führen in der Aus- und Weiterbildung zu spürbaren Entlastungen.
Soziale Beziehungen
- Es wurden Massnahmen zur Förderung des Betriebsklimas ergriffen, beispielsweise Veranstaltungen zur Gesundheitsförderung durchgeführt.
- Die Verbesserung der Führungskultur wurde mit Durchführung eines Führungskräfteworkshops unterstützt.
Arbeitsumgebung
- Auf der Ebene der Arbeitsumgebung wurden Schulungen zur Entspannung und Bewegungsübungen als Ausgleich zur sitzenden Tätigkeit angeboten.
- Das beengte Raumangebot wurde verbessert.
- Klagen über mangelnde Kommunikation wird nun mit regelmässigen «offenen Sprechstunden» begegnet, in denen sich Führungskräfte den Fragen der Mitarbeitenden stellen.
Die Wirksamkeit aller Massnahmen wurden schliesslich durch sinkende Krankenstände und im Rahmen eines externen Audits bestätigt.
Wie kann die Etablierung eines BGM in die HR-Strategie gelingen?
Die Referenten gaben dem Auditorium im wesentlichen zwei Empfehlungen auf den Weg:
Man müssse BGM als Querschnittsthema im Rahmen eines strategischen Gesamtkonzepts begreifen. Vor allem das Führungsverhalten und das soziale Miteinander seien zentrale Stellschrauben: «Beschäftige wünschen sich keine Rückenschule, sondern Rückendeckung,» zitierte Florian Hellmeier ein Bonmot.(he)
Quelle:
Die Ausführungen basieren auf dem Vortrag am Personalmanagement Kongress in Berlin, 30. August 2021:
«#HRmeetsBGM: Wie kann die Etablierung eines BGM in die HR-Strategie gelingen?»
Referenten: Florian Hellmeier, Branddirektion München, und Sabine Can, Landeshauptstadt München