Welche Geschichte erzählst Du Dir?

Mittwoch, 09. Oktober 2024
Wie man die individuelle Resilienz stärken kann.

Dr. Martin Inderbitzin ist Neurologe. In seinem Studium lernte er viel darüber, wie Emotionen im Gehirn gesteuert werden. Als er 2012 eine Krebsdiagnose mit einer minimalen Überlebenswahrscheinlichkeit erhielt, realisierte er jedoch, dass sein Wissen als Neurologe ihm nicht helfen würde, die Situation emotional zu bewältigen. 

Heute gibt er Workshops und tritt als Speaker auf zu Themen rund um Resilienz und Mindset. So auch auf der Nationalen Tagung für betriebliches Gesundheitsmanagement 2024. Den Begriff Mindset übersetzte er in seinem Vortrag als «Geschichte, die das Hirn erzählt». Leider sind dies nicht immer die besten und schon gar nicht immer hilfreiche Geschichten. Verantwortlich dafür ist der so genannte Monkey Mind, ein Relikt aus der entwicklungsgeschichtlichen Urzeit des menschlichen Gehirns, in dem überlebenswichtige Grundemotionen erzeugt und gespeichert werden  beispielsweise Angst. Angst ist überlebenswichtig, denn sie versetzt den Körper in Alarmbereitschaft, triggert Stresshormone, die diverse Prozesse auslösen, um den Körper auf einen möglichen Kampf einzustellen. Das ist natürlich praktisch, wenn man einem Säbelzahntiger entgegentreten muss. Nach einer Krebsdiagnose ist Angst auf Dauer aber kein guter Begleiter auf dem herausfordernden Weg einer Chemotherapie. Dies begriff Martin Inderbitzin während einer Infusion, als einer seiner Leidensgenossen im Krankenzimmer mit einer Tirade über seine Lebensmüdigkeit Inderbitzin gewaltig auf die Nerven ging. Es wurde ihm schlagartig klar, dass er diese Haltung nicht einnehmen wollte, und er meldete sich umgehend für den Zürich-Triathlon an. Stolz zeigte er dem Tagungspublikum ein Selfie: In der rechten Hand den Infusionsständer, in der linken das Handy, im Hintergrund die Fitnessgeräte. Ihm sei dieses Bild viel wichtiger als die typischen Shots vom Erreichen der Ziellinie beim Marathon, sagte er. Dieser Moment markiere nämlich einen Startpunkt und den Beginn eines umfassenden, langwierigen Perspektivwechsels, mit dem er lernte, sich auf das zu fokussieren, was er erreichen wollte, statt darauf, was er nicht erreichen könne. Der Monkey Mind mit seinen alten abgespeicherten Negativerinnerungen – und das Gehirn produziert zu 80% Negativgedanken – könne da mitunter quertreiben. Das passiere ganz automatisch. Man müsse trainieren, um den Monkey Mind auszubremsen. Aber «man kann sich nicht resilient denken», sagte Inderbitzin, «man muss vor allem handeln». Es beginne mit der nicht verurteilenden Wahrnehmung der Realität und der Frage: «Kann ich es trotzdem machen?» 

Richtige Fragen stellen 

«Stellen Sie die richtigen Fragen!», forderte Inderbitzin das Publikum auf, statt: «Wieso ich?» solle man fragen: «Was brauche ich nun?», statt: «Warum ist es so schwierig?», «Was kann ich tun, um es einfacher zu machen?». Und es dann tun. Dies könnten Kleinigkeiten sein: ein neues Rezept ausprobieren, sich anders kleiden, eine neue Fertigkeit erlernen.  

Man müsse sich entscheiden, welche Geschichte man sich selbst erzählen wolle. Indem man aber über das spreche, was einen beschäftigt, was einen mutlos sein lässt und was man sich wünscht, gewinne man Macht zurück. Sich dabei helfen zu lassen, erfordere Mut. Mit Wissen allein könnten Krisen, die immer emotional seien, nicht bewältigt werden. 

Martin Inderbitzin hat über diesen Mut und seine Lebenserfahrungen ein Buch geschrieben. Darin beschreibt er die Zusammenhänge zwischen Gehirn, Emotion und Verhalten in einfachen, humorvollen Worten. Es enthält viele kleine Übungen, die helfen, neue Perspektiven zu entwickeln und sich selbst zu unterstützen. Mehr dazu auf der Website martininderbitzin.com.

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