Diesen Spagat kommentierte Peter Geiger, Vorstand FEP freie ErfaGruppe Personal Ostschweiz mit eher ernüchternden Worten: Viele Unternehmen hätten keine dezidierte Zukunftsorientierung für die Personalarbeit. Die häufigsten Themen in der ErfaGruppe seien entsprechend Erfahrungswissen bezüglich Reglement- und Digitalisierungsvorhaben.
100 Jahre Bank
Zukunftsorientierung ist Kundenorientierung – das war der Tenor des Referats von Alex Villiger, Leiter Personal bei der Graubündner Kantonalbank GKB (Chur). In seinen Projektbeispielen greifen Personalarbeit und Business Development ineinander. Kundenorientierung müsse gelebt werden, deshalb seien Mitarbeiter-Commitment und Engagement unabdingbar. Aus diesem Grund sei die Arbeit an der Führungsqualität entscheidend und zahle sich letztlich auch für Unternehmenskultur und Arbeitgeberattraktivität aus.
So hat sich die GKB vor einigen Jahren ein an spruchsvolles Zukunftsbild definiert. Sie will 2029 DIE Arbeitgeberin für Millennials in der Schweiz sein. Zum einen erzeuge die demografische Entwicklung ein sinkendes Arbeitskräfteangebot bei steigender Nachfrage nach Arbeitskräften. Zum anderen schreite die Tertiärisierung der Wirtschaft voran, der Bedarf an Service und Wissensarbeit nehme also zu, der an körperlicher Arbeit ab. Mit dem definierten Zukunftsbild seien Kultur und Führung wichtigste Handlungsfelder, denn die Schere zwischen Arbeitskräftebedarf und -angebot werde sich ab 2025 öffnen.
Millennials als Game-Changer
Bei der GKB wurden zwei sogenannte Millennialboards ins Leben gerufen – ein internes Talent-Board, das Futura-Board (25 bis 35Jährige), und ein externes, das Millennial-Board (20 bis 30Jährige), das sich aus Studenten und jungen Unternehmensberaterinnen zusammensetzt. Das interne Board mit ca. 15 Mitgliedern arbeite in einer selbstorganisierten Netzwerkstruktur, die eigenständig Projekte zu Organisation, Kultur, ICT etc. definiert und durchführt. Das externe Board berät als ausgegliedertes Beratungs-Startup u.a. für Kunden der GKB zu Themen wie New Work, Unternehmenskultur und Innovationsmanagement.
In diesen Boards wurde der generationstypische Wertekodex im Hinblick auf Führung, Unternehmenskultur, Organisation etc. erforscht. Es wurden prototypische Biografien durchleuchtet, Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche, Prioritäten im Leben. Die Ergebnisse der Boards waren im Wesentlichen deckungsgleich: Transparenz, Sinnhaftigkeit, Unabhängigkeit, Individualität, Offenheit, Flexibilität, Zielstrebigkeit sind die – wenig überraschenden – Stichworte, mit denen eine Wunschkultur beschrieben werden kann. Ausführlich nachzulesen sind die Informationen über diese Projekte in einem Aufsatz, der bei der GKB herunterzuladen ist.
Man kann davon ausgehen, dass ältere Mitarbeitende ähnliche Wertvorstellungen wie jüngere Mitarbeitende haben. Dies zeigen diverse Studien. Insofern dürften die Ergebnisse über generationsspezifische Werte der Millennials wenig Neuigkeiten transportieren. Allerdings wurden in der Vergangenheit weniger Verhaltensnormen in der Führung daraus abgeleitet, was vor dem Hintergrund eines Arbeitnehmermarkts nicht mehr opportun ist. Die Fokussierung des Zukunftsbilds auf Millennials mag diesen generationsspezifischen Zugang zum Kulturthema bei der GKB zwar erklären, deutet aber auch auf die potenzielle Gefahr eines dissoziativen Generationenmanagements hin.
Bewerber als Kunden
Liza Follert, Head of People Attraction bei der Helvetia-Versicherung, zeigte in ihrem Vortrag eine einfache Vorgehensweise, wie man sich mit einer Mischung aus digitalen Lösungen, einer definierten Haltung und klaren Verhaltensrichtlinien für Kandidatengespräche als Sympathieträger positionieren kann – selbst wenn einer Bewerberin eine Absage erteilt wird. Tempo, Sympathie, Augenhöhe sind für Helvetia wichtige Faktoren, um den Bewerbungsprozess für Kandidaten zu einer positiven Erfahrung zu machen. Dazu müssen digitale Tools ebenso beherrscht werden wie traditionelle, analoge Kommunikationsmittel. Die Wahl des richtigen Mediums folgt praktischen Erwägungen und dem Wunsch nach Vermittlung von Wertschätzung und positiven Bewerbungserfahrungen.
Die Hürden für eine Bewerbung sollten für Helvetia technisch möglichst tief liegen. Dies komme einer digitalen Mediennutzungssituation auf dem Weg zur Arbeit oder anderen Alltagssituation entgegen. Auf solche Nutzungssituationen seien auch die Stellenbewerbungsmassnahmen ausgerichtet. Die Versicherung habe sich in der Kommunikation sehr auf Alltagsumgebungen wie soziale Netzwerke konzentriert, berichtete Follert. Dazu produziere man Content, mit dem Geschichten aus alltäglichen Arbeitssituationen bei Helvetia erzählt würden, und zwar mit authentischen Mitarbeitenden.
Auf der Karriereseite der Helvetia gibt es ausführliche Informationen zu Berufsfeldern in verschiedenen Bereichen, Videos, Schnupperevents und Kontaktangeboten. Die Bewerbung selbst beschränkt sich auf die notwendigsten Informationen. Das wichtigste Dokument sei neben Kontaktangaben nur ein Lebens lauf, der hochgeladen werden müsse. Danach er halten die Bewerber ein mit dem Vornamen personalisiertes, humorvolles Video als Antwort auf den Bewerbungseingang. Auch Einladungen oder Absagen erfolgen mit Hilfe von Videos, in denen jeweils auch Informationen über die nächsten Schritte enthalten sind – beispielsweise Informationen zum Dresscode oder zur Vorbereitung auf das Gespräch. Eingegangene Bewerbungen sollten innerhalb von drei Tagen durchgearbeitet werden, empfiehlt Follert. Auch das hinterlasse einen positiven Eindruck bei den Bewerberinnen.
Kandidatengespräche werden mit Du-Ansprache durchgeführt. Es finden keine «Verhöre» statt und standardisierte Interview-Leitfragen bleiben ebenfalls aussen vor. Zudem werden Coffee-Meetings angeboten, um die Teammitglieder kennenzulernen, den Team-Fit zu testen, und mehr über den Job zu erfahren. Auch Aufgabenstellungen und Präsentationen durch den Bewerber sind Teil der Bewerbungsprozesse.
Während Online-Assessments stattfinden, weil die OnlineTools ein bequemes Absolvieren dieser eignungsdiagnostischen Tests zuhause erlauben, werden Arbeitsverträge bei Helvetia traditionell und analog mit der Post verschickt, um der Relevanz dieser vertraglichen Bindung Gewicht zu geben. Weitere Unterlagen folgen digital per EMail. Follert betonte abschliessend, wie wichtig es sei, dass Absagen persönlich überbracht würden. Auch Kandidaten, denen kein Angebot gemacht werden könne, seien potenzielle Botschafter der Unternehmensmarke.
Positive Erfahrungen bei Remote Work
Positive Erfahrungen spielen auch für Adrian Brunner eine wichtige Rolle. Er ist Employee Relations Manager EMEAR bei Cisco Systems und zeigte in seinem Referat, dass HR-Verantwortliche in einer Arbeitswelt, die zukünftig mehr von hybriden Arbeitsweisen geprägt sein wird, dem Thema der mentalen Gesundheit mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Eigene Auswertungen bei Cisco verglichen Gesundheitsangaben aus der Vor-Lockdown-Zeit mit den Werten während des Lockdowns. Es zeigten sich Verschlechterungen bei der psychischen Gesundheit, vor allem Frauen fühlten sich stärker mental belastet.
Gesundheit im Fokus zu haben, erfordere ein anderes, direkteres Zugehen auf Mitarbeitende, vor allem durch Vorgesetzte. Emotionen müssen thematisiert werden dürfen. Dies bedürfe einer gewissen Offenheit und eines entsprechenden Bewusstseins in digitalen Kommunikationssituationen.
HR-Instrumente im Change
Karin Schmidt, Group Head of HR & Communications bei Migros Industrie/Mibelle Group, meistert eine Veränderungsaufgabe, die eine Vielzahl von Personalmanagement-Instrumenten erfordert. Die Unternehmensgruppe hat sich unternehmerische Basisarbeit verordnet, nämlich Wettbewerbsfähigkeit durch Kosteneffizienz. Das klingt nicht nur nach Reorganisation, es ist eine. Zwanzig Geschäftsleitungen werden auf neun reduziert. Doppelspurigkeiten innerhalb der Unternehmensgruppe sollen eliminiert, Synergieeffekte gehoben und Best Practices etabliert werden. In der Folge gibt es kein Arbeitsfeld innerhalb des Personalbereichs, das nicht bearbeitet werden muss: Mitarbeiter-Engagement soll erfasst werden, dialogstärkendes Feedback an die Stelle linearer Mitarbeitergespräche treten. Talentpools sollen geschaffen und weibliche Talente gezielt mit passenden Teilzeitmodellen und Leadership-Initiativen angesprochen werden. Die Unternehmenskultur bedarf einer Modernisierung. Gleichzeitig ist die HR-Abteilung in Bewegung – ein Shared Service Center soll die administrativen Aufgaben übernehmen – von entsprechenden Standardisierungs- und Digitalisierungsmassnahmen begleitet. Und schliesslich müssen HR-Mitarbeitende weiterqualifiziert werden, um zukünftig in einer Matrixorganisation Business-Partner-Rollen auszufüllen.
Schmidts Vortrag zeigte eindrücklich, wie wichtig in solchen massiven Veränderungssituationen fundierte, professionelle HR-Arbeit ist. HR muss seine Instrumente, die auf die Strategie einzahlen sollen, kennen, Varianten beherrschen und operativ komplexe Veränderungsaufgaben führen können. Vor allem muss ein solches Vorhaben zu einem neuen Ganzen führen. Denn eine gemeinsame Unternehmenskultur – die nicht künstlich den Mitarbeitenden «verordnet» werden kann, sondern gelebt werden muss – benötigt Zeit, um zu reifen.
Beständigkeit und Identifikation
Die beiden abschliessenden Referenten des Personaltags waren interessante Gegenpole: Daniel Frei, Mitbegründer der vegetarischen Restaurantkette tibits ag, und Christian Meyer, Abt des Klosters Engelberg. Zwei Welten: tibits ist ein inzwischen internationalisierter Gastronomiebetrieb, der seit dem ersten Businessplan 1998 bis heute kontinuierlich gewachsen ist: Eine beeindruckende Erfolgsgeschichte mit der Konsequenz, dass die Liquidität im Corona-Lockdown nicht gewahrt war. Das Unternehmen schlitterte in einen Überlebenskampf, zwei Restaurants in London mussten geschlossen werden. Dies war eine schmerzvolle Erfahrung für Frei, die allerdings viele Start-ups schon viel früher in ihrer Lebenszeit machen – wobei man inzwischen nicht mehr von Start-up reden kann.
Wenn man allerdings nach Engelberg schaut, dann relativiert sich diese Einschätzung. Das Kloster wurde 1120 gegründet. Nach dem Prinzip des Benediktinerordens muss jedes Kloster für sich selbst sorgen und eine eigene wirtschaftliche Grundlage besitzen. Engelberg ist ein stark diversifiziertes Unternehmen: Es erzeugt Energie, betreibt eine Schule und verschiedene Gaststätten, produziert Käse, verfügt über eine Schreinerei, einen Blumenladen und ein Weingut. 900 Jahre Kontinuität liessen sich auch im Corona-Schock nicht irritieren. Vorschläge für mögliche Learnings: Diversifizierung und Liquidität sind wichtige Faktoren, um Risiken zu reduzieren. Und ein guter Teamspirit hilft, Krisen gemeinsam, als intaktes Ganzes zu überstehen. Das ist nicht neu. Aber Corona hat so manch vergessene Einsichten wieder in Erinnerung gebracht. Vor allem, dass wir Menschen soziale Wesen sind, die ihrer Arbeit gern nachgehen möchten – mit Betonung auf gern.