Psychische Belastung bei Jungen zugenommen
Junge Schweizerinnen und Schweizer sind mit dem eigenen Leben meist zufrieden. In den letzten zehn Jahren haben jedoch die psychischen Belastungen und auch der exzessive Alkoholkonsum zugenommen.
Krankschreibungen aus psychischen Gründen nehmen in der Schweiz wie in anderen Industrieländern seit langem stetig zu, die Häufigkeit psychischer Krankheiten insgesamt allerdings nicht. Diese Entwicklung ist nicht nur individuell und für Unternehmen belastend, sondern auch gesellschaftlich und volkswirtschaftlich: Sie stellt die wichtigste Ursache für Langzeitarbeitslosigkeit und Invalidisierung dar. Das belegen auch die Folgekosten von psychischen Krankheiten, die im Jahr 2018 laut OECD 21 Mrd. Franken respektive 3.5% des BIP ausmachten. Gemeinsam mit WorkMed, einem Kompetenzzentrum der Psychiatrie Baselland für Psyche und Arbeit, führte die Krankenversicherung SWICA eine repräsentative Studie durch (siehe Kasten).
Roger Ritler, Leiter Leistungen Unternehmen, begründete den Auftrag für die Studie wie folgt: «Als grösste Krankentaggeldversicherung der Schweiz hatte SWICA ein grosses Interesse daran, den Ursachen für diese Entwicklung auf den Grund zu gehen.»
Psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeiten dauerten im Durchschnitt 218 Tage und seien in 95% der Fälle Vollzeit-Krankschreibungen, führte Niklas Baer, Psychologe und Leiter WorkMed, zu den Ergebnissen der Studie aus. Der Median liege bei 154 Tagen; das heisst je die Hälfte der Betroffenen war länger respektive weniger lang krankgeschrieben. Das sei deutlich länger als die meisten Krankschreibungen aus somatischen Gründen. In rund der Hälfte der Arztberichte sei unklar, warum die versicherte Person nicht arbeiten könne. Zudem fehle in fast der Hälfte aller Hausarzt- oder Psychiaterberichte eine Prognose bezüglich der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Ebenfalls fehlten Hinweise, wie die Stelle erhalten werden kann.
Rund die Hälfte der krankgeschriebenen Versicherten verliere denn auch im Rahmen der Arbeitsunfähigkeit die Arbeitsstelle. Meist erfolge die Kündigung durch den Arbeitgeber. In den Augen von Baer erfolgten die Interventionen aller Akteure – auch der Versicherungen – zu spät.
Ein grosser Teil der Krankgeschriebenen hatte laut der Studie schon früh (Schulzeit, Ausbildung, frühere Arbeitsstellen) erstmals psychische Probleme. Je früher die Probleme begonnen hätten, desto häufiger führten sie zu längeren Arbeitsunfähigkeiten, erläutert Baer. Viele Betroffene seien sozial isoliert oder hätten Probleme in der eigenen Familie. Das treffe insbesondere auf ledige oder alleinerziehende Versicherte zu.
57% aller psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeiten würden durch Arbeitsplatzkonflikte ausgelöst. Gewisse besonders belastende Arbeitsbedingungen begünstigten eine sehr lange Dauer der Krankschreibung, dazu gehören emotionale und interaktionelle Anforderungen sowie kognitive und hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit. Auch Leistungsüberforderungen (36%), Reorganisationen (9%) und Chefwechsel (6%) führen zu entsprechenden Krankschreibungen.
Die Branchen unterscheiden sich sehr deutlich nach Dauer der Krankschreibungen. Besonders lang seien die durchschnittlichen Arbeitsunfähigkeiten im Erziehungswesen (255 Tage), in der Finanzindustrie (262 Tage) sowie in der öffentlichen Verwaltung (267 Tage); am kürzesten im Baugewerbe mit 171 Tagen. Schliesslich habe sich auch gezeigt, dass sich die Arbeitsunfähigkeitsdauer mit der Unternehmensgrösse verändert: Je grösser das Unternehmen, desto länger die Arbeitsunfähigkeit.
Baer gelangte zur Schlussfolgerung: «Wenn es einmal zu konfliktbedingten Arbeitsunfähigkeiten gekommen ist, ist ein Wiedereinstieg sehr schwierig. Oft ist dann das Arbeitsverhältnis auch schon gekündigt. Es braucht darum frühe Massnahmen bei allen Beteiligten, also den Ärzten, den Arbeitgebern aber auch den Versicherern, um solche Eskalationen präventiv zu entschärfen.»
Die behandelnden Ärzte sollten stärker unterstützt und geschult werden für einen bewussten Umgang mit Arbeitsunfähigkeitszeugnissen, der den Patienten hilft, ihre Stelle zu behalten. Hilfreich wäre laut der Studie, wenn Ärzte, Versicherungen und Arbeitgeber Leitlinien entwickeln, wie in schwierigen Situationen so gehandelt werden könnte, dass die Betroffenen eine bessere Chance erhalten, längerfristig im Arbeitsmarkt bleiben.
Dazu zähle auch, dass die Ärzte Hinweise geben, in welchem Umfang und unter welchen Umständen eine Arbeitsfähigkeit gegeben wäre. Gerade eine Teilarbeitsfähigkeit würde den Wiedereinstieg begünstigen. In der Regel würden aber keine Funktionseinschränkungen dokumentiert, die einen gezielten Arbeitseinsatz ermöglichen würden. «Einen rechten Teil der Arztberichte kann man nicht nachvollziehen», sagte Baer.
Zudem sollten die Arbeitgeber stärker sensibilisiert werden, nicht erst spät oder zu spät zu reagieren, wenn eine Situation eskaliert ist – sondern präventiv eine förderliche Haltung und Frühintervention zu verankern. Und Ärzte sollten vermehrt Informationen bei den Arbeitgebern einholen. (gg)
WorkMed, ein Kompetenzzentrum der Psychiatrie Baselland, führte die Studie gemeinsam mit SWICA durch. Analysiert wurden rund 2000 Krankentaggeld-Dossiers; davon waren rund 1350 Krankschreibungen aus psychischen Gründen (repräsentativ für alle psychischen Arbeitsunfähigkeiten der SWICA in der ganzen Schweiz) und zum Vergleich knapp 600 vergleichbare Krankschreibungen aus somatischen, also körperlichen Gründen. Die untersuchten Krankschreibungen dauerten von 15 bis zu 730 Tagen und endeten 2019.
Junge Schweizerinnen und Schweizer sind mit dem eigenen Leben meist zufrieden. In den letzten zehn Jahren haben jedoch die psychischen Belastungen und auch der exzessive Alkoholkonsum zugenommen.
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