Computer says no

Donnerstag, 20. März 2025 - Karen Heidl
KI-basierte Technologien wie Chatbots und Self-Service-Tools halten ungebremst Einzug. Sowohl in der Interaktion mit externen Kunden – aber auch im Austausch mit «internen Kunden» zwischen HR und Mitarbeitenden. Wie KI und Human Intelligence für eine bessere Kundenorientierung ­zusammenwirken müssen: Die Service-Expertin Petra Rüegg kommentiert vier kritische Thesen zur Kundenorientierung im KI-Zeitalter.

Petra Rüegg

leitet das Unternehmen QPM Service Excellence. Mit über 20 Jahren Erfahrung in Führung, Marketing und Kommunikation im In- und Ausland hat sie sich auf das Thema Servicekultur in der digitalen Welt spezialisiert und ist beratend, als Coach und Trainerin in Changeprojekten in Unternehmen und Organisationen tätig.
Sie ist zudem Jury­mitglied des Swiss Customer Relations Award, Autorin und Dozentin an diversen Hochschulen für Unter­nehmenskultur, Leadership und Kommunikation.
qpm-ms.ch

Der Geduldsfaden reisst fast: Das Anliegen brennt, und das KI-Assistenzsystem in der Hotline spult provozierend langsam und umständlich die immergleichen Fragen ab, auf die man als Kundin keine Antwort weiss. Auf Verdacht antwortet man. Gerät man dann an einen leibhaftigen Menschen und wird endlich das Problem los, stellt sich heraus: falsch verbunden. Zurück geht es in die Warteschleife, und nach einer Weile geht der «Spass» wieder von vorne los.

Das könnte anders laufen. Heute könnten Sprachassistenzsysteme das Anliegen auch aus natürlicher Sprache herausfiltern, Abfragen nach einer starren, zum Teil für die Kundschaft unverständlichen Taxonomie wären eigentlich nicht mehr notwendig. Aber auch der menschliche Kundenservice im Callcenter sollte in diesem Beispiel alles daransetzen, die «Irrläuferin» schnell zu ihrem Ziel zu bringen.

Eine wichtige Überlebenstechnik angesichts solcher Erfahrungen ist Humor. Bereits vor 20 Jahren parodierte eine britische Sketch-Comedy-Serie mit dem Titel «Little Britain» Kundenservice in digitalen Zeiten. Eine der Charaktere war eine mürrische Bankangestellte und Reiseberaterin, deren Standardantwort auf Anfragen lautet: «Computer says no.» Wenn wieder einmal richtig gelacht werden muss, empfiehlt sich folgender Link: bit.ly/3Ew55Nw

Vier Thesen zur Kundenorientierung in Zeiten der Digitalisierung

Die Selbstwahrnehmung von Unternehmen im Hinblick auf ihre Kundenorientierung entspricht nicht immer der Fremdwahrnehmung. Digitale Prozesse haben ein grosses Potenzial, den Kundenservice zu verbessern, aber sie bringen auch Risiken mit sich. Penso legte Petra Rüegg, Kommunikationsexpertin für kundenorientierte Service-Erbringung und -Optimierung im Kundenkontakt, vier kritische Thesen in Zeiten von KI vor.

 

These 1: Digitalisierung führt zu einer ­Anonymisierung des Kundenkontakts

Die zunehmende Automatisierung und der Einsatz von KI-basierten Technologien wie Chatbots und Self-Service-Tools reduzieren die persönliche Interaktion mit Kunden. Dies kann dazu führen, dass die emotionale Bindung zwischen Unternehmen bzw. Kundenbetreuenden und Kunden leidet, denn Kunden erwarten personalisierte und empathische Interaktionen, die Technologie oft nicht in vollem Umfang liefern kann.

Petra Rüegg: Erwartungsmanagement und Kommunikation sind der Schlüssel im Kundenkontakt

«Natürlich gehören KI und Self-Service bereits zu unserem Alltag, und die Entwicklungen schreiten rasant voran. In vielen Business-Modellen sind neueste Technologien ein sinnvoller, integraler Bestandteil, um Kunden eine möglichst effiziente Lösung anzubieten. Ich denke dabei an Buchungs- und Bestellfunktionen, Terminvereinbarungen, Rückrufoptionen etc. Unsere Erwartungen z.B. an 24/7-Erreichbarkeit wachsen mit und werden zur ganz ‹normalen› Service­leistung. Persönliche Interaktionen sind da also längst nicht mehr die beste, einfachste und schnellste Lösung.

Für Kundinnen und Kunden unzufriedenstellend wird es erst, wenn sie sich in der Interaktion nicht verstanden fühlen und Anliegen nicht zielführend platziert werden können. Deshalb sehe ich zurzeit das grösste Potenzial für zufriedenstellenden Kundenkontakt in der Optimierung der Kommunikation an den Schnittstellen, z.B. zwischen einem Chatbot und dem Mitarbeitenden in der Hotline.

Heute genügt es nicht, Mitarbeitende ohne entsprechende Schulungen ans Telefon zu setzen. Die Herausforderungen im Gespräch liegen meist darin, auch mit den Emotionen und dem aufgebauten Druck bei Kunden umzugehen: Diese haben sich vielleicht schon geärgert, weil die richtige Telefonnummer auf der Website schwer aufzufinden war oder weil die Wartezeit in der Warteschlaufe sehr lang war. Im Gespräch können mit Empathie und Authentizität das Vertrauen und die emotionale Kundenbindung wieder gestärkt werden.

Was wird erwartet von einem Chatbot? Auf dem Markt gibt es sehr gute und auch schlechte Beispiele. Grossunternehmen legen hier sicherlich die Messlatte für die laufende Qualitätsentwicklung hoch, da sie offensichtlich viel mehr Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten haben als der Grossteil von kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU). Aber auch in kleineren Unternehmen lohnt es sich, mit einfachen, aus der Kundenperspektive durchdachten Optimierungen am Ball zu bleiben, um Standardprozesse, Suchoptionen oder Buchungsanfragen für Kunden auf der Website zu vereinfachen.

Der Grad der erwarteten, persönlichen Begleitung ist auch eine Frage des Geschäftsmodells: Handelt es sich um eine digitale Plattform mit einer durchgehenden digitalen Kundenerfahrung, so werden Verkaufsprozesse datenbasiert effizient gesteuert. Kunden sind sich hier allerdings zu wenig bewusst, dass bei diesen Plattformen bei Problemen oft kein persönlicher Kontakt ‹möglich› ist. Oder handelt es sich um eine Unternehmung, die Beratungsdienstleistungen anbietet? Dann ist der persönliche Kundenkontakt sehr wichtig. Aber auch hier kann es Schnittstellenprobleme geben; ich nenne ein Beispiel von einer Versicherung: Auf einem Brief steht die Telefonnummer der lokalen Vertretung. Das Telefon wird aber an eine Zentrale weitergeleitet. Mit dem Betreuer kann man also nicht direkt sprechen. Das kostet Zeit, führt zu Missverständnissen und wieder zusätzlichen Schnittstellen, weil die telefonische Mitteilung intern per Mail weitergeleitet werden muss. Und wenn es schlecht läuft, entstehen bei dieser Übermittlung Fehler.»

These 2: Die Standardisierung kundenbezogener Prozesse lässt zu wenig Raum für individuelles Eingehen auf die Kundinnen und Kunden

In digitalisierten Serviceprozessen erhalten Kunden häufig standardisierte Antworten oder Lösungen. Dabei wird ignoriert, dass nicht alle Kunden dieselben Bedürfnisse, technischen Fähigkeiten oder Präferenzen haben. Ein «One size fits all»-Ansatz widerspricht dem Kernprinzip der Kundenorientierung, nämlich individuell auf Kunden einzugehen.

Petra Rüegg: Die Standardprozesse und Schnittstellen von technischen Assistenzsystemen zu einem persönlichen Kundenservice müssen sorgfältig reflektiert und umgesetzt werden

«Für Unternehmen ist es immer eine Herausforderung und auch eine Frage der zur Verfügung stehenden Ressourcen, wenn ein Anliegen oder ein Prozess nicht standardisiert bearbeitet werden kann. Kosten-, Zeitdruck, Fachkräfte ... Wir kennen die Themen. Wer sich regelmässig mit der Customer-Journey auseinandersetzt, entdeckt rasch, wo und wann gute Standards greifen und wo es die Kompetenz für individuelle Entscheidungen braucht. Nicht jedes Unternehmen fährt mit der Servicestrategie ‹Geht nicht, gibt’s nicht›, aber vielleicht würde es helfen, die zu eng gewordenen Prozessstandards immer wieder zu optimieren, damit sich Kunden besser verstanden fühlen.»

These 3: Die Verantwortung für zufriedenstellende Serviceprozesse innerhalb des ­Unternehmens wird nicht mehr ausreichend von Mitarbeitenden übernommen

Servicemitarbeitende nehmen eine passive Haltung ein; sie sehen sich dem System «aus­geliefert» und übernehmen keine persönliche Verantwortung. Dies kann zu Frustrationen aufseiten der Kundinnen und Kunden führen.

Petra Rüegg: Service-Mindset, Fachwissen und Handlungsspielräume sind unabdingbar für guten Kundenservice

«Der Kundendialog ist der ‹Moment der Wahrheit›, in dem sich entscheidet, wie zufrieden die Kunden sind und wie gut Unternehmen ihre Kunden wirklich verstehen wollen. Ich kenne motivierte Kundendienstmitarbeitende, die engagiert mit ihrem Service-Mindset, ihrem Fachwissen, ihren Erfahrungen einen brillanten Job in der Interaktion mit dem Kunden machen. Hier haben es die Führungskräfte in ihrer Vorbildrolle geschafft, im Unternehmen eine Lern- und Vertrauenskultur zu schaffen. Ein Beispiel: Wenn trotz üblicher Prozessvorgaben im Verkauf darauf geachtet wird, dass die Mitarbeitenden bei Kundenreklamationen in einem gewissen Rahmen sofort eigenverantwortlich über kulante Massnahmen entscheiden können, sind sie sehr viel besser in der Lage, direkt Kundenzufriedenheit zu erzielen. Dies ist sowohl für Mitarbeitende als auch für Kunden eine positivere Erfahrung. Passivität und Frustration im Kundendienst zeigen sich, wenn das Gefühl aufkommt, nicht mehr den besten Job beim Kunden machen zu können. Einige Gründe, die ich immer wieder beobachte, sind z.B. mangelnde Mitarbeiterschulung, mangelnde Unterstützung durch Führungskräfte, mangelnder Zugriff auf relevante Informationen oder Systeme, die eigenverantwortliches, kundenorientiertes Handeln zu stark einschränken. Ein typischer Satz, den wir dann von Callcenter-Mitarbeitenden hören, lautet zum Beispiel: ‹Tut mir leid. Da kann ich leider nichts machen. Das System lässt es nicht zu.› Solche Situationen müssen antizipiert werden, um dafür eine Vorgehensweise zu entwickeln. Natürlich kann man sich auch hinter Standards verstecken, aber wenn die Systemsteuerung wirklich so strikt ist, dann sollte der Kundendienst zumindest befähigt werden, dem Kunden machbare Alternativen anzubieten. Wichtig ist, dass sich der Kunde zumindest verstanden fühlt. Aber auch die Mitarbeitenden müssen sich verstanden fühlen. Ideen, Projekte und Verbesserungsvorschläge von Kunden, die der Kundendienst einbringt, erhalten innerhalb des Unternehmens mitunter zu wenig Gehör, oder das Management fällt Entscheidungen, ohne die betroffenen Kundendienstmitarbeitenden ausreichend zu involvieren. Ziele, Veränderungsmassnahmen oder die Einführung neuer Technologien werden zu wenig klar kommuniziert und begleitet. Ein Beispiel: In einem Callcenter wurden die Mitarbeitenden vom Management angehalten, ihre Telefonate kürzer zu gestalten. In der Folge entdeckten die Mitarbeitenden eine Möglichkeit, das Monitoring-System auszutricksen. So etwas kann nicht die Lösung sein. Hier mangelte es an einer gemeinsamen Sicht auf die Zielsetzung der verordneten Massnahme und letztlich an Kommunikation miteinander. Und dies wirkt sich auf die Kunden aus. Im Innen wie im Aussen. Deshalb finde ich den Ansatz der lernenden Organisation mit einer strategisch verankerten Service-Vision interessant. Die Servicekultur baut darauf auf, durch gemeinsame Ziele und Werte, wertschätzende Kommunikation, Offenheit für Neues zielgerichtete neue Lösungen zu entwickeln. Ein solches Klima motiviert und fördert die Kreativität und setzt Vorbilder mit entsprechenden Führungskompetenzen voraus. Hier gilt es, auch die Führungskräfte in ihrer anspruchsvollen Rolle zum Beispiel mit Coachings und Trainings zu stärken.»

These 4: Datenbasierte Kundenzufriedenheitsanalysen spiegeln den Ist-Zustand, geben aber keine Zukunftsorientierung

Mangelnder persönlicher Kundenkontakt führt dazu, dass zukünftige Bedürfnisse nicht aus dem Kundenkontakt heraus identifiziert werden können (und stattdessen aus ­anderen Daten- und Dritt-Informationsquellen stammen). Dies kann Innovation hemmen.

Petra Rüegg: Wenn man den Kunden wirklich ­verstehen will, braucht es den Dialog

«Bestimmte Muster lassen sich über die Sammlung und Auswertung von Kundendaten sicherlich gut erkennen. Aber Menschen sind nicht in allen Konsumgewohnheiten konsistent: So geht auch eine Porschefahrerin beim Discounter einkaufen. Man kann nicht alles kategorisieren. Trotzdem geben Kundenzufriedenheitsanalysen und beispielsweise der NPC (Net Promoter Score/Weiterempfehlungsindex) Hinweise darauf, wo man mit der Kundenzufriedenheit steht. Bei den häufig durchgeführten Online-Umfragen erhält man allerdings auch nicht unbedingt ­vertiefte Informationen über mögliche Probleme und ­Erwartungen der Kunden. Deshalb sind persönliche Ge­spräche wichtig, die die Möglichkeit geben, nachzufragen und mehr Details zu erfahren. Es ermöglicht zu erkennen, wenn Kunden neue Interessen oder Bedürfnisse haben, die sich noch nicht in historischen Verhaltensmusterdaten abbilden. Diese gilt es frühzeitig zu erkennen und vielleicht sind wir heute schon etwas befragungsmüde.»

KI im Kundendienst

Der Service Excellence Report 2024 ist ein umfassender europäischer Service Center Benchmark. Die Ausgabe 2024 zeigt zudem, wie KI-Trends die Aufgaben und Fähigkeiten in Serviceorganisationen neu definieren. PDF CHF 1000.–

Take Aways

  • KI kann Prozesse effizienter machen, kann und darf jedoch nicht die persönliche Bindung und Empathie im Kundenkontakt ersetzen. Eine Balance zwischen Technologie und menschlicher Interaktion ist essenziell.
  • Standardisierte Lösungen ignorieren individuelle Kundenbedürfnisse. Die Kombination aus technischen Systemen und befähigtem, kompetentem Servicepersonal ist notwendig.
  • Kundendienstmitarbeitende benötigen Handlungsspielräume, Fachwissen und gute Kommunikationskompetenzen, um effektiv auf Kundenanliegen einzugehen und Verantwortung zu übernehmen.
  • Analysen von Kundendaten zeigen den Status quo, ersetzen aber nicht den Dialog mit Kunden, der künftige Bedürfnisse und Innovationen fördert.
  • Reibungslose Übergänge zwischen KI, digitalen Tools und persönlichem Service sind entscheidend, um Frustration und Fehler zu minimieren.

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