Informelles Lernen geschieht häufig unbewusst. Wie der Name schon sagt: Es folgt keinen festgelegten Regeln, anders als formelles Lernen, in dem bestimmte Lerninhalte vorstrukturiert sind und gewöhnlich ein Lernstatus erfasst wird. Informelles Lernen geschieht in der Kaffeepause, wenn man Teamkolleginnen um Rat fragt oder unbewusst anderen zuhört und dabei Neues über Projekte erfährt.
70 bis 90% des Lernens im Arbeitsalltag vollziehen sich informell, erklärte Katja Häußermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin Lehr-Lernforschung Universität Ulm. Informelles Lernen, so führte sie weiter aus, habe zudem den Vorteil gegenüber formellen Lernangeboten, dass die Lerninhalte immer aktuell seien, während formelle Weiterbildung mit aktuellem Bezug häufig nachgelagert sei.
Eine Studie, die sie zusammen mit Mitarbeitenden des TÜV Nord in Deutschland durchgeführt hat, zeige, dass Reflexionsanstösse über das informelle Lernverhalten der Mitarbeitenden von der Belegschaft positiv aufgenommen werden und Verhalten beeinflussen können.
Bei dem weltweit agierenden Möbelhersteller Ikea ist das sogenannte Peer Learning bereits in der Kultur angelegt.
Kulturelle Verankerung von Peer Learning bei Ikea
Demokratisches Lernen ist bei Ikea ein Kern-Unternehmenswert. Tatevik Mkrtchyans Aufgabe ist es, Ikea zu einer Lernorganisation zu verhelfen; so beschreibt sie selbst in ihrem Referat ihre Jobrolle. Dabei gehe es nicht um das formelle Lernen, sondern um die alltägliche Problemlösung: «Demokratisches Lernen ermöglicht allen Mitarbeitenden, egal auf welcher Ebene, ob Praktikant, Managerinnen oder Angestellten auf der Fläche, gleichen Zugang zum Lernen.» Dafür stelle Ikea sicher, dass jede und jeder gleichen Zugang zu allen Lernangeboten hat.
Bei Ikea wird von «gemeinsamem Lernen» gesprochen – man lernt miteinander und voneinander: «Man kann Mitarbeitende auf der Fläche, die keinen Computerarbeitsplatz haben, schlecht zwingen, digital zu lernen. Wenn sie ein Problem haben, fragen sie den nächsten Kollegen.» Dies mache die Kultur von Ikea aus, die von dem schwedischen Ritual der Kaffeepause beeinflusst sei, der «Fika». Dies sei die Kultur des Peer Learning.
Es stelle sich die Frage, so Mkrtchyan, wie man diese Kultur in die digitale Umgebung transferieren könne, und führt dazu aus: «Peer Learning vollzieht sich bei Ikea in Gross- und Kleingruppen, in moderierten und nicht moderierten Gruppen. Alle Formate können in einem digitalen oder in einem analogen Raum stattfinden.» Bei Ikea gebe es einen starken Fokus auf Coachings, die Mitarbeitende begleiten. Die Coaches bildeten Netzwerke, in denen sie sich national und international austauschen.
Bei einem anderen Format, dem sogenannten Buddy-Programm, handelt es sich um ein Mentoring, das speziell beim Onboarding eine Rolle spielt. Buddys geben vor allem die informellen Informationen weiter.
Es gibt zudem unterschiedliche Learning Circles. «Zwar können die Mitarbeitenden unabhängig voneinander lernen, doch brauchen sie eine Referenzgruppe, mit der sie gemeinsam das Gelernte reflektieren können», erklärt Mkrtchyan.
Die Learning Days/Week haben den Zweck, den Mitarbeitenden zu vermitteln, welche Entwicklungsmöglichkeiten Ikea national und international bietet. Dazu gibt es Vorträge und Workshops.
Communities of Learning & Practice funktionieren nach den Prinzipien der sozialen Medien. Sie werden moderiert. «Wer in der Lage ist, eine Social-Media-Community zu moderieren, kann dies auch in einem Unternehmen», erklärt Mkrtchyan. Dazu gebe es detaillierte Pläne, wer wann was postet, weil es keinen User-generated Content gebe, da die Mitarbeitenden auf der Fläche nicht über Unternehmens-Smartphones verfügen und deshalb in den Computerarbeitsraum wechseln müssen.
Ikea könne es sich nicht leisten, auf Peer Learning zu verzichten, betonte die Referentin: «Wir sind kein Digital-first-Unternehmen, sondern ein Präsenz-Unternehmen.» Der Erfolg des Peer Learnings lasse sich dabei schlecht anhand von Kennzahlen im Sinne eines Return-on-Investment ermitteln, da ein detailliertes Tracking gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen zum Datenschutz verstosse. Messen könne man aber das Business Outcome: Gut trainierte Mitarbeitende wirken sich auf den Unternehmenserfolg und auf die Retention aus.
Selbstorganisierte Plattform zum Wissenschaftsaustausch bei Bosch
Fabienne Hieber und Andre Brüggemann führen gemeinsam den sogenannten Bosch-Club beim internationalen Elektronik-Grosskonzern Bosch. Dabei handelt es sich um eine digitale, informelle Lernplattform. Technisch gesehen stellt sie sich als simpler Sharepoint-Kalender dar, auf dem Mitarbeitende ihre Sessions einstellen und teilen können. Die Beitragenden tauschen sich dort via Teams-Konferenz über ihre Projekterfahrungen, Präsentationen oder Studien- und Forschungsarbeiten aus. Die Konferenzsprache richtet sich jeweils nach der Präferenz der Anbietenden.
Bosch-Mitarbeitende können selbst entscheiden, an welchen Sessions sie teilnehmen möchten. Es gibt keinerlei Genehmigungsprozeduren, weder für das Anbieten, noch für die Teilnahme. Einzige Voraussetzung sei, dass die Angebote einen Business-Bezug aufweisen. Hieber und Brüggemanns geben Leitfäden für Inhalte und technische Verfahren wie z.B. die Erstellung von Video-Tutorials vor.
Da sich nicht jede Person zutraut, Teams-Konferenzen in Eigenregie durchzuführen, wurde für den Bosch-Club eine Facilitator-Community ins Leben gerufen, die sich für Moderationen zur Verfügung stellt. Dieses Angebot ergänzt eine grosse Bandbreite formeller Lernangebote. Was zeigt: Auch einfache Technologien können Wirkung entfalten.
Nudging bei TÜV Nord
Für informelles Lernen gebe es bei TÜV Nord keine Vorgaben, erklärte Marcel Domanski, Fachreferent für produktives Lernmanagement bei TÜV Nord Mobilität. Alle Angebote für selbständiges Lernen und informellen Austausch, die das Unternehmen auf den Weg bringe, beruhten auf Freiwilligkeit der Nutzung.
So existiere neben einem umfangreichen E-Learning-Angebot (das mit der Software Masterplan zur Verfügung gestellt wird) sowie klassischen Mentoring-Programmen auch die Möglichkeit, dass Projektmanagerinnen temporär an einen anderen Standort ins Ausland wechseln können, um dort Projekte zu begleiten. Einen anderen Rahmen zum Austausch biete das sogenannte Techniker-Café: Man findet sich zu bestimmten Zeiten vor Ort zusammen und tauscht sich moderiert oder in einer freien Diskussion über Themen aus.
Einen Nudge, einen psychologischen Anstoss zum Austausch mit Peers, bietet eine simple Funktion im Intranet, wo zu jeder Person ein Feld «Frag mich zu …» ausweist, auf welchen Themenfeldern sie Expertin ist. Ein weiteres sehr niederschwelliges Angebot ist ein simples Schild, auf dem «Gemeinsame Pause» steht und das man sich in der Kantine auf den Tisch stellen kann, um zu signalisieren, dass ein Austausch beim Mittagessen willkommen ist.
Generell stehe es allen Mitarbeitenden jederzeit frei, sich während der Arbeitszeit fortzubilden, sofern die Arbeitslast dies zulasse, erläutert Domanski.
Angebot, Kommunikation und dann?
Dieser letzte Punkt allerdings ist ein häufiges Argument dafür, warum Lernangebote am Arbeitsplatz nicht genutzt werden. Leider führte Domanski nicht mehr aus, wie Erwartungen seitens des Unternehmens an selbständige Fortbildung bei den Beschäftigten gemanagt werden.
Die Notwendigkeit von Vermittlung und Kommunikation von Angeboten und Möglichkeiten haben die Referenten sowohl von Bosch als auch Lernforscherin Katja Häußermann von der Universität Ulm immer wieder betont und mit Häußermanns Studie auch belegen können. Viele Praxiserfahrungen zeigen jedoch, dass es im beruflichen Alltag leicht passieren kann, dass der Austausch mit Peers und das selbstbestimmte Lernen zu kurz kommen. Führungskräfte müssen als Vorbilder vorangehen und Lernen als Teil der Unternehmenskultur verankern, indem sie ihm eine Priorität – auch in Form von Zeit-Slots – zuweisen.
Links:
Ikea-Arbeitskultur
TÜV-Nord-Personalbericht
Katja Häußermann
Take Aways
- Eine Verankerung von Peer Learning in der Unternehmenskultur und die Schaffung von Rahmenangeboten fördern nicht nur die Weiterqualifikation, sondern stärken auch die Mitarbeiterbindung und vermitteln Wertschätzung.
- In einem Umfeld ohne Computerarbeitsplätze ist Peer Learning vor Ort eine praktikable und praxisorientierte Alternative zu digitalen Lernangeboten.
- Anreize zum Wissensaustausch können auch mit einfachen Angeboten und niedrigschwelligen Technologien geboten werden.
- Nudging-Methoden können den Austausch über Teamgrenzen hinaus unterstützen.