Bundesrat prüft Möglichkeit einer Ausweitung der Zertifikatspflicht - SVP und Gastrosuisse alarmiert

Mittwoch, 25. August 2021
Die vom Bundesrat angedachte Möglichkeit einer Ausweitung der Zertifikatspflicht für Restaurants, Kinos und Veranstaltungen erhält viel Unterstützung, von der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) über die meisten Parteien bis hin zu Economiesuisse. Die SVP und Gastrosuisse hingegen sind alarmiert.

Angesichts der «besorgniserregenden» epidemiologischen Lage bezeichnete die GDK eine Ausweitung der Zertifikatspflicht als «naheliegend». Denn mit der Beschränkung des Zugangs auf geimpfte, genesene oder getestete Personen liesse sich die Gefahr einer Ansteckung stark reduzieren, ohne dass erneut Betriebsschliessungen verfügt werden müssten.Mit dem Covid-Zertifikat könnten die Ansteckungen zwar nicht  ausgeschlossen, aber dennoch wirksam bekämpft werden. Und in der Anhörung werde sich zeigen, wie breit die Unterstützung einer solchen Ausweitung sein werde.

Einigkeit von links bis ins bürgerliche Lager

Ähnlich klingt es bei den meisten Parteien von links bis ins bürgerliche Lager. Ihnen allen bereitet die Entwicklung auf den Intensivstationen Sorgen. Nach Ansicht der SP könnte mit einer Ausweitung der Zertifikatspflicht die Schliessung von Restaurants und Kinos verhindert werden. Auch die FDP bezeichnete die Prüfung einer Ausweitung als «notwendig», um «restriktivere und freiheitsfeindlichere Massnahmen» zu vermeiden, welche die gesamte Bevölkerung und die Wirtschaft beträfen. Jedoch müsse der Bundesrat die Kriterien für die Ausweitung «klar und nachvollziehbar» darlegen.

Für die Mitte bleibt es das wichtigste Ziel, die Überlastung der Spitäler und des Gesundheitspersonals abzuwenden sowie einen Lockdown zu vermeiden. Sie unterstützt deshalb das Vorgehen des Bundesrates.

Grünen-Präsident Balthasar Glättli nannte es angesichts der Überlastung des Gesundheitspersonals «definitiv nicht zu früh», wenn der Bundesrat eine Ausweitung der Corona-Zertifikatspflicht prüfe. Und auch GLP-Präsident Jürg Grossen betrachtet das Vorgehen als richtig, um eine Überlastung des Gesundheitswesen und einen weiteren Lockdown zu vermeiden.

Warnung vor Zweiklassengesellschaft

Von den grossen Parteien lehnte einzig die SVP die «inkompetenten und ungerechten» Massnahmen des Bundesrates durchwegs ab: So würde eine Ausweitung der Zertifikatspflicht ihrer Ansicht nach viele Betriebe in wirtschaftliche Schwierigkeiten treiben. Ausserdem hätten sich die Schutzkonzepte für die Gastronomie und die Hotellerie bewährt. Und das Zertifikat dürfe nicht zu einem indirekten Impfzwang und einer Zweiklassen-Gesellschaft führen.

Schützenhilfe erhält die Volkspartei von Gastrosuisse. Die Gastrobranche sehe einer möglichen Ausweitung der Zertifikatspflicht mit grosser Sorge entgegen, sagte Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer an einer Medienkonferenz. Restaurants und Cafés müssten in diesem Fall mit massiven Umsatzeinbussen rechnen. Und die Massnahme berge sozialpolitischen Sprengstoff.

40 bis 50% der Menschen in der Schweiz würden vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Die Ausweitung der Zertifikatspflicht bringe auch epidemiologisch wenig, sei unverhältnismässig und praktisch wirkungslos, sagte Platzer weiter. Und auch auf Gesetzesstufe bestehe keine Rechtsgrundlage.

Frage des Datenschutzes

Kritisch einer Ausweitung des Zertifikats gegenüber steht auch Travail.Suisse, der Dachverband der Arbeitnehmenden. Zwar könne eine Ausweitung der Zertifikatspflicht die bessere Lösung sein, um weitere Betriebsschliessungen zu verhindern. Doch es stellten sich praktische Fragen. So sollten die Arbeitgebenden nicht erfahren dürfen, welche Mitarbeitenden geimpft seien. Genau das sieht der Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) anders. Denn das Covid-Zertifikat im Arbeitsbereich würde es den Arbeitgebenden erlauben, «grossflächig differenzierte Schutzkonzepte für Geimpfte und Ungeimpfte einzuführen». So könnte ein Lockdown abgewendet werden, den die Arbeitgebenden unbedingt verhindern wollten.

Eine Einschränkung des öffentlichen Lebens für genesene oder geimpfte Personen wäre bei einer erneute Ansteckungswelle überhaupt nicht mehr zulässig, findet Economiesuisse. Denn mit der Impfung und dem Zertifikat stünden geeignete Mittel zur Verfügung, um die Pandemie einzudämmen. Der Wirtschaftsverband unterstütze deshalb die Überlegungen des Bundesrats. (sda)

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