ZP Digital Experience Days 2022: Junge Mitarbeitende für das Unternehmen gewinnen
Welche Werte und Persönlichkeitsdimensionen unterscheiden die Generationen und welche Schlussfolgerungen lassen sich für eine gewinnende Ansprache ziehen?
Für viele Unternehmen haben sich die Marktbedingungen in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Manche Unternehmen haben sich als neue Marktführer positioniert, wie beispielsweise Amazon, das Logistik und E-Commerce revolutionierte und sich als Innovations-Champion an die Spitze des Onlinehandels katapultierte. Andere Unternehmen wiederum kämpfen mit der Disruption ihrer traditionellen Geschäftsfelder. So auch die Telekommunikationsbranche. Transformation ist für Swisscom daher eine Überlebensstrategie, mit der verlorenes Geschäft durch neue Geschäftsfelder ersetzt werden muss.
Swisscom hat beispielsweise seit 2008 einen Verlust von über 95% bei Umsätzen über SMS-Dienste zu verzeichnen – Anbieter wie WhatsApp bieten nämlich Messaging-Dienste gratis an. Internetbasierte Telefonie führte zu einem Rückgang der Umsätze bei der Festnetztelefonie von 50%. Heute erwirtschaftet Swisscom 75% des Umsatzes mit Produkten, die es vor zehn Jahren noch nicht gab.
Damit blickt Swisscom auf eine fundierte Transformationserfahrung zurück. Agile Arbeitsweisen bieten sich an, wenn Handlungsfähigkeit und rasches Liefern in einem komplexen, veränderlichen Umfeld gefragt sind. Agilität ergänzt sich also in unserem dynamischen ICT-Umfeld ideal mit bewährten Vorgehensmodellen wie beispielsweise dem Wasserfallmodell, bei dem Projekte von Beginn bis Fertigstellung mit Lasten- und Pflichtenheften zwar stringent geplant und gesteuert werden, aber wenig Spielraum für Modifikation während der Entwicklung geben.
Swisscom TV (heute Blue TV) war 2012 das erste Produkt, das mit agilen Methoden entwickelt wurde. Bis dahin hatte Swisscom mit agilen Methoden keine Erfahrung. Seitdem entwickelten sich in den Folgejahren mehrere agile Inseln, in denen sich Projektteams bottom-up organisierten, bis dann 2016 die gesamte IT-Entwicklungsabteilung auf agile Arbeitsweisen umgestellt wurde.
Wir merkten bald, dass es wenig bringt, die IT-Teams auf agile Methoden umzustellen, wenn man nicht gleichzeitig den Kundennutzen und die Kundenbedürfnisse im Fokus hat. Dies ist schliesslich eine Kernidee der Entwicklung in agilen Zyklen. Im Jahr 2017 wurden deshalb interdisziplinäre agile Teams aus Produkt/Prozess-Entwicklung und Business-Developern zusammengestellt und entschieden, dass für die Implementierung agiler Arbeitsweisen das Scaled Agile Framework (SAFe) als Orientierung genutzt wird. Gleichzeitig begannen wir in allen Geschäftsbereichen, in denen es sinnvoll erschien, agile Arbeitsweisen auszuprobieren. Dabei handelte es sich nicht immer um Scrum, sondern um verschiedene Zusammenarbeitsmodelle.
Der offizielle Startschuss zu «Swisscom goes agile» erfolgte im Jahr 2018. Inzwischen war aus vereinzelten Initiativen eine richtige Bewegung entstanden, sodass sich 2018 die Geschäftsleitung entschloss, Agilität in die Strategie aufzunehmen.
«Für das Mindset gibt es anders als für Scrum kein Handbuch.»
Heute haben wir viele agile Konstrukte, die die Zusammenarbeit verbessern, aber auch eine neue Komplexität mit sich bringen. Gleichzeitig gibt es noch eine traditionelle Aufbauorganisation, die mit der transformierten Ablauforganisation in Reibung gerät. Durch die stark zunehmenden agilen Workflows wurden mehr Kompetenzen (Entwicklung, Budget, Priorisierung) in die neuen agilen Rollen überführt. Dies führte zu Konflikten mit der bestehenden funktionalen Aufbauorganisation. Das Zusammenspiel zwischen Aufbau- und Ablauforganisation musste neu definiert werden.
Rückblickend haben wir uns zwar stark mit dem «Doing Agile» – also mit Methoden wie Scrum und SAFe – befasst, aber das «Being Agile», also die Entwicklung des agilen Mindsets und agiler Unternehmenskultur, rückte erst 2018 in den Fokus. Erfahrungsgemäss braucht es beides, um wirklich Kundennutzen zu erzeugen und die Wirkung von Agilität voll zu nutzen. Die Zusammenarbeitsprinzipien in einer agilen Unternehmenskultur basieren auf Servant Leadership. Dieses muss im gesamten Management vorgelebt werden.
Für das Mindset gibt es anders als für Scrum kein Handbuch. Man muss diese Kultur entwickeln, das ist viel aufwendiger und benötigt Zeit.
Swisscom hat ungefähr 16 000 Mitarbeitende, von denen ca. 5000 in agilen Konstrukten agieren. Dort gibt es neue Rollen und Verantwortliche, beispielsweise Business Owner, Product Owner, Release Train Engineer, Tribe Chief. So entstand eine Verantwortungsverschiebung von der Aufbau- in die Ablauforganisation. Zudem verlangen neue Rollen zum Teil neue Skills, weshalb auch die Zuteilung neuer Rollen kein reibungsloser Prozess ist. Dies betrifft gleichermassen die Aufgabe für HR, Menschen in dieser Transformation stärker zu begleiten, während die klassischen HR-Business-Themen weiterhin bestehen.
Wir stellten zudem fest, dass wir ein neues Priorisierungssystem brauchten, mit dem die finanziellen Mittel für die anstehenden Vorhaben vergeben werden konnten. Dies sind bei uns die Development Value Streams (DVS), in denen entsprechend einer Einschätzung des Werts von Entwicklungen benötigte Finanzmittel priorisiert werden. Sämtliche Investitionsmittel für Entwicklungen werden derzeit über die Ablauforganisation auf rund fünfzehn DVS verteilt.
Nach der Methode WSJF (Weighted Shortest Jobs First) – einer gewichteten kaskadierten Priorisierung – werden Aufgaben nach verschiedenen Kriterien bewertet. Es geht dabei um Business Value, Risikoreduktion sowie Zeitdruck, alles im Verhältnis zum Umfang der Aufgabe. Mit dieser Methode werden alle Aufgaben von der Strategie bis in die Team Backlogs [1] kaskadiert, was ein klares operatives Vorgehen gewährleistet.
Für die Transformation selbst wurde ein Kernteam aufgestellt, das sich um die Implementierung agiler Arbeitsweisen im gesamten Unternehmen kümmert – das Lean Agile Center of Excellence. Die Gruppe, deren Leitungsausschuss in der Konzernleitung verankert ist, hat die Aufgabe, lean und agile Arbeitsweisen im gesamten Unternehmen zu skalieren, etwa durch Setzen bestimmter Standards für die Zusammenarbeit wie beispielsweise bei den Mitarbeiterbeurteilungen, die in einer agilen Umgebung eher teamzentriert erfolgen. Solche Umwälzungen sind natürlich auch für HR-Manager eine Herausforderung und problematisch, wenn die HR-Abteilung nicht frühzeitig in die Transformation nicht nur involviert wird, sondern vorangeht.
Im Zuge der Transformation sind ca. dreissig teamübergreifende Communities entstanden, die sich als Expertengruppen zu bestimmten Themen zusammengefunden haben. Diese Gruppen agieren autonom und organisieren sich selbst – wie auch die ca. 450 interdisziplinären agilen Teams. Diese Teams arbeiten nach bestimmten agilen Praktiken an ihren Backlogs.
Ich empfehle, mit agilen Pilotteams zu starten, die in einem passenden Kontext (Skills, Führungskultur, Projektlage) arbeiten und offen für agile Arbeitsweisen sind.
Eine Transformationslandkarte schafft Orientierung über Wege und Ziele, die das Unternehmen mit der Transformation erreichen will. Ich empfehle, ein interdisziplinäres Transformationsteam zusammenzustellen,
das Orientierung schafft und unter anderem auch mit HR-Expertise besetzt ist.
Dies ist eigentlich ein bekanntes Führungsprinzip, und es gilt in der agilen Transformation ebenso. Wenn man Geschäftsbereiche in dieser Transformation zurücklässt, bremst der Aufholprozess andere Teams aus. Ich empfehle, alle Beteiligten aus allen Bereichen, die für ein Produkt und den Kundennutzen wichtig sind, in agilen Teams an Bord zu nehmen. IT und Business brauchen eine synchronisierte Gangart. Der Nutzen ist beschränkt, wenn agile Arbeitsweisen nur in der Entwicklung angewendet werden, aber die Rollen noch konventionell arbeiten; dadurch wird Time to Market nur bedingt verbessert.
Mit den neuen Arbeitsweisen entstehen auch neue Leadership-Rollen. Die bisherigen Rollen verlieren an Gewicht. Vor allem das Topmanagement braucht eine Perspektive, welche Rolle es in einer agilen Unternehmenskultur einnehmen wird. Wir haben beispielsweise Managementrollen, in denen Menschen geführt werden, und Rollen, in denen die Inhalte gesteuert werden. Es ist wichtig, dass die oberen Führungskräfte verstehen, was von ihnen in einem agilen Mindset erwartet wird.
Ich empfehle, bewusst die Arbeit im und die Arbeit am System zu trennen. Beispielsweise muss ein Reflexionsmeeting zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden als eine Besprechung zum Inhalt einer Aufgabe. Dies drückt sich auch in der Trennung der Rollen nach Produktfokus und Prozessfokus aus, also beispielsweise in den Rollen Product Owner und Agile Coach.
Für überschaubare Zeiträume sollten Ziele und wichtigste Ergebnisse definiert und gemessen werden, und zwar in kurzen Kadenzen wie Quartalen. Mögliche Metriken können sein: Durchlaufzeit in der Entwicklung (End-to-End), Mitarbeiter- oder Kundenzufriedenheit.
Wer einen grossen Schritt machen will, sollte mit kleinen Schritten starten und mit Ausdauer beständig neue Ziele anpeilen.
Skeptiker gibt es immer. Es muss Zeit eingeplant werden, um sie zu involvieren und ihnen Mehrwert aus ihrer Perspektive zu vermitteln.
Man kann zu Beginn nicht wissen, welche Hürden einem auf dem Weg der Veränderung begegnen. Gerade deshalb ist dieser Punkt wichtig: Die Transformation selbst ist ein agiles Projekt und muss über verschiedene Iterationen seine genaue Form finden. Konsequenz erfordert Mut. Die Transformation der Organisation muss von einem Product Owner getrieben werden – eine Rolle, für die sich HR-Fachleute anbieten, da es hierbei um ein Organisationsentwicklungs-Vorhaben geht.
Alle Transformationsschritte müssen für Mensch und Organisation verdaubar sein. Dies ist eine Gratwanderung einerseits raus aus der Komfortzone, die aber andererseits nicht in Überforderung münden darf. Erfahrungsgemäss
hat mit einer agilen Transformation das Management mit grösseren Herausforderungen
zu kämpfen als die Teams selbst.
Welche Werte und Persönlichkeitsdimensionen unterscheiden die Generationen und welche Schlussfolgerungen lassen sich für eine gewinnende Ansprache ziehen?
In den letzten zehn Jahren hat die Frauenquote im Management und im Verwaltungsrat von Schweizer Firmen leicht zugenommen. In den Westschweizer Kantonen und im Tessin gibt es tendenziell weniger Frauen in den Chefetagen als in der Deutschschweiz. Zudem gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Branchen.
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