Peter Drucker Forum 2020: Führen in Zeiten von Fake News, Aktivismus und Rebellion

Freitag, 04. Dezember 2020 - Karen Heidl
Unternehmen befinden sich heute mit ihren Mitarbeitenden und Kunden in einem öffentlichen Diskurs via Social Media. Bei sozialen Fragen, Umweltthemen und wirtschaftlichen Entscheidungen müssen Führungskräfte Rede und Antwort ­stehen. Wie kann das Management damit umgehen?

Soziale Medien haben Konsumenten und Mitarbeitenden eine Stimme gegeben, die in der Kommunikation der meisten Unternehmen in den letzten 15 Jahren einiges verändert hat. Gesellschaftliche Erwartungen an Unternehmen, Institutionen und Führungskräfte haben sich verändert. Die Moderatorin der Diskussion, Alexandra Borchardt, nannte die Erwartung nach Partizipation und die einer sofortigen Reaktion. Konversationen in sozialen Netzwerken zeichneten sich sowohl durch Ego- bzw. Community-Zentriertheit als auch durch Verzerrungen aus, die von Algorithmen hervorgerufen würden, die eigenen Gesetzmässigkeiten folgten. Wie sollen Führungskräfte mit dieser aktivistischen Kommunikationskultur umgehen?

Advantage Blindness

Wann und ob man von Aktivismus sprechen könne, hänge ganz von der Betrachtungsweise ab, meinte Megan Reitz, Professorin für Leadership an der Hult Business School. Kommunikationsgewohnheiten regelten, worüber gesprochen werde und worüber nicht, wem zugehört und wer ignoriert werde. Diese Gewohnheiten hätten Folgen für eine Organisation. Machtstrukturen zementierten diese Kommunikationsgewohnheiten. In Seniormanagement signalisierten bestimmte Merkmale Autorität. Dabei handle es sich nicht nur um Jobtitel, sondern auch um ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht oder andere Eigenschaften. Trägern der richtigen Merkmale sei häufig nicht bewusst, welche Wirkung diese Autorität auf andere haben könne. Man nenne dieses Phänomen Advantage Blindness (dt. Vorteilsblindheit). Je höher Menschen in der Hierarchie stiegen, desto stärker würden sie zudem in eine sogenannte Optimismusblase gezogen, führte Reitz weiter aus. Deshalb würden sie die Schwierigkeiten, mit denen die Angestellten kämpften, eher unterschätzen. Gleichzeitig überschätzten Senior-Manager ihre Fähigkeit zuzuhören, was sogar so weit gehen könne, dass sie von anderen als nicht zugänglich betrachtet würden.

Aktivismus bedeute zunächst einmal nur, dass es abweichende Meinungen gebe, die Kommunikationsgewohnheiten herausfordern. Damit werde auch die Optimismusblase des Seniormanagements herausgefordert. Was also die einen als Rebellion wahrnähmen, könne für andere eine existenzielle Wichtigkeit haben. Als Führungskraft sollte man sich der Vorteilsfaktoren bewusst werden und die Perspektive auf das Thema wechseln können, ergänzte Reiz. In Studien wurde untersucht, wie Führungskräfte auf Aktivismus reagieren. Das Spektrum stellte Reitz wie folgt dar:

  • Leugnung – Aktivismus gibt es nicht.
  • Unterdrückung – Aktivisten werden ruhiggestellt.
  • Fassadismus – oberflächliches Interesse, aber wenig Aktion.
  • Defensives Engagement – «Wir kümmern uns drum, aber nur weil wir müssen.»
  • Dialogisches Engagement – Führung offener Dialoge und Diskussion möglicher Konflikte, um gemeinsame Entscheidungen herbeizuführen.
  • Aktivismus-Stimulation – proaktives Animieren der Angestellten, eine klar erkennbare Haltung einzunehmen.

Führungskräfte neigten aufgrund ihrer Vorteilsblindheit dazu, dialogisches Engagement für sich zu konstatieren, während Mitarbeitende eine andere Wahrnehmung hätten. Reitz fragte sich, ob es nicht an der Zeit sei, dass Führungskräfte Aktivisten seien: «Was wäre, wenn Sie Leadership als Aktivismus betrachten würden. Welchen Unterschied würde dies in der Führung machen?»

Sind Führungskräfte die neuen Politiker?

Gianpiero Petriglieri, Associate Professor bei Insead, hat in Führungskräften schon immer Politiker gesehen. Heute habe sich das Feld mit globalen Konzernstrukturen und der Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft erweitert. Damit sei die Verantwortung der Unternehmen für gesellschaftliche und globale Ziele entstanden. So müssten Manager mit den Stimmen dieser Gesellschaft umgehen und Aktivismus akzeptieren. Öffentliche politische Debatten seien in der Vergangenheit hauptsächlich zwischen Eliten geführt worden, heute sei das Feld der Partizipanten breiter geworden. Die Behauptung, dass Business nicht politisch sei, betrachtet Petriglieri als ein ideologisches Statement. Führungskräfte müssten einerseits einen klaren Standpunkt einnehmen, andererseits seien sie «Stewards» einer demokratischen, partizipativen Meinungsbildung. Petriglieri bezeichnete diese Rolle mit dem Begriff «Host» (dt. Gastgeber). Als Host gelte es festzulegen, in welchen Punkten Übereinkunft herrsche und über welche Themen diskutiert werden müsse.

Soziales Dopamin

Die Ansichten darüber, welche Rolle Arbeit im Leben spielt, hätten sich mit den Generationen gewandelt; der Begriff «Purpose» drücke diesen Wechsel gut aus, leitete Rahaf Harfoush, Digitale Anthropologin und Autorin, ihren Beitrag ein. Unternehmen hätten dies in ihre Brand-Aussagen übernommen. Sobald sich dann herausstelle, dass die Unternehmen, die philanthropische, weltverbessernde Missionen verfolgen, ökonomische Ziele priorisieren, seien die Menschen von dieser Realität geschockt. Sie änderten aber ihr Konsumverhalten nicht konsequent. Harfoush führte dazu den Facebook-Fall als Beispiel an: Trotz des Wissens, dass Nutzerdaten erfasst und in den USA gespeichert werden, verwendeten Nutzer weiterhin Instagram, WhatsApp und Facebook.

Soziale Medien machten es sehr einfach, Menschen das Gefühl zu vermitteln, sie würden etwas gegen unliebsame Machenschaften unternehmen. Liken, Teilen, Posten seien simple Aktionen. Jegliche Kritik an Unternehmen werde sehr schnell hochgespült, um nach einigen Wochen wieder vergessen zu sein. Die Menschen hätten allerdings das Gefühl, etwas getan zu haben. Eine Überprüfung auf Nachhaltigkeit der Unternehmensreaktion finde kaum statt.

Social Media seien eine Art Dopamin-Liefermechanismus. Menschen erhielten permanent das neuronale Feedback aus Belohnung und Bestätigung. Harfoush ist jedoch optimistisch, dass die Kombination aus nachhaltigem Wirtschaften und ethischer Unternehmensführung möglich sei. Es müsse dazu das gemessen werden, was hierfür wichtig sei, wie beispielsweise Diversitäts-Metriken. An ethischen und Nachhaltigkeits-Metriken sollten sich Geschäfts- und Konsumentenbeziehungen orientieren.

Die Entlohnung von Führungskräften basiere normalerweise auf ökonomischen Kennzahlen. Harfoush schlug vor, dass stattdessen auch Kennzahlen zum Umwelt- und Klimaschutz in das Salärsystem übernommen werden könnten.

«Unternehmen spiegeln Marktbedürfnisse wider, die durch Konsumenten gelenkt werden, die als Komplizen derselben Unternehmen agieren, die kritisiert werden», fasste Harfoush zusammen. Die mediale Erwartung prompter Reaktionen habe die sogenannte «Cancel Culture» hervorgebracht. Für Harfoush handelt es sich um eine gefährliche Entwicklung, denn es gebe kein Konzept für Rehabilitation und Reintegration der Betroffenen. Menschenleben einfach zu zerstören, weil Leute Fehler machten, sei nicht human. Soziale Medien seien Komplizen einer solch toxischen Entwicklung.

Die Ausführungen basieren auf Mitschriften zur Veranstaltung: «Global Peter Drucker Forum 2020», Wien (Webstream). Panel: Leading in times of Fake News, Activism and Rebellion. 30. Oktober 2020

Take-Aways

  • Führungskräfte sind sich häufig nicht bewusst, welche Wirkung ihre Autorität auf andere haben kann (Advantage Blindness). Sie merken deshalb entgegen ihrer Selbstwahrnehmung mitunter nicht, dass sie sich nicht in einem Dialog mit Mitarbeitenden befinden.
  • Senior-Manager befinden sich in einer Optimismus-Blase und tendieren dazu, Schwierigkeiten ihrer Mitarbeitenden zu unterschätzen.
  • Führungskräfte müssen einen klaren Standpunkt einnehmen und gleichzeitig demokratische, partizipative Meinungsbildung ermöglichen (Petriglieri).
  • Soziale Medien spielen eine ambivalente Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung, auf die Unternehmen häufig mit Scheinengagement (Fassadismus) reagieren.
  • Unternehmen können heutzutage nicht apolitisch sein. Sie sollten ihre Erfolgskennzahlen auch nach ethischen Prinzipien ausrichten (Harfoush).

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