Fokus: Wer bist du?
Wie lassen sich Profil und Facetten im Bewerbungsprozess erfassen? Wie gelingen kompetenzbasierte Interviews? Was können Eignungsdiagnostik und Assessments leisten? Unser Fokus liefert Antworten.
Professor Johannes Basch forscht auf dem Feld der Digitalisierung in Rekrutierungsprozessen. Der Wirtschaftspsychologe hat sich eingehend mit den Unterschieden zwischen Vor-Ort- und Video-Interviews befasst. Während die Vorteile des digitalen Mediums auf der Hand liegen – Einsparungen von Reiseaufwand und -kosten, reduzierter ökologischer Fussabdruck – zeigt er im Gespräch mit Penso einige kritische Aspekte auf.
Interviews per Video können synchron oder asynchron geführt werden. Asynchrone Interviews, bei denen die Interviewten während einer Video-Session, die aufgenommen wird, ein Standardset an Fragen ohne Gegenüber beantworten, werden von Bewerbenden nicht gerne absolviert, erläutert Basch den aktuellen Erkenntnisstand aus Studien. Dies sei psychologisch gut nachvollziehbar, denn es fehle in diesem Setting ein Interaktionspartner.
Für Unternehmen biete dieses Vorgehen jedoch gewisse Vorteile: Asynchrone Interviews sind flexibler durchführbar; zudem sind diese Interviews standardisiert und strukturiert. So kann gewährleistet werden, dass jede und jeder die gleichen Fragen in der gleichen Reihenfolge gestellt bekommt. Wenn man Bewerbenden diese Vorteile erklärt, kann das die Voreingenommenheit der Interviewten reduzieren, erklärt Basch einen der wichtigsten Vorteile.
Studien zeigen, dass Video-Interviews generell mit einer schlechteren Akzeptanz bei Bewerbenden einhergehen. Diese habe sich allerdings bei den synchronen Video-Interviews durch die Erfahrungen in der Zeit der Coronapandemie verbessert, während die Werte für Vor-Ort-Interviews und asynchrone Interviews im Vergleich zu 2017 gleich geblieben seien. Professor Basch vermutet, dass die Bewerbenden in dieser Zeit mehr Erfahrungen mit dem Kommunikationsmedium gesammelt haben und damit vertrauter geworden seien: «Die Akzeptanz von Video-Interviews wird sich meiner Einschätzung nach weiter der Akzeptanz von Vor-Ort-Interviews angleichen. Ob sie jedoch irgendwann die gleiche Akzeptanz erreichen, ist fraglich.»
Prof. Dr. Johannes Basch ist Arbeits- und Organisationspsychologe mit Schwerpunkt auf technologievermittelter Kommunikation in
Personalauswahlprozessen. Er lehrt und forscht an der Hochschule Neu-Ulm (Deutschland).
«Ich denke, dass es viele gute, technologisierte Personalauswahlinstrumente gibt, beispielsweise digitale kognitive Leistungstests in der Vorauswahl. Aber Vorstellungsgespräche werden von Bewerbenden gerade deshalb so geschätzt, weil man sich gegenseitig kennenlernen und präsentieren kann. In Video-Interviews sind die Möglichkeiten, sich zu präsentieren, eingeschränkter. Die Bewerbenden möchten lieber vor Ort sein, die Menschen persönlich kennenlernen und die Räumlichkeiten anschauen», sagt Basch, denn ein Bewerbungsgespräch sei auch eine soziale Situation. Diese Einschränkungen und Akzeptanzprobleme im Video-Setting können sich auf die Unternehmensattraktivität auswirken, warnt Basch, denn «in Zeiten des Fachkräftemangels ist es wichtig, dass sich Unternehmen so gut wie möglich präsentieren, damit ihnen gute Kandidatinnen nicht abspringen».
Studien zu der Frage, wie Bewerbende im Vergleich zwischen Video- und Vor-Ort-Interview bewertet werden, zeigten, so Basch, dass in Video-Interviews Bewerbende grundsätzlich schlechter abschneiden. Auf Seiten der Interviewten als auch auf Seiten der Interviewer gebe es Verzerrungen. Die Bewerbenden brächten einerseits schlechtere Leistungen, weil sie sich nicht so gut präsentieren könnten oder weil sie vielleicht in der Video-Situation eingeschüchtert seien. Anderseits liessen sich auch die Interviewer von negativen Faktoren beeinflussen. Basch nennt vor allem zwei:
Hintergründe: Gegenstände im Hintergrund könnten Interviewer ablenken und unbewusste Schlussfolgerungen herbeiführen. Es gebe Studien aus Kanada, die zeigten, dass Hinweise auf politische Zugehörigkeit oder Ordentlichkeit sehr stark in die Bewertung der Bewerbenden einflössen.
Technische Störungen: Unbewusst negativ beeinflussten die Bewertungen auch technische Störungen. «Selbst als man die Interviewer dafür sensibilisiert hatte, waren die Bewertungen immer noch schlechter», erläutert Basch die starke Wirkung von technischen Störungen.
Dauer begrenzen: Während ein Bewerbungsgespräch schon einmal zwei Stunden dauern kann, stelle sich in einem Video-Setting relativ bald eine sogenannte Zoom-Fatigue ein. Deshalb empfiehlt Basch, im Video-Interview eine Dauer von einer Stunde möglichst nicht zu überschreiten.
Neutraler Hintergrund, kein Blurring: Aus den weiter oben genannten Gründen empfiehlt Basch Interviewten und Interviewenden ihren Hintergrund neutral zu halten. Dazu gehöre auch, auf Blurring, also auf den elektronischen Hintergrund, den man in Video-Anwendungen einstellen kann, zu verzichten. Laut der kanadischen Studien ist dadurch zwar keine Verzerrung zu erwarten, allerdings brauche das Blurring viel Bandbreite, was die Gefahr einer technischen Störung erhöhe. Ein neutraler Hintergrund in einem ruhigen Raum mit einer guten Internetverbindung sei ideal, um ein fokussiertes Gespräch zu führen.
Kamera auf Augenhöhe: Das Kamera-Setup sollte einerseits Blickkontakt ermöglichen, während man optimalerweise auch noch die interviewte Person sieht. Häufig befindet sich die Kamera an einer anderen Stelle als das Fenster mit dem Video des Gegenübers. Dieses Fenster empfiehlt Basch zu minimieren und dicht an die Kamera positionieren, die möglichst auf Augenhöhe eingestellt sein sollte. Mit dieser Konfiguration komme man nahe an eine Blickkontakt-Situation heran, wie man sie aus direkter Kommunikation gewöhnt sei.
Selbstansicht schliessen: Um den Fokus bestmöglich auf das Gegenüber zu richten, solle man die Selbstansicht in der Video-Anwendung am besten ausschalten, da diese recht viel kognitive Kapazität beanspruche und ablenke: «Wir schauen unbewusst immer wieder auf die Selbstansicht.»
Chancengleichheit durch standardisierte Interview-Settings: Damit alle Bewerbenden die gleichen Chancen erhielten, sich zu präsentieren, sei es wichtig, Interviewprozesse zu standardisieren. Das bedeutet, dass man es vermeiden sollte, die einen Personen per Video zu interviewen, während man andere ins Unternehmen einlädt.
Bei einigen Trends stelle sich Ernüchterung ein, resümiert Basch die aktuellen Entwicklungen, beispielsweise bei Emotionssensorik. Auch hätten Medien immer wieder von Fällen berichtet, bei denen Bewertungen durch eine künstliche Intelligenz (KI) letztlich in den Algorithmen gefangen seien, die ihr eingepflanzt wurden. Vorurteile, die in den Daten repräsentiert seien, mit denen die KI entwickelt wird, würden in KI-Auswertungen repliziert.
«Von der Stimmen- und Gesichtserkennung sind viele Unternehmen, die Vorreiter waren, bereits wieder weggekommen. Man kann heute deshalb nicht mehr von einem Trend sprechen. Es gibt keine verlässlichen Daten dazu, dass diese Technologien etwas bringen», lautet Baschs kritisches Urteil. Eine spannende Entwicklung nimmt er im Bereich des Natural Language Processing (NLP) wahr. Mithilfe dieser Technik würden beispielsweise Transkriptionen von asynchronen Interviews erstellt und automatisch ausgewertet. Der geschriebene Text ohne Zusatzinformation zu Geschlecht, Alter, Aussehen etc. reduziere etwaige Voreingenommenheit bei der Auswertung der Aussagen, da persönliche Eigenschaften in den Hintergrund träten. Aber auch hier gebe es Fehleranfälligkeiten, warnt Basch; die KI könne anhand des Textes und der Wortwahl relativ gut einschätzen, ob es sich um eine Frau handle oder einen älteren Bewerbenden etc. Es sei allerdings eine Frage der Zeit, bis sich KI-Technologien weiterentwickelten. Noch gebe es flächendeckend keine validen, wissenschaftlich überprüfte Anwendungen.
Grenzen und Nutzen von Technologien
Bis zu welchem Grad ist es sinnvoll, Bewerbungsprozesse zu standardisieren, zu strukturieren und mithilfe technischer Tools auszuwerten? Ist es nicht gerade eine Stärke von Menschen, andere intuitiv einschätzen zu können? Basch sieht in der Übertechnologisierung auch eine Gefahr: «Am Ende kommt dabei dann eine Person heraus, mit der man abends kein Bier trinken mag. Das ist auch nicht gerade vorteilhaft für die Teamstruktur.» Ein standardisierter und strukturierter Prozess sei jedoch unerlässlich, um qualitativ hochwertige und auch faire Entscheidungen zu treffen, die nicht ausschliesslich subjektiv geleitet sind. «Aber ich kann die recht subjektive Frage, ob ich mit dieser Person gerne ein Bier trinken ginge, in einen objektiven Entscheidungsprozess einfliessen lassen und die Antwort auf die Frage auch verschieden zu gewichten. Wenn meine objektive Entscheidungsregel am Schluss aber immer noch sagt, dass eine andere Person geeigneter ist, sollte ich aus diagnostischer Sicht der Entscheidungsregel nachgeben. Menschen überschätzen ihre Fähigkeiten, andere global gut einschätzen zu können, leider sehr. Studien von Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden zeigen: Je weniger Autonomie man menschlichen Entscheidern in Personalauswahlentscheidungen gibt, desto besser wird ihre Auswahl.»
Prinzipiell gebe es verschiedene Sichtweisen auf die Frage, ob eine Bewerbung hauptsächlich eine soziale Interaktion oder ein diagnostischer Prozess sei. Basch zitiert Michael A. Campion, einen der wichtigsten Interview-Forscher der USA: «An interview is not a social situation, it’s an interrogation» (dt.: ein Interview ist keine soziale Situation, sondern ein Verhör). Dem will er nicht gänzlich zustimmen: «Ich sehe das Interview eher als soziale Interaktion, in der sich Unternehmen und Bewerbende präsentieren können und sollen. Wenn Menschen hier keine Möglichkeit haben, sich wie Menschen zu präsentieren, dann wird es aus meiner Sicht schwierig.»
Basch, J. M., Melchers, K. G., Kegelmann, J., & Lieb, L. (2020). Smile for the camera! The role of social presence and impression management in perceptions of technology-mediated interviews. Journal of Managerial Psychology, 35(4), 285-299 (https://doi.org/10.1108/JMP-09-2018-0398).
Basch, J. M., Melchers, K. G., Kurz, A., Krieger, M., & Miller, L. (2021). It takes more than a good camera. Which factors contribute to differences between face-to-face interviews and videoconference interviews regarding performance ratings and interviewees perceptions? Journal of Business and Psychology, 36(5), 921-940 (https://doi.org/10.1007/s10869-020 09714-3).
Fiechter, J. L., Fealing, C., Gerrard, R., & Kornell, N. (2018). Audiovisual quality impacts assessments of job candidates in video interviews: Evidence for an AV quality bias. Cognitive research: principles and implications, 3(1), Article 47 (https://doi.org/10.1186/s41235-018-0139-y).
Roulin, N., Lukacik, E.-R., Bourdage, J. S., Clow, L., Bakour, H., & Diaz, P. (2023). Bias in the background? The role of background information in asynchronous video interviews. Journal of Organizational Behavior, 44(3), 458-475 (https://doi.org/10.1002/job.2680).
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Das Handout gibt Antworten auf die Fragen wie man Bewerbende in kurzer Zeit bestmöglich kennenlernt. Dazu zählt die Vorbereitung kompetenzbasierter Bewerbungsinterviews oder Tipps zu Assessments.
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