Löhne: Gewerkschaftsbund fordert Wende in Einkommenspolitik

Montag, 29. April 2024
Die Einkommenspolitik in der Schweiz geht nach Ansicht des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds in die falsche Richtung. Während Spitzengehälter weiter steigen, stagnieren die niedrigen und mittleren Löhne real, heisst es in einem Ende April vorgestellten Verteilungsbericht.

Nach Zahlung von Steuern und Miete hätten Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen heute weniger zum Leben als 2016, heisst es Verteilungsbericht des Gewerkschaftsbunds (SGB), der die Verteilung der Löhne, Vermögen, Steuer- und Abgabenlast untersucht hatte.

Bei den unteren und mittleren Reallöhnen drohe ein «verlorenes Jahrzehnt», sagte SGB-Präsident und Ständerat Pierre-Yves Maillard (SP/VD) vor den Medien in Bern. In den vergangenen drei Jahren seien die Reallöhne nicht mehr gestiegen, etwas, was es seit dem Zweiten Weltkrieg nie gegeben habe.

Signal durch 13. AHV-Rente

Maillard erhofft sich vom Ja zur 13. AHV-Rente ein gewisses Umdenken. Liberale Kommentatoren und Politiker hätten sich gefragt, ob man ihnen das Volk ausgetauscht habe. Der Souverän schien nicht mehr mit ihnen zu stimmen. In Wahrheit hätten sich die Lebensrealitäten geändert - und zwar zum Schlechteren. «Man spricht offenbar nicht vom gleichen Land», sagte Maillard.

Der SGB fordert deshalb in der Lohnrunde vom Herbst eine Wende in der Einkommenspolitik. Diese müsse die Normalverdienenden berücksichtigen, statt einzig die Oberschicht. Neben substanziellen und generellen Lohnerhöhungen und dem Teuerungsausgleich müssten alle Beschäftigten mit Lehre 5000 Franken im Monat verdienen und Ungelernte mindestens 4500.

Bürgerliche Parteien würden vor Steuererhöhungen warnen. In Realität würden die höheren Einkommen, die ohnehin weniger unter den Krankenkassenprämien litten, über die direkte Bundessteuer für die Prämienentlastung etwas mehr zahlen müssen. So würde ein Ausgleich zu den von der Bundessteuer ohnehin weniger belasteten kleineren Einkommen entstehen.

4000 Lohnmillionäre in der Schweiz

Parallel zu den stagnierenden oder sinkenden Reallöhnen verbessere sich die Situation der Reichsten, führte SGB-Chefökonom Daniel Lampart aus. Unterdessen gebe es 4000 Lohnmillionäre in der Schweiz und 17500 Halbmillionäre. Diese Zahl sei stark gewachsen.

Die Kehrseite sehe anders aus: «Die Leute arbeiten viel und hart.
Es schaut aber zu wenig heraus», sagte Lampart. Bis 2016 hätten sich die Reallöhne noch im Gleichschritt mit dem Produktivitätszuwachs um jährlich etwa ein Prozent entwickelt.

Seither würden die Arbeitgeber trotz guter Margen weder diesen von den Beschäftigten erarbeiteten Fortschritt weitergeben noch die Teuerung ausgleichen. Hinzu komme eine verfehlte Steuer- und Abgabenpolitik.

Diverse Kantone planten weitere Erleichterungen bei Einkommens- und Vermögenssteuern für Vielverdiener, würden aber bei Prämienverbilligungen abwinken, da die Mittel fehlten. Und das obwohl die Krankenkassenprämien die Hauptsorge der Bevölkerung seien.

Automatischer Teuerungsausgleich

Vania Alleva, SGB-Vizepräsidentin und Präsidentin der Gewerkschaft Unia, erklärte, auf dem Bau seien 90 Prozent der Beschäftigten mit einem Reallohnverlust konfrontiert. Beschäftigte von Detailhandel und Pflege im unteren Lohnbereich hätten wegen der gestiegenen Krankenkassenprämien und Mieten heute 120 Franken pro Monat weniger zum Leben als 2016.

Der früher selbstverständliche Teuerungsausgleich sei sukzessive durch individuelle Lohnerhöhungen ersetzt worden. Neben substanziellen Erhöhungen namentlich auch bei den sogenannten Frauenberufen mit ihren tiefen Löhnen müsse der automatische Teuerungsausgleich in den Gesamtarbeitsverträgen wieder normal werden. (sda)

Nominallohnindex: Inflation bremst Lohnanstieg auch 2023 aus

Laut den Berechnungen des Bundesamts für Statistik (BFS) sind die Nominallöhne im Jahr 2023 durchschnittlich um 1,7 Prozent angestiegen. In der letzten Schätzung im Spätherbst wurde noch ein Anstieg von 1,8 Prozent geschätzt.

Die Löhne in der Schweiz sind im vergangenen Jahr deutlich angestiegen. Allerdings bremste die Teuerung den Lohnanstieg wie bereits im Vorjahr aus. Was für viele bleibt ist ein Verlust an Kaufkraft.

Bei vielen Arbeitnehmenden sind die Lohnzuwächse durch die Inflation, insbesondere wegen steigender Mieten und Energiepreisen, aufgefressen worden. Unter Einbezug einer durchschnittlichen Jahresteuerung von 2,1 Prozent gingen die Reallöhne nämlich um 0,4 Prozent zurück.

Damit werden in der Schweiz weitere Kaufkraftverluste sichtbar. Im Jahr 2022 stiegen die Löhne gemäss BFS nominal um 0,9 Prozent, real sanken sie allerdings um satte 1,9 Prozent. Auch damals war die Inflation von 2,8 Prozent der Hauptgrund für den Rückgang.

Deutliche Branchenunterschiede

Die verschiedenen Wirtschaftszweige entwickelten sich allerdings unterschiedlich. Im Industriesektor erhöhten sich die Nominallöhne im vergangenen Jahr um durchschnittlich 2,1 Prozent und damit stärker als in der Gesamtwirtschaft. Die Kaufkraft blieb in diesem Bereich somit stabil.

In der «Herstellung von Metallerzeugnissen» beobachtete das BFS sogar einen Anstieg um 2,9 Prozent. Ebenfalls hoch gingen die Löhne in der "Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und elektrischen Ausrüstungen, Optik, Uhren" (+2,8%) und im "Maschinen- und Fahrzeugbau" (+2,6%).

Am anderen Ende der Rangliste lagen etwa die Wirtschaftszweige «Kokerei und Mineralölverarbeitung, Herstellung von chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen» mit einem moderaten Anstieg von 0,9 Prozent sowie der sogar rückläufige Bereich «Sonstige Herstellung von Waren, Reparatur und Installation» (-0,4%).

Dienstleistungen insgesamt schwächer

Im Dienstleistungssektor nahmen die Nominallöhne um durchschnittlich 1,6 Prozent zu, wobei die grössten Zunahmen die "Öffentliche Verwaltung" (+3,6%) sowie der «Handel und Reparatur von Motorfahrzeugen» (+2,5%) verbuchten.

Für Beschäftigte im Bereich «Gesundheitswesen, Heime und Sozialwesen» (+0,1%) blieben die Löhne stabil, während sie in den «Freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Tätigkeiten»
(-0,6%) leicht sanken. Damit ging die Kaufkraft für Beschäftigte im tertiären Sektor insgesamt das dritte Jahr in Folge zurück.

Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern waren derweil gering: Die Nominallöhne der Frauen stiegen gemäss BFS mit durchschnittlich 1,8 Prozent leicht stärker als jene der Männer (+1,7%). (sda)

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