Die «Generationenfrage» - ein Mythos?

Donnerstag, 10. Oktober 2024
Die Referentinnen und Referenten des diesjährigen Ostschweizer Personaltags gingen der Frage nach, welche Rolle die verschiedenen Generationen im Wandel der Arbeitswelt spielen.

Glaubt man der Präsenz der Generationenthemen in den Medien, entsteht der Eindruck, dass die Generation Z ein vehementer Treiber kultureller Veränderungen in Unternehmen sei. In den einschlägigen Headlines tobt der Kampf der Generation Z gegen die Boomer und Generation X. Die gegenseitigen Unterstellungen sind bunt, aber wenig originell: Die Boomer (ab Jahrgang 1940 – 1964) gelten als digitale Hinterwäldler, während Generation Z (ab 1995) faul und praxisfern die verwöhnten Wohlstandgören ohne Mumm in den Knochen geben. Solche Stereotypen kannte schon die Elterngeneration der Boomer, deren Eltern und deren Grosseltern usw. Was davon zu halten ist, wurde inzwischen in einer ganzen Reihe von Studien untersucht

Unscharfer Generationenbegriff 

Dr. Ronald Ivancic, Dozent am Institut für Organisation und Leadership an der Ostschweizer Fachhochschule, fasste die Ergebnisse der Studien über Unterschiede der Generationen als trivial und wenig überraschend zusammen. Er führte aus, dass eine Einordnung von Menschen anhand einer Gruppierung in Generationen sehr unscharf sei. Ein junger Mensch könne einen konservativen, arrivierten Lebensstil pflegen, während sich Vertreter der Boomer progressiv modern geben könnten. Eine Gruppenkohäsion anhand des Geburtsjahrs sei kaum feststellbar, so Ivancic. Anders sähe dies beispielsweise bei Menschen aus, die Vorlieben und Lebensstile teilten, was sich am ehesten am Konsumverhalten festmachen liesse. Er erinnerte an die bekannten Sinus-Milieus, mit den Zielgruppen im Marketing zusammengefasst werden. «Man muss sich vom Generationenmythos trennen», sagte Ivancic in seinem Vortrag. Studien zeigten, dass die Unterschiede zwischen Generationen eher altersbedingt durch Lebensphasen entstünden, also durch Kindererziehung, gesundheitliche Faktoren, Karriereentwicklung, Einkommen. Er appellierte an die Unternehmen, ihren Mitarbeitenden lebensphasengerechte Rahmenbedingungen zu ermöglichen. 

Ronald Ivancic Ronald Ivancic

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Dossier Generationen

Generationenfragen im Reality-Check 

Um den Programmpunkt «Generationentalk» konnte man die Moderatorin Sabine Bianchi nur schwerlich beneiden. Es galt, mit zwei Vertreterinnen der Generation Z, Anastasia Kurer, Teilzeitmitarbeiterin und engagierte Bewerberin, und der Generation Y, Michèle Mégroz, CEO CSP AG, sowie einem Vertreter der Boomer-Generation, Ivo Riedi, Head of Vocational Training / Leiter Berufsbildung SFS Group Schweiz, eine 45minütige Diskussion über generationale Befindlichkeiten und Erfahrungen im Unternehmen zu führen. Mégroz und Riedi begrüssten den Appell von Ivancic zur Schaffung lebensphasengerechter Rahmenbedingungen in Unternehmen, während auch Kurer prägnant zusammenfasste: Generationenthemen seien in ihrer Altersgruppe zumindest nicht wirklich relevant. Man beschäftigte sich wenig mit generationalen Fragen. Mégroz mahnte zudem, dass eine Differenzierung von Entwicklungsangeboten und Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Arbeitsalltags nicht generationenspezifisch erfolgen dürfe, sondern jedem Einzelnen in seiner individuellen Lebensphase zur Verfügung stehen müsse. Der aktuelle Fachkräftemangel erfordere geeignete Massnahmen, um jüngere und ältere Mitarbeitende an das Unternehmen zu binden und auch nach Beendigung eines Anstellungsverhältnisses als potenzieller Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, zu dem man gegebenenfalls zurückkehren würde.  

Generationen-Talk, von links: Sabine Bianchi, Ivo Riedi, Michèle Mégroz, Anastasia Kurer Generationen-Talk, von links: Sabine Bianchi, Ivo Riedi, Michèle Mégroz, Anastasia Kurer

Employer Brand muss Werte spiegeln 

Konsequenterweise muss der Employer Brand den Wertewandel spiegeln, der traditionell stark von jüngeren Menschen getrieben wird. Gefragt nach ihren Erwartungen an Arbeitgebende sagte Anastasia Kurer, dass ihr eine Kultur der Offenheit, Angstfreiheit und Nachhaltigkeit am wichtigsten im Unternehmen sei. Diese Werte standen noch vor 20 Jahren nicht unbedingt auf der Top-Prioritäten-Liste von Unternehmen und die Generation X und die Boomer haben sich damit – wohl oder übel  arrangiert, auch wenn sie selbst in den noch mehrheitlich autoritär geprägten Erziehungsstilen der damaligen Zeit andere Kerndisziplinen erlernen mussten.  

Michèle Bongetta, Geschäftsführerin der Rehakliniken Zihlschlacht und Dussnang, zeigte in ihrem Vortrag, dass ein Kulturwandel auch in einer traditionell geprägten Branche wie dem Gesundheitsbereich möglich ist. Flexibilisierung der Arbeit, Lösungen für lebensphasenbedingte Bedürfnisse, Dialogkultur statt jährliche Leistungsbenotungen und eine dynamische Lernkultur zeigen den Rahmen der Möglichkeiten auf, in dem sich Kultur wandeln kann. 

Das Individuum im Zentrum 

Leider kann man aus der Liberalisierung der gesellschaftlichen Werte nicht ableiten, dass die Generation Z heute angstfrei sei. Ganz im Gegenteil, erzeugen heute Soziale Medien bei der jungen Generation einen hohen Erwartungsdruck punkto Aussehen, Karriere, Haltungen und diverser anderer Aspekte des Lebens, bezeugte Anastasia Kurer. Michele Mégroz ergänzte, dass sie dies allerdings auch bei älteren Menschen beobachte, auch dies sei nicht unbedingt ein Generationenproblem, es komme immer auf den einzelnen Menschen an. 

Generationale Diversität sichert Zukunft 

Ein Plädoyer für die Generationenvielfalt in den Unternehmen hielt Hans Rupli, Präsident der Initiative focus 50+. Anliegen dieses Netzwerks von Unternehmen unter dem Patronat des Schweizer Arbeitgeberverbands (SAV) ist es, Unternehmen darin zu unterstützen, die Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Mitarbeitenden zu fördern sowie den Nutzen einer erfolgreichen Zusammenarbeit der Generationen in der Wirtschaft aufzuzeigen. Sein Referat stand im Zeichen dieser Mission. Generationendiversität sei eine Chance, erklärte Rupli, von der alle Generationen profitieren könnten. Diese Überzeugungs- und Entwicklungsarbeit sei heute ein dringliches Anliegen, da in den nächsten Jahrzehnten mehr Arbeitskräfte den Markt verlassen als nachfolgen würden. 

Trends & Gegentrends 

Professionelle Profiteure dynamischer Zeiten sind Menschen, die anderen den Wandel erklären, also Berater, Trendforscher oder Visionäre. Dazu gehört seit den 90er Jahren das Zukunftsinstitut, das der deutsche Publizist und Trendforscher Matthias Horx gegründet hat. Kaum jemand, der oder die sich berufsmässig mit Veränderungen in der Arbeitswelt beschäftigt, hat noch nicht von den Megatrends gehört, die das Zukunftsinstitut immer wieder erforscht und dargelegt hat. Dies scheint heute nicht mehr ganz so im Trend zu liegen. Sohn Tristan Horx engagiert sich seit 2023 in einem neuen Unternehmen, Future:Project AG in Frankfurt, auf dessen Website die neue Qualität der Dienstleistungen wie folgt erläutert wird: «The Future:Project steht für eine neue, transformative Form von Zukunftsforschung. Wir blicken dorthin, wo die Zukunft heute verhandelt wird: auf die grossen Transformationen unserer Zeit. Unser Anliegen ist die Erschliessung konstruktiver Möglichkeitsräume für eine lebenswerte Zukunft.» Während diese Erschliessung in die Wurzeln der Gesellschafter dieser AG weist, zwei Brüder aus der Immobilienbranche, ist doch dieses Mission-Statement ganz im Stile der wuchtigen Horxschen Rhetorik gehalten, die auch den Vortrag auf dem Ostschweizer Personaltag prägte – zusammen mit vielen altbekannten Aussagen zum Thema (siehe Artikel zum gleichen Thema). 

Tristan Horx Tristan Horx

Allerdings wurde dies auch ergänzt um eine historische Perspektive, die einen relativ trivialen Bogen von den Jägern und Sammlern über ein paar Zwischenstufen zur heutigen Wissensgesellschaft schlug. Und ohne das Wort «Megatrend» allzu oft in den Mund zu nehmen, ging es um viele Trends und darum, wie sie sich zu einem Epochenwandel verdichten und an einen so genannten Tipping Point kommen, an dem entweder eine Transformation oder eine Regression stattfinde. In der Regression, so Horx, werde die Vergangenheit häufig romantisiert. Eine lineare Erwartungshaltung an die Fortsetzung eines Trends sorge dafür, dass ein Gegentrend lange nicht erkannt werde. Als Beispiel nannte Horx den Megatrend Globalisierung. Am Ende einer Transformation stehe eine mehrheitsfähige Zukunftssynthese. Der weitere Vortrag verlor sich in einer Aneinanderreihung von Thesen, die sich aus einer Vielzahl von Studien aus unterschiedlichen Quellen speisten. Diese aneinandergereihten Schlaglichter auf die Lebenssituation der jüngeren Generation zeigten einige Herausforderungen, mit denen jüngere Menschen im Gegensatz zu den Boomern und der Generation X heute kämpften: Vereinzelung, psychische Probleme, sinkende Reallöhne, ein Mehr an sozialen Lebensformen. Insgesamt liess dieser Vortrag aber eine Essenz vermissen und schloss letztlich mit einem Appell an konstruktive Beziehungsgestaltung zwischen den Generationen. 

Fazit 

Die Referate des Ostschweizer Personaltags machten deutlich, dass Unternehmen heute auf gesamtgesellschaftliche Wertverschiebungen reagieren müssen, die jedoch keineswegs ausschliesslich von der jüngeren Generation getriggert werden. Diese hat jedoch eine klarere Haltung, wenn es darum geht, Werte einzufordern. In der unternehmerischen Realität ist eine faire und dialogorientierte Zusammenarbeit zwischen den Generationen essenziell. Jüngere Mitarbeitende müssen gebunden und ältere Mitarbeitende länger im Job gehalten werden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Diese Herausforderung ist zu meistern, wie viele Aussagen auf während der Tagung zeigten.  

Quelle: Der Artikel beruht auf den Referaten des Ostschweizer Personaltags am 26. September 2024. 

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