Brücken zwischen Generationen bauen

Donnerstag, 29. Oktober 2020 - Karen Heidl
Slavica Sovilj kennt als Outplacement-Beraterin und Coach die Realität des Generationen-Managements in vielen Facetten. Im Interview berichtet sie von den unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Denkmustern und wie diese überwunden und für Unternehmen fruchtbar gemacht werden können.
Frau Sovilj, woran merkt man in einer Organisation, dass etwas zwischen den Generationen nicht stimmt?

Wir haben heute mindestens drei Generationen in den Unternehmen, die vierte kommt bereits nach. Das kann zu Konflikten führen. Dazu ein Beispiel: In einer Firma mussten immer die Älteren einspringen, wenn die Jüngeren ihre Arbeit nicht fertig gemacht haben und keine Überstunden dafür aufwenden wollten. Oder es gab Konflikte, wenn die Jüngeren ihre Ferien beziehen wollten und auf diejenigen, die Kinder hatten, Rücksicht nehmen mussten. Die Jüngeren wurden von den Älteren als wenig pflichtbewusst eingestuft, die Jungen argumentierten, dass die Älteren zu langsam seien.

Was sind die Ursachen?

Es gibt tief verankerte unbewusste Vorurteile, die sich in den letzten Jahren akzentuiert haben, beispielsweise: Je älter, desto unflexibler, langsamer, teurer, inkompetenter ist man. Im Zeitalter der Digitalisierung spricht man einer gewissen Alterspopulation über 45 einfach Skills und Lernfähigkeit ab.

Grundsätzlich haben solche Konflikte mit der Unternehmenskultur zu tun: Was wird vorgelebt? Meist machen sich die Führungskräfte gar nicht bewusst, wie sich die Mitarbeiterpopulationen zusammensetzen und was dies für die Interaktion bedeuten kann.

Ein dritter Aspekt ist der Kostendruck. In Krisen wie beispielsweise jetzt in Corona-Zeiten müssen die bauenUnternehmen sparen. Dann fällt auf, dass die Saläre und Sozialkosten für über fünfzigjährige Beschäftigte häufig höher sind als die der jüngeren Mitarbeitenden. Wir haben in der Schweiz ja das ungeschriebene Gesetz: «Man verhandelt einen Lohn nicht neu.» Das ist natürlich sehr schwierig, aber eigentlich muss darüber eine transparente Diskussion geführt werden. Keine Firma möchte sich dem Verdacht der Altersbenachteiligung aussetzen, deshalb sind solche Themen häufig tabu.

Gemäss OECD-Erhebung [1] ist der Anteil der älteren Erwerbstätigen in der Schweiz im internationalen Vergleich recht hoch. Wenn Sie allerdings ihren Job verlieren, benötigen sie sehr viel länger,[2] um eine neue Anstellung zu finden.

Genau. Ich beobachte dies auch in meiner Tätigkeit: Je höher qualifiziert, je höher die Karrierestufe, umso länger dauert es. Allerdings spielen auch andere Faktoren wie Vernetzung in der Branche eine Rolle oder die Bandbreite der Erfahrung in verschiedenen Unternehmen. Was früher eine Tugend war, ist heute eher ein Nachteil. Die Firmen suchen häufig nach passgenauen Matches, anstatt in die fachliche Einarbeitung auch älterer Bewerber wirklich zu investieren – anders ist dies noch bei Hochschulabsolventen. Budgets für externe Weiterbildungen kommen eher jüngeren Mitarbeitenden zugute.

Sie meinen, das hat System?

Ob Leute fortbildungswillig sind, hängt neben der Persönlichkeit sehr von ihrem Ausbildungsgrad ab. Gut Ausgebildete lernen normalerweise ihr Leben lang. Häufig besteht allerdings das Problem, dass keine Zeitressourcen zur Verfügung stehen. Hier wären Unternehmen gefordert, den Mitarbeitenden Zeitkontingente zur Verfügung zu stellen. Es ist natürlich auch eine Einstellungssache, lebenslanges Lernen als in der Eigenverantwortung des Einzelnen liegend zu betrachten. Selbstverständlich sollte man den Mitarbeitenden zutrauen, für sich selbst die richtigen Entscheidungen treffen zu können – auch ohne Zustimmung der Vorgesetzten. Doch es sind auch unterstützende Rahmenbedingungen notwendig. So könnten sich Mitarbeitende auf einen eventuell notwendigen Jobwechsel zumindest vorbereiten.

«Es gibt keinen Grund, nicht lernfähig zu sein.»

Slavica Sovilj ist seit 2009 Inhaberin der Firma Potenzial Plus GmbH, Zürich, die auf Coaching, Teamentwicklung und Organisationsberatung spezialisiert ist. Vor der Selbständigkeit war sie viele Jahre als Führungskraft im Management internationaler Grossunternehmen tätig. Sie machte ihren Master an der Universität Zürich und absolvierte ein Nachdiplomstudium in Coaching und Supervision am Institut für Angewandte Psychologie (IAP). Ausserdem ist sie zertifizierte ZRM-Trainerin (Zürcher Ressourcen Modell) sowie PSI--Diagnostikerin und -Beraterin.

Was sind Komponenten einer Unternehmenskultur, die eine lebensphasengerechte Weiterentwicklung der Mitarbeitenden ermöglicht?

Man sollte sich im ersten Schritt einmal mit der Zusammensetzung (Population) der Mitarbeiterschaft auseinandersetzen. Häufig bauen sich Konflikte entlang der Generationen-Gaps auf. Man kann Teams dafür sensibilisieren. In Generationen-Workshops lasse ich die verschiedenen Generationen ihre Prägungen und unterschiedlichen Wahrnehmungen entdecken und diskutieren. Meist schafft man dadurch gegenseitiges Verständnis und überwindet Hemmnisse.

Wichtig sind zudem gemischte Teams. Man kann auch Tandems einführen, bei denen es darum geht, voneinander zu lernen. Diese arbeiten dann an bestimmten Themen zusammen, die zuvor aufgefächert sein sollten. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht, weil sich in dieser Zusammenarbeit auch Netzwerke mischen. Man muss bei solchen Programmen immer dafür sorgen, dass kein Gefälle zwischen Jung und Alt erzeugt wird, sondern der Austausch auf Augenhöhe zwischen den Generationen stattfindet.

Programme zum lebenslangen Lernen unterstützen die Integration ebenfalls. Es gibt zwar immer Mitarbeitende, die für Weiterbildungen weniger aufgeschlossen sind, diese erreicht man aber noch häufig mit niederschwelligen internen Angeboten. Ein niederschwelliges Programm kann ein Sprach- oder Excelkurs sein. Dies ist meist einfach umzusetzen. Regelmässig führe ich Seminare zu «Gehirngerechtem Arbeiten» durch, die zeigen, dass Menschen im mittleren Alter noch hochleistungs- und lernfähig sind. Es gibt keinen Grund, nicht mehr zu lernen, es braucht hauptsächlich Motivation und Übung.

Empfehlenswert zur Vorbereitung einer grösseren Weiterbildung sind Workshops zur Standortbestimmung, in denen die Teilnehmenden sich damit beschäftigen, wie sie ihre nächsten Entwicklungsschritte sehen, und diese dann mit ihren Vorgesetzten auch diskutieren. In einem solchen Seminar werden die Teilnehmenden auch angehalten, sich zu überlegen, wie sie die nächsten Ziele erreichen, welche Rolle das interne oder externe Netzwerk spielt oder wie sie ihre Selbstvermarktung betreiben. Diese Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Stärken mobilisiert die meisten, sich nochmals aktiv mit der eigenen Karriere auseinanderzusetzen.

Welche Faktoren bremsen die Motivation älterer Mitarbeitender?

Wenn Menschen feststellen, dass ihre Merkfähigkeit abnimmt, verunsichert das. Dies bedeutet aber nicht, dass man kognitiv abbaut. Man würde ja auch keinem Arzt unterstellen, dass er mit sechzig ein weniger guter Mediziner ist als mit dreissig. Das Erfahrungswissen kompensiert altersbedingte, kognitive Verlangsamung. Ein guter Arzt wird mit den Jahren meist noch besser. Die Selbstwahrnehmung wird häufig von der Kultur beeinfl usst. Wenn man sich in einem Umfeld bewegt, in dem man mit fünfzig als alt bezeichnet wird, dann versucht man, sich nur noch bis zur Pensionierung «durchzuretten». Das sind 10 bis 15 Jahre. In zehn Jahren hat man aber zwischen 25 und 35 eine ganze Karriere gemacht! Das kann man auch mit 50. Leider wird das heute nur von wenigen so gesehen. Gleichzeitig spricht man von Fachkräftemangel. Da frage ich mich: Wovon sprechen wir da genau?

In einer altersdiskriminierenden Kultur, in der Leute ab 45 nicht mehr eingestellt werden, verhält man sich als älterer Mitarbeiter auch anders. Dann fordert man nicht, will keine Fehler machen. Die Leute geraten in eine Paralyse und schöpfen ihre Potenziale nicht mehr aus. Stellenverlust hat heute selten mit Leistung zu tun. Es kann heute jeden treffen. Ursächlich ist Kostendruck. Digitalisierung ist nur bedingt ein Grund. Die Jüngeren sind zwar mit Screens aufgewachsen, aber das grundsätzliche Verständnis für Digitalisierung ist nicht grösser. Relevant ist nur das Inter-
esse für bestimmte Themen.

Wie haben Sie ältere Mitarbeitende in Transformationsprozessen wahrgenommen?

Dies hängt von ihrer Rolle und Funktion ab. Häufi g gibt es ältere Entscheidungsträger, die die Transformation vorantreiben. Ältere haben bestimmte Kompetenzen, die altersspezifi sch sind und in diesem dynamischen Geschäftsfeld extrem wichtig sind, beispielsweise Gelassenheit im Umgang mit Ungewissheit oder Krisen, Entscheidungsfähigkeit auch mit unvollständigen Informationen, Helikoptersicht, stärkere Prioritätenorientierung, langfristiges Denken und Mitbedenken von Konsequenzen. Dazu fehlt Jüngeren meist die Erfahrung. Deshalb ist eine gute Durchmischung der Teams wichtig. Man muss aber immer bedenken, dass es unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale gibt, die diese Kompetenzen auch beeinfl ussen. Ob man beispielsweise grundsätzlich offen für Neues ist, ist sehr oft altersunabhängig.

Heute sind die Hierarchien durchlässiger. Junge führen auch schon einmal Ältere. Das ist mitunter schwierig, weil Jüngere auch Hemmungen haben, sich gegenüber Erfahreneren durchzusetzen oder nicht wissen, wie. Hier muss bei der Führungsausbildung angesetzt werden. Führungskräfte müssen darin geschult werden, wie sie den unterschiedlichen Altersgruppen gerecht werden können, um die Potenziale aller Altersgruppen auszuschöpfen und ein Klima der gegenseitigen Wertschätzung zu schaffen.

[1] OECD 2020.
[2] Staatssekretariat für Wirtschaft SECO: Bericht Ältere Arbeitslose 50+.

 

Take-Aways

  • Eine Reflexion der Zusammensetzung der Mitarbeiterschaft ist ein erster Schritt, Altersdiversität in der Führung zu adressieren.
  • Die Selbstwahrnehmung im Alter wird von der Unternehmenskultur beeinfl usst:
    Gilt man als «zu alt», fühlt man sich auch «zu alt».
  • In Generationen-Workshops können Teams generationsspezifische Prägungen
    entdecken und diskutieren.
  • Lebenslanges Lernen sichert die Arbeitsmarktchancen auch älterer Mitarbeitender ab. Unternehmen sollten hierfür allen Mitarbeitenden gleichberechtigt Ressourcen zur Verfügung stellen.

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