Forever young?

Donnerstag, 21. März 2024 - Karen Heidl
So lautete das Thema der diesjährigen Trendtage Gesundheit in Luzern. Das Thema ist hochaktuell, denn die Lebenserwartung steigt in der Schweiz kontinuierlich. Was braucht es zum «guten Altern»?

Im Jahr 2000 lag die Lebenserwartung von Frauen in der Schweiz bei 82.5, bei Männern bei 76.9 Jahren; heute erreichen Frauen im Durchschnitt ein Alter von 85.4 und Männer eines von 81.6 Jahren. Mit zunehmendem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer oder mehrerer chronischer Erkrankungen wie Diabetes, Hypertonie, Rheuma etc. Und doch, sowohl die körperliche als auch die mentale Leistungsfähigkeit können selbst im Alter und mit einer chronischen Erkrankung hoch sein.

Falscher Gesundheitsbegriff

Forschungen zeigen, so der Gerontologe Prof. Mike Martin, dass Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit im Alter nicht nur einer modernen Hochleistungsmedizin zu verdanken sei, sondern vor allem dann erzielt werde, wenn die Menschen Aktivitäten verfolgen, die sie als sinnstiftend erachten – sogenannte wertgeschätzte Aktivitäten. Eine Komponente des Aktivitätsmusters ist soziale Interaktion und die Erfahrung, wirksam sein zu können. Einsame Menschen, so zeigte die Forschung, haben eine geringere Lebenserwartung. Aber auch finanzielle Sorgen können sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Es gebe zudem Korrelationen zwischen Bildungsniveau, sozialem Status und Gesundheit. Das bedeutet, dass Menschen, die aus sozial schwächeren Schichten kommen, tendenziell einen schlechteren gesundheitlichen Status aufweisen als Menschen mit höherem Einkommen, obgleich in der Schweiz ein sehr hohes Niveau in der medizinischen Versorgung zu konstatieren ist.

Welche Relevanz haben diese Fakten, wenn man auf die steigende Lebenserwartung blickt? Der Informatiker Prof. Harald C. Gall fasste zusammen: «Der Einfluss der Umwelt auf die Gesundheit im Alter ist bei weitem höher als der Einfluss innovativer Medizin.» Mit anderen Worten: Gesundheit im Alter ist vor allem auch eine Frage der Einbindung älterer Menschen in das Sozialleben und abhängig von der Aktivierung sogenannter wertgeschätzter Aktivitäten. Teilhabe am Leben nannte es die Soziologin Selma Kadi, PhD, in ihrem Referat. Prof. Mike Martin brachte es auf den Punkt: «Der Gesundheitsbegriff ist um Krankheit herum gebaut, nicht um Zufriedenheit und aktives Leben, das den Menschen Spass macht.»

Ob es mit digitalen Interventionen in Form einer App gelingen kann, Menschen zu aktivieren, mag dahingestellt sein, zeigen doch die Erfahrungen und Studien, dass solche Apps schnell das Interesse der User verlieren. Die Präsentation einer Nudging-App mit dem Titel «Wholesome Living App», deren Funktionen ein Monitoring von Fitness, Ernährung, Finanzen und Achtsamkeit erlauben, stiess deshalb auch auf wenig Resonanz.

Forderungen nach Datenpools

Gesunde Langlebigkeit ist das Forschungsgebiet von Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari. Man weiss schon lange, dass der Einfluss der Ernährung bedeutsam ist, ebenso wie regelmässige Bewegung. Um aber herauszufinden, welche Massnahmen und Kombinationen von Massnahmen die Gesundheit ­effektiv unterstützen können, werden Gesundheits- und ­Lebensstildaten in standardisierter Form benötigt. Technisch wäre dies eigentlich gut machbar, da es eine ganze Reihe von Apps und Wearables gebe, so Gall, die solche Daten generieren, aber es gebe derzeit keine Datenpools.

Lese-Tipp:

Forschungen zur Wirksamkeit digitaler Interventionen: App auf Rezept

Dies bedauerte auch Philomena Colatrella, CEO des Krankenversicherers CSS. Sie stellte eine Auswertung der Gesundheitskostenentwicklung bei der CSS dar und brachte eine Überraschung mit: Kostentreiber ist nicht die ältere Bevölkerung (siehe Grafik). «Die Entwicklung der Gesundheitskosten scheint eine unerschütterliche Konstante zu sein», sagt sie, «denn auch schon in den Zeiten, als es noch keine obligatorischen Krankenversicherungen gab, sind die Kosten ständig gestiegen.» Die Alterung der Gesellschaft könne den Kostenanstieg nur zu 1/7 erklären. Insgesamt sei die Antwort auf die Frage nach dessen Treibern komplex. Einerseits gebe es steigende Kosten für Medikamenten­bezüge. Auch fragten mehr Menschen Leistungen nach. Ebenso seien die zunehmenden psychischen Probleme junger Menschen Kostenfaktoren. Colatrella schloss mit einem starken Plädoyer für eine zentralisierte Datensammlung über Diagnosen, Therapien und Outcomes. Man wisse heute zu wenig über die eigentlichen Kostentreiber. Nur mithilfe granularer, standardisierter Daten, die maschinell ausgewertet würden, könnten vertiefte Schlussfolgerungen ermöglicht werden.

Anne Lévy (Bild oben), Direktorin Bundesamt für Gesundheit, resümierte in ähnlicher Manier zu den Themen Über-, Unter- und Fehlversorgung im Gesundheitswesen. Sie stellten potenzielle Risiken für Menschen dar. Lévy verwies in einem Beispiel auf die Daten des Versorgungsatlas Schweiz (versorgungsatlas.ch), in dem genau ausgeführt wird, wie viele Behandlungen zu bestimmten Indikationen welcher Art in welcher Region stattfinden. Da gebe es Ungereimtheiten, wenn beispielsweise bestimmte Operationen in manchen Regionen der Schweiz überproportional häufig stattfänden als in anderen. Es sei nicht Sache des BAG, über Behandlungsleitlinien zu urteilen, aber es sei wichtig, eine angemessene Versorgung zu gewährleisten. Nicht alles, was medizinisch machbar sei, sei auch angemessen und sinnvoll. Die Digitalisierung biete Chancen, um eine angemessenere Versorgung zu gewährleisten. «Forever young ist nicht das Ziel, sondern eine kluge Nutzung von Innovation, um zufrieden, gesund und mit hoher Lebensqualität alt werden zu können», schloss sie.

Zur allgemeinen Erheiterung des Auditoriums konnten sich die Referentinnen und Referenten den einen oder anderen Seitenhieb auf die missglückte Einführung des elektronischen Patientendossiers nicht verkneifen. Dass man nun unisono von Seiten der Leistungserbringer, Bund und Versicherern ein klares Bekenntnis zur Datensammlung vernimmt, lässt auf einen wiedergewonnenen Schwung für dessen Einführung hoffen.

Gesellschaftliche Verantwortung und Langlebigkeit

Die gesellschaftliche Verantwortung für erfolgreiches Altern machte der Vortrag der Japan-Expertin Nora Gilgen deutlich. Die sozialen Herausforderungen im Land mit der höchsten Lebenserwartung der Welt seien enorm. 35% der Bevölkerung seien 60 Jahre oder älter. Die Geburtenraten sänken, die Zuwanderung sei niedrig. Das Altern der Babyboomer-Generation werde begleitet von fortschreitender Prekarisierung, die Nettoersatzrate betrage 38.8% (vgl.: in den OECD-Staaten 61.4%). Da die staatliche Rente nicht ausreiche, um minimale Lebenshaltungskosten zu decken, müssten viele Pensionärinnen über das Rentenalter von 65 hinaus arbeiten. Auch in der Berufstätigkeit würden ältere Menschen benachteiligt, indem man ihnen unterqualifizierte Tätigkeiten zuweise und sie niedrig bezahle. Die Vorbehalte japanischer Unternehmen gegen die Anstellung von Senioren seien trotz des Arbeitskräftemangels stark verbreitet, führte die Referentin aus. Dieser sei auch in der Pflege feststellbar, die wenig attraktive Anstellungsbedingungen biete.

Dieses trübe Schlaglicht auf die Situation in Japan ist eine Mahnung, wie sehr eine Gesellschaft gefordert ist, vor dem Hintergrund einer langen Lebenserwartung tragfähige, würdevolle Konzepte zur sozialen Sicherheit, Gesundheitsvorsorge und beruflichen Integration auch im Alter zu entwickeln.

Quelle: Die Zitate beruhen auf Referaten anlässlich der Trendtage Gesundheit Luzern 2024 am 6. und 7. März 2024.

Take Aways

  • Gesunde Langlebigkeit erfordert eine verstärkte Einbindung älterer Menschen in soziale Aktivitäten und wertgeschätzte Tätigkeiten, um deren Lebensqualität zu verbessern.
  • Die Verfügbarkeit von Datenpools über Gesundheits- und Lebensstildaten ist entscheidend, um effektive Massnahmen zur Unterstützung der Gesundheit älterer Menschen zu identifizieren und Kostenentwicklungen im Gesundheitswesen zu verstehen.
  • Die gesellschaftliche Verantwortung für erfolgreiches Altern umfasst die Schaffung von tragfähigen Konzepten zur sozialen Sicherheit, Gesundheitsvorsorge und beruflichen Integration älterer Menschen.
  • Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitsbereich fordern Datenpools, die sowohl Lebensstil- als auch medizinische Daten als Grundlage zur Erforschung von medizinischen Wirkmechanismen und Therapien sammeln.

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