Wer leisten will, muss schlafen
Martin Schlott coacht Menschen, die Spitzenleistungen erbringen müssen – im Sport oder im Job. Er macht deutlich: Gutes Schlafmanagement gibt Energie und steigert die Lebensqualität.
Der Somnologe Dr. phil. Daniel Brunner befasste sich bereits während des Studiums der Neurobiologie mit dem Schlaf und dessen Regulation. Er spezialisierte sich nach seiner Promotion an der Universität Pittsburgh im Bereich Schlafmedizin. Heute praktiziert er im Zentrum für Schlafmedizin AG, Hirslanden, in Zollikon (www.sleepmed.ch).
«Unsere heutigen Arbeitszeitmodelle lassen die natürlichen Ruhezeiten nicht mehr zu.»
Die Schlafmedizin hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Meine Ausbildung habe ich in den USA absolviert, wo Spezialisierungen im Bereich der Schlafmedizin schon früher möglich waren als hierzulande. Die Schweiz hat dann nachgezogen und heute existieren über dreissig Zentren für Schlafmedizin. Allerdings gibt es auch heute noch zu wenige Spezialisten, was daran liegen mag, dass Schlafmedizin in der Schweiz nicht einer Medizinrichtung mit eigenem Facharzttitel entspricht. Ärzte spezialisieren sich traditionell auf Psychiatrie, Neurologie oder Pneumologie – alles Disziplinen, in denen Schlafstörungen häufig sind. Die Schlafmedizin dagegen ist ein fachübergreifendes, multidisziplinäres Fachgebiet. So wird ein Psychiater bei einer komorbiden (gleichzeitig mit anderen Erkrankungen auftretenden) Schlafstörung bei seinen Patienten die psychische Erkrankung in den Therapiefokus rücken. Für die Patienten ist es aber wichtig, die spezifischen Mechanismen der Schlafstörung, die auch unabhängig von einer aktiven psychischen Störung überdauern kann, separat zu behandeln.
In den USA hat sich in neuerer Zeit die Behavioral Sleep Medicine, also die verhaltensorientierte Schlafmedizin, stark entwickelt.
Man muss hier zwischen den Hauptsymptomen unterscheiden. Wenn man tagsüber unkontrolliert einnickt, ist ein gestörter Nachtschlaf wahrscheinlich. Hier können Bewegungsstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom, eine Schlafapnoe oder neurologische Schläfrigkeitsstörungen wie die Narkolepsie (umgangssprachlich Schlafkrankheit) ursächlich sein. Diese möglichen Ursachen sollte man zuerst mit dem Hausarzt und dann ggf. mit einem Spezialisten abklären.
In der Ärzteschaft ist die Schlafapnoe heute die bekannteste Schlafstörung, weshalb normalerweise zuerst mit einem Screeningtest nach Störungen der nächtlichen Atmung gesucht wird.
Wenn ich bei Vortragsveranstaltungen in die Runde schaue, habe ich den Eindruck, dass der grösste Teil der Menschheit unter Schlafstörungen leidet.
So ein Einnicken ist nicht zwangsläufig krankhaft. Falls die Schläfrigkeit extrem ist, dann sollte man die Ursachen unbedingt abklären lassen. Aber auch bei gesunden Menschen ist es normal, dass tagsüber gegen Krisen angekämpft wird. Unsere Aufmerksamkeit kann nicht ständig auf gleichbleibendem Niveau gehalten werden. Kommt man in eine langweilige Ruhesituation, stellt sich ganz schnell eine Schlafneigung ein. Das kommt beispielsweise auch gern beim Autofahren vor, besonders wenn es warm ist, nach dem Essen, in monotonen Fahrsituationen oder im Dunkel eines Tunnels. Dann kann es passieren, dass die Aufmerksamkeit plötzlich «kippt». Dies ist ein ganz natürliches Phänomen.
Im Gegensatz zu diesem Kippen beträgt bei gesunden Menschen die normale Einschlafdauer tagsüber im abgedunkelten Schlafzimmer ungefähr 15 bis 18 Minuten. Indikator für eine krankhafte Schläfrigkeit sind Einschlafzeiten unter 5 Minuten, vorausgesetzt, dass kein Schlafmangel besteht. Unter hohem Schlafmangel können alle Menschen sehr schnell einschlafen. Wenn wir Tagesschläfrigkeit im sogenannten multiplen Schlaflatenztest untersuchen, wird dafür gesorgt, dass die Patienten nicht unter akutem Schlafmangel stehen, bevor sie zur Untersuchung kommen. Bei diesen Tests lassen wir sie mehrmals am Tag einschlafen und messen dann die Einschlafdauer.
Das ist relativ einfach, denn das Schlafdefizit zeigt sich, indem man kompensiert. Das bedeutet, dass man etwa am Wochenende deutlich länger schläft als wochentags. Dies lässt auf ein verkürztes Schlafpensum im Arbeitsalltag schliessen, was man aber vielleicht tolerieren kann, falls die Arbeit so stimulierend ist, dass man gut funktioniert und wach bleibt. Unter diesen Umständen sind meist nur Warte- und Ruhesituationen eine Herausforderung, um konzentriert zu bleiben.
Menschen unter erhöhtem Schlafdruck beginnen häufig, auf das Mittagessen zu verzichten oder gehen an die frische Luft und machen Sport. Das sind Kompensationsstrategien, die das Schlafdefizit überbrücken sollen. Diesen Strategien sind aber Grenzen gesetzt. Wenn Menschen älter werden, klappt es mit der Kompensation nicht mehr so gut. Man wird weniger stimulationsfähig, die Sinneswahrnehmungen sind vielleicht schwächer geworden, man ermüdet auch mental schneller und kann sich nicht mehr mit Stimulation allein durch den Tag stemmen. So muss man sich schliesslich mit einem «Weisheitskick» eingestehen, dass man dem jugendlichen Ideal nicht mehr folgen kann oder soll. Der Tag muss in kürzere Leistungsstrecken mit geplanten Pausen eingeteilt werden, um gleiche Leistungen wie in jüngeren Jahren zu erbringen.
Unsere heutigen Arbeitszeitmodelle lassen die natürlichen Ruhezeiten nicht mehr zu. Unsere mitteleuropäische Kultur unterteilt den Tag in drei Abschnitte: Morgen, Nachmittag und Abend. Diese drei Abschnitte wurden durch Pausen getrennt. Diese Struktur geht in der heutigen Bürowelt oft ganz verloren.
Diesen Umstand mache ich jenen «Patienten» bewusst, die eigentlich gesund sind. Diese haben oft nur eine falsche Idee von einer normalen Tagesstruktur. Sie vergleichen sich mit anderen und kämpfen gegen ihre eigenen Ruhebedürfnisse, bis der Körper anfängt zu rebellieren. In manchen Firmen gibt es Ruheplätze oder das eigene Auto als Rückzugsort – oder man breitet irgendwo eine Matte aus. Dafür braucht es aber Überzeugung und gesundes Selbstvertrauen.
Wenn Menschen nachts Wachzeiten haben, ohne zu leiden oder zu grübeln, sollte man das nicht pathologisieren, sondern die Wachzeit konstruktiv nutzen. Der Schlafunterbruch in der Nacht ist häufig die Konsequenz einer zu langen Bettzeit, die man nicht mit Schlaf ausfüllen kann. Auch sollte man nachts nicht auf die Uhr schauen, das ist ein sehr wichtiger Tipp.
Ja, die Schlafkultur ist vom Zeitgeist abhängig. Deshalb finde ich es auch gut, wenn man Mitarbeitende zum «Turboschlaf» motiviert, wie eine Kampagne des Bundesamts für Unfallverhütung es einmal nannte. Schlafkultur hat mit Lebenskultur zu tun: Wenn Menschen sich beim Schlaf zu sehr auf die Nacht fokussieren, geraten sie schnell in eine Sackgasse, weil man Schlaf nicht mit Willenskraft erzwingen kann. Dies kann dann in eine chronische Insomnie führen.
Das ist zum einen der Teufelskreis: Die Sorge, schlecht zu schlafen, führt zu verkürztem Schlaf, der wiederum die Sorge befeuert. Ausserdem kommt noch ein Konditionierungsaspekt hinzu: Man «lernt», sich am Schlafplatz frustriert und wach zu fühlen. Dies sind die beiden Komponenten, die eine Schlaflosigkeit antreiben und die wir auch erlernte Schlafstörung nennen.
Wenn man nicht einschlafen kann, sollte man den Ort der Frustration verlassen und sich mit etwas anderem befassen, bis man wieder Schlafbereitschaft spürt. Diese Therapieform nennt man Stimuluskontrolle: Das Bett soll ein Stimulus zum Schlafen sein und nicht ein Stimulus zum Grübeln und Wachsein.
Ein weiterer Ansatz bei der Behandlung dieses Problems ist die Bettzeitrestriktion, also die Verkürzung der im Bett verbrachten Zeit. Eine alleinige Behandlung mit Schlafmitteln wirkt bei den Mechanismen einer chronischen Insomnie nicht anhaltend, weil die Schlafprobleme nach dem Absetzen wieder auftreten.
In der Apotheke werden häufig pflanzliche Wirkstoffe empfohlen, bei denen wir im Wesentlichen von Placebowirkungen ausgehen: Die Erwartung des Patienten, seinem Schlaf etwas Gutes zu tun, kann eine Sicherheit und Erleichterung herbeiführen. Es kann aber auch das Gegenteil eintreffen: Die Patienten werden noch verzweifelter, wenn die Medikamente nicht wirken.
Die Medikation funktioniert als Einschlafritual, falls man nach der Einnahme schlafen geht. Wenn man aber nach der Einnahme trotzdem nicht einschläft, dann wird das gleiche Medikament zum Wachhalteritual. Der erlernte Effekt, die Konditionierung, ist dann negativ.
Anders verhält es sich mit Mitteln, die eine chemische schlaffördernde Wirkung zeigen. Diese Wirkstoffe bringen allerdings Gefahren mit sich, beispielsweise Unfallgefahr, nächtliche Gedächtnislücken und eine allfällige Abhängigkeitsgefahr – wobei diese bei modernen Schlafmitteln nicht mehr das Hauptproblem ist. Abhängigkeiten entstehen hauptsächlich bei Leuten, die die Einnahme wirklich übertreiben und eine Suchtneigung haben.
Bei Schlafmitteln besteht weniger die Gefahr, dass ein asoziales Verhalten oder gar Beschaffungskriminalität entsteht. Es handelt sich eher um einen Mangel an Alternativen. Sobald man ein Schlafmittel absetzt, fehlt die chemische Wirkung und es setzt ein Rebound ein, also eine Absetz-Insomnie. Dies erhöht wieder die Wahrscheinlichkeit der Schlafmitteleinnahme. Das Absetzen funktioniert also nur, wenn man eine alternative Behandlungsstrategie aufbaut und einsetzt. Das heisst, ein Absetzen sollte immer fachkundig begleitet werden.
Es gibt natürlich Fälle von Zweckentfremdung, beispielsweise die Einnahme von Mitteln gegen Reisekrankheit oder Allergien, die bei manchen Menschen sedierend wirken. Wenn man sedierende Substanzen wieder absetzt, fehlt etwas, was durch andere Therapiestrategien ersetzt werden muss.
Apps sind als erste Massnahme sinnvoll. Sie vermitteln allgemeine Regeln und gesunde Schlafgewohnheiten, die helfen können. Aber wenn diese nicht funktionieren, geht es um das Individuum. Dann sollen organische Ursachen durch Untersuchungen beim Hausarzt ausgeschlossen werden. Danach muss herausgefunden werden, an welcher Idee die Person scheitert. Scheitert sie daran, dass sie sich verbietet, tagsüber eine Krise zu spüren? Dann werden Strategien gesucht, dies zu kompensieren oder das natürliche Bedürfnis zu stillen. Wenn eine Person die Veranlagung hat, tagsüber Schlaf zu benötigen, hilft zum Beispiel Sport lediglich kurzfristig.
Wir sind als Spezialisten dazu aufgefordert, die langfristig wirksame kognitive Verhaltenstherapie (siehe Tabelle) bei Schlafstörungen zu vermitteln. Es geht dabei um Veränderungen
im Schlafverhalten und um Verdeutlichung falscher Ideen und Erwartungen zum Thema Schlaf.
Martin Schlott coacht Menschen, die Spitzenleistungen erbringen müssen – im Sport oder im Job. Er macht deutlich: Gutes Schlafmanagement gibt Energie und steigert die Lebensqualität.
Erholsamer Schlaf aus dem Takt: Wenn nachts die Gedanken kreisen und Unruhe die Psyche aufwühlt, ist es Zeit, seine Gewohnheiten zu ändern. Schlafberater Markus Kamps verordnet Routinen für gesundes Schlafmanagement.
Ausreichend Schlaf ist gesund für das Herz. Eine britische Untersuchung gibt nun Hinweise darauf, welcher Zeitraum der gesündeste ist, um sich aufs Ohr zu legen. Am seltensten herzkrank werden Menschen demnach, die zwischen 22:00 und 23:00 Uhr zu Bett gehen.
Forschende der Universität Bern und des Inselspitals haben entdeckt, wie das Gehirn während des sogenannten REM-Schlafs Emotionen sortiert. Diese Sortierung hilft den Menschen, positive Erinnerungen zu speichern und Traumatisches zu bewältigen.
Schnarchen, Albträume, Wadenkrämpfe: Fast zwei Drittel der Schweizerinnen und Schweizer werden in der Nacht von mindestens einer Form von Schlafstörung geplagt. Nur knapp die Hälfte gibt an, gut bis sehr gut schlafen zu können.
Guter Schlaf ist wichtig. Die acht Tipps für das Schlafmanagement im Homeoffice im Handout helfen dabei, trotz ungewohnter Arbeitsweise ausgeruht in den neuen Tag zu starten.
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