Gesundheitsminister Alain Berset und Epidemiologe Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) machten am Mittwoch vor den Medien in Bern mehrmals klar: Die Corona-Politik des Bundes geht in eine neue Phase. Mathys sprach gar von einem «Paradigmenwechsel». Die Entwicklung der Fallzahlen tritt in den Hintergrund.
Fortan will der Bundesrat die Schraube bei den Massnahmen erst wieder anziehen, wenn eine Überlastung der Spitäler droht. Nicht mehr Teil der Überlegungen des Bundesrats ist der Schutz von ungeimpften Personen. «Sie können sich nicht mehr auf den Schutz durch staatliche Massnahmen verlassen», sagte Berset. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass alle, die sich impfen lassen wollten, dazu in der Lage waren. «Wir befinden uns jetzt in der Normalisierungsphase», so Berset.
Potenzial bei Ü50-Generation
Dieser Phasenwechsel hat für die Bevölkerung keine unmittelbaren Folgen. Die geltenden Corona-Massnahmen wie die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr bleiben vorerst in Kraft. Berset argumentierte mit der «ungewissen Entwicklung der epidemiologischen Lage». Noch sei unsicher, wie sich die Ferienrückkehrer und die Delta-Variante auf die Belegung der Spitalbetten auswirken werden. Eine Überlastung sei «nicht auszuschliessen».
Deshalb ist es laut Berset weiterhin wichtig, dass die Durchimpfungsquote hoch genug ist. «Je höher die Impfquote, desto gelassener können wir sein», ergänzte Mathys. Berset nahm insbesondere die Fünfzig- bis Sechzigjährigen ins Gebet. In dieser Kategorie gebe es noch viel Potenzial. «Zumal diese Alterskategorie stark betroffen sein kann durch das Virus.»
Anfang September will die Landesregierung nach eigenen Angaben eine Neubewertung der Lage vornehmen und anschliessend die Massnahmen anpassen. Der Bundesrat macht aber klar, dass das bisherige System mit zuweilen strengen Massnahmen für alle überholt sei. Es würde die Geimpften und Genesenen in ihren sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten zu stark einschränken.
Eine Option wäre laut Berset aber eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Covid-Zertifikats. «Wir werden rechtzeitig reagieren», sagte Berset. Gleichzeitig appellierte der Gesundheitsminister erneut an alle, die Situation nicht zu unterschätzen. Insbesondere die Ungeimpften würden eine Infektion riskieren. Es werde weiterhin Hospitalisationen und auch Tote geben, stellte Mathys klar.
Teure Testkosten minimieren
Ungeimpften Personen will der Bundesrat weiterhin die Wahl lassen, sich impfen zu lassen oder nicht. Personen ohne ein Covid-Zertifikat, die ein Fussballspiel oder Ähnliches besuchen wollen, sollen ab dem 1. Oktober aber selbst für die Kosten eines Corona-Tests aufkommen müssen. Und Selbsttests sollen nicht mehr gratis abgegeben werden. Ausgenommen wären Personen, die nicht geimpft werden können. Definitiv darüber entscheiden will die Regierung in zwei Wochen nach einer Konsultation.
Mit ein Grund für das geplante Ende der Gratistests sind laut Berset auch finanzielle Aspekte. «Wir haben uns gefragt, wieso die ganze Gesellschaft für Personen Tests zahlen muss, welche sich pro Monat mehrmals testen lassen.» Solche Tests seien nicht günstig. Die Überwälzung der Kosten auf die Allgemeinheit sei nicht mehr vertretbar, so Berset.
Gemäss groben Schätzungen des Bundes würden Antigen-Selbsttests ab September bis nächstes Jahr rund 400 Millionen Franken an Kosten für die Allgemeinheit verursachen. Die Kosten für abgegebene Selbsttests für zu Hause betrügen demnach in selben Zeitraum rund 200 Millionen Franken.
«Die Kantone können das»
Festhalten will der Bundesrat an seiner Massenteststrategie. Wiederholte Tests in Schulen, Unternehmen, Spitälern und Pflegeheimen werden weiterhin vom Bund finanziert. Die Regierung fordert die Kantone auf, Wiederholungstests in den Schulen zu organisieren und damit zum Schutz der Jüngsten beizutragen.
Der Bundesrat fordert die Kantone zudem auf, repetitive Tests von ungeimpftem Pflegepersonal verpflichtend vorzuschreiben, um besonders gefährdete Personen zu schützen. «Diese Tests sind eine gute Sache», sagte Berset. Letztlich sei es aber Sache der Kantone, wie sie damit umgehen wollen. «Wichtig bleibt, dass es funktioniert. Die Kantone können das.» (sda)