Fokus: Wer bist du?
Wie lassen sich Profil und Facetten im Bewerbungsprozess erfassen? Wie gelingen kompetenzbasierte Interviews? Was können Eignungsdiagnostik und Assessments leisten? Unser Fokus liefert Antworten.
Bewerbungsprozeduren sind so vielfältig wie die Unternehmenskulturen, die sie befolgen. Sie alle haben das Ziel, ein möglichst umfassendes Bild von den Fähigkeiten und den Persönlichkeiten der Bewerbenden zu erhalten.
Ob man dazu klassische Interviewsituationen mit Führungskraft, Projektleitung und HR-Managerin organisiert, Speed-Datings mit dem Team durchführt, Elevator Pitches in Berggondeln veranstaltet oder die Kandidaten in aufwendigen Assessments testet: Es gibt in allen Realisationen solcher Bewerbungsprozeduren Good Practices und Bad Practices.
Über Bad Practices kann man eine ganze Menge lernen, wenn man sich die Kommentare auf den einschlägigen Job-Bewertungsplattformen anschaut. Pseudo-höfliche automatisierte E-Mail-Antworten, lange Bearbeitungszeiträume, intransparente Rekrutierungsprozesse, formelhafte Absagen etc. werden kritisch beurteilt. Über dieses Thema habe ich mit dem Rekrutierungsspezialisten Michael Witt vor einigen Monaten ausführlich gesprochen. Fazit: Mangelnde Wertschätzung in der Interaktion mit Bewerbenden geht früher oder später zulasten der Arbeitgebermarke.
Bad Practice eröffnet aber noch eine andere Perspektive. Auch die kreativsten oder gründlichsten Bewerbungsrituale können zu falschen oder zumindest wenig gelungenen Personalentscheidungen führen, wenn den neuen Teammitgliedern Kompetenzen fehlen, die in bestimmten Situationen wichtig sind. Eine Mitarbeiterin im IT-Support, die introvertiert und kommunikationsscheu, dafür aber fachlich sehr kompetent ist, wird vermutlich weniger Sympathiepunkte von ihrer internen «Kundschaft», der Mitarbeiterschaft, erhalten als ein Kollege, der immer mit flotten Sprüchen auf den Lippen nicht viel mehr vermag, als den Computer neu zu starten. Damit mag man zwar bei ca. 50% der Anwenderprobleme durchkommen, wenngleich die Strategie weniger effektiv ist, als die flotten Sprüche wegzulassen und sich ohne viel Aufhebens dem eigentlichen Problem zuzuwenden. Als Leiter oder Leiterin der IT-Abteilung sind Sympathiepunkte jedoch nicht ganz unwichtig, denn in dieser Position ist das Feedback aus dem Unternehmen meist eine Messlatte für erfolgreiches oder weniger erfolgreiches Management. Die gute Nachricht: Es gibt Menschen, die beides können.
In einem anderen Szenario hat man einen Buchhalter eingestellt, der vielleicht perfekt mit der zu diesem Zeitpunkt vorhandenen SAP-Software arbeiten kann, bei der Umstellung auf eine andere Unternehmenssoftware aber in einen Burnout zu geraten droht.
Oder man hat eine Marketingfachfrau rekrutiert, die alle sozialen Plattformen und SEO perfekt im Griff hat, aber keine einzige Kooperation im Branchennetzwerk zustande bringt, weil sie zu schüchtern ist, persönliche Kontakte mit ihr fremden Ansprechpersonen aufzunehmen.
Der Begriff Kompetenzen ist wissenschaftlich nicht eindeutig definiert; in der Praxis geht mit seiner Verwendung eine gewisse Beliebigkeit einher, die durchaus auch zu Missverständnissen führen kann. In diesem Zusammenhang wird Kompetenz als Sammelbegriff verstanden, der synonym ist mit der KSAO-Clusterung: Knowledge (Wissen), Skills (erlernbare Fertigkeiten), Abilities (grundlegende Fähigkeiten, die nicht unbedingt erlernbar sind, z.B. Sportlichkeit) und Other (andere Merkmale, etwa Persönlichkeitseigenschaften wie Introversion/Extraversion). In Stellenausschreibungen findet man häufig eine Clusterung von fach- bzw. aufgabenbezogenen Kompetenzen und einigen auf Eigenschaften bezogenen Kompetenzen wie Begeisterungsfähigkeit, Innovationsfreude, Aufgeschlossenheit etc.
Während die aufgabenbezogenen Kompetenzen meist klar auf der Hand liegen, wirken eigenschaftsbezogene Kompetenzen häufiger generisch definiert – quasi als ein von einer Unternehmenskultur geprägter Kompetenzrahmen. Typische, aber leider auch stereotype Attribute sind beispielsweise Begeisterungsfähigkeit, Innovationsfreudigkeit, unternehmerisches Handeln. Auf Eigenschaften bezogene Kompetenzen bilden die Voraussetzung, um komplexe oder neue, unbekannte Situationen zu bewältigen. Deshalb sind sie für Unternehmen, die hohem Innovationsdruck ausgesetzt sind, besonders wichtig. Aufgabenbezogene Kompetenzen sind Anforderungen. Alle zusammen bilden ein Kompetenzprofil.
Heute spricht man bei bestimmten Kompetenzen auch von Potenzialen. Hier meint man Eigenschaften und Haltungen, die in Veränderungssituationen und beim Umgang mit Komplexität hilfreich sind, beispielsweise: Optimismus, Motivation, Begeisterungsfähigkeit, Lernbereitschaft etc.
Ein generischer Kompetenzrahmen, der über alle Unternehmensbereiche hinweg Gültigkeit haben soll, kann das Ideal einer Unternehmenskultur spiegeln, hat allerdings im Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit in einem Team mit eigener Kultur und speziellen Herausforderungen nur begrenzten Wert.
Es empfiehlt sich, eine vakante Position zu nutzen, um das Kompetenzprofil für das Team, in dem diese Position zu besetzen ist, zu reflektieren. Dafür kann es verschiedene Vorgehensweisen geben:
In definierten Kompetenzprofilen kann eine gewisse Redundanz problematisch auffallen: Die beschriebenen Verhaltensweisen orientieren sich am Status quo: an den sozialen Spielregeln innerhalb des Teams, an den aktuellen Herausforderungen, an der aktuellen Arbeitsaufteilung. Wenn man allerdings schon heute weiss, dass in einigen Monaten die Organisation verändert wird, sollte man sich fragen, ob es sinnvoll sein könnte, von diesem Status quo abzuweichen. Wäre es dann nicht sinnvoll, andere Eigenschaften zu priorisieren, die bisher vielleicht weniger gefragt waren?
Auch kann man die Erstellung eines Kompetenzprofils als Anlass nehmen, die Stärken und Schwächen des Teams zu reflektieren. Welche Aufgaben könnte es besser, effektiver oder einfach anders bewältigen, wenn es andere Impulse gäbe?
Kompetenzen allein sagen noch nicht viel über die Leistungsfähigkeit eines Menschen aus; sie sind aber die Voraussetzung für hohe Leistung. Arbeitspsychologen gehen davon aus, dass Eigenschaften, Einstellungen, Kontrollüberzeugungen oder Motivation, also die Art und Weise, wie Menschen grundsätzlich über sich denken, die Leistungsfähigkeit und die Erfolgsaussichten von Menschen beeinflussen. In der Psychologie spricht man beispielsweise von internalen (man steuert selbst Handeln und Ergebnisse) und externalen (Ereignisse sind das Resultat externer Faktoren) Kontrollüberzeugungen oder von Selbstwirksamkeitserwartung. So kann es vielleicht sein, dass eine Mitarbeiterin zwar introvertiert ist, aber gleichzeitig eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung und Motivation mitbringt, die sie für Führungsaufgaben prädestiniert.
Eine erste Orientierungshilfe bei der Entwicklung einer Terminologie von Kompetenzmodellen, die breitere Verwendung im Unternehmen finden kann, bietet das von Bartram, Robertson und Callinan im Jahr 2002 entwickelte generische Modell der «Great Eight» – so benannt nach acht Kernbereichen beruflicher Leistung. Diesen Bereichen wurden 20 Kompetenzdimensionen zugeordnet, welche wiederum in 112 Einzelkompetenzen zerlegt wurden, die sichtbares Verhalten zeigen.
Sind die gewünschten Kompetenzen reflektiert und definiert, lässt sich im Bewerbungsinterview gezielt danach fragen. Der Lebenslauf bietet dafür den geeigneten roten Faden.
Für jedes relevante Kompetenzcluster überlegt man sich vor dem Bewerbungsgespräch passende Fragen oder Anknüpfungsthemen, andere ergeben sich im Verlauf des Gesprächs. Um dies fokussiert zu halten, ist eine Priorisierung der wichtigsten Wunschkompetenzen wichtig. So ist beispielsweise bei Führungskräften die Fachkompetenz in einem solchen Rating nicht unbedingt die wichtigste Kompetenz. Wichtige, weniger wichtige oder durchaus zur Not zurückzustellende Kompetenzen sollten auf einer Skala, die nicht zu breit ausgelegt ist und wenig Spielraum für eine unentschiedene Mittelposition gibt (1 bis 5), als Basisszenario festgehalten werden. Dort könnte die Führungskraft beispielsweise für Fachkenntnisse eine 4 oder 3 aufweisen, bei sozialer Kompetenz und Innovationsfähigkeit aber eine 5 als stärkste Ausprägung.
Nachdem sich in ersten Phasen des Bewerbungsgesprächs die Teilnehmenden vorgestellt und das Unternehmen und die Position präsentiert haben, folgt die Phase, in der häufig der Lebenslauf des Bewerbenden durchgesprochen wird. In dieser Phase konzentrieren sich die Beteiligten auf die harten Fakten und beobachten zudem die Art und Weise, wie die Bewerbenden ihren Werdegang und die wichtigsten Stationen darstellen. Welche Haltungen und Einstellungen zeigen sie, ist das CV schlüssig?
– Anweisungen geben und koordinieren
– Verhalten beaufsichtigen und überwachen
– Andere schulen
– Arbeit delegieren
– Mitarbeitende ermutigen und befähigen
– Andere motivieren
– Mitarbeitende entwickeln
– Talente finden und einstellen
– Vertrauensbasis mit anderen schaffen
– Beziehungsnetzwerke pflegen
– Zwischen Ebenen vermitteln
– Konflikte bewältigen
– Humor zeigen
– Informationen sammeln und auswerten
– Annahmen machen und überprüfen
– Lösungen entwickeln
– Beurteilen
– Systemdenken zeigen
Eine vollständige Auflistung befindet sich im Handout zum Download: penso.ch/handouts.
* Kurz, R./Bartram, D. (2002): Competency and individual performance. Modelling the world of work, in: Robertson, I.T./Callinan, M./Bartram, D. (Eds.): Organizational Effectiveness. The Role of Psychology, Chichester.
Fragen, die auf Kompetenzen zielen, sollten als W-Fragen gestellt werden: «Warum haben Sie so entschieden? Was hat Sie beschäftigt, als…? Wie haben Sie diese Veränderung herbeigeführt?» Alternativ kann man hypothetische Szenarien entwickeln: «Stellen Sie sich diese oder jene Situation vor. Welche Handlungsoptionen gäbe es Ihrer Meinung nach – und welche präferieren Sie?»
Einige Unternehmen führen diese Kennenlerngespräche mehrmals mit wechselnden Ansprechpartnern durch: manchmal als Marathon an einem Tag mit drei bis vier Interviewern hintereinander oder an verschiedenen Tagen mit verschiedenen Themen, ggf. einhergehend mit Präsentationen, Projektarbeiten oder Probetagen im Team. Bei solchen Anlässen sollte man ebenfalls nicht nur die Fachkenntnisse im Auge haben, dazu im Folgenden ein eigenes Beispiel aus der Praxis.
In einem Verlag sollte die Chefredaktion neu besetzt werden. Es gab im bestehenden Team einen Anwärter, der bereits fest von seinem Aufstieg in die Position überzeugt war. Da ich neu im Unternehmen war, wollte ich mir ein unvoreingenommenes Bild von ihm machen. Die Stelle wurde ausgeschrieben und ich liess die externen Bewerberinnen und den internen Kandidaten eine Zukunftsvision für eine modernisierte Publikation erarbeiten und präsentieren. Hier hätte der interne Bewerber gewisse Vorteile gehabt, die er jedoch nicht zu nutzen wusste. Trotz guter Ideen vermochte er es nicht, das Auditorium für seine inhaltlich guten Ideen zu begeistern. Wie sollte man es ihm nach diesem Auftritt zutrauen, das Team zu überzeugen?
Wie immer man die Kennenlernroutinen in Bewerbungsprozessen gestaltet, die zur eigenen Unternehmenskultur passen sollten: Klarheit über das gewünschte Kompetenzprofil ist ein wichtiger Ausgangspunkt, um eine solide Entscheidungsbasis zu finden. Psychologische Tests können die Ergebnisse ergänzen, die optimalerweise in einem Interviewprotokoll mit einer Einschätzung der Kompetenzen festgehalten werden. Tests eröffnen die Möglichkeit, Abweichungen in den Ergebnissen der Tests mit eigenen Einschätzungen gezielt anzusprechen. Schliesslich sollte man nie vergessen: Menschen bewegen sich mit ihren Fähigkeiten immer in einer Range und sind häufig in der Lage, ein Defizit bei einer Eigenschaft mit höherer Kompetenz in einer anderen auszugleichen.
Wie lassen sich Profil und Facetten im Bewerbungsprozess erfassen? Wie gelingen kompetenzbasierte Interviews? Was können Eignungsdiagnostik und Assessments leisten? Unser Fokus liefert Antworten.
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Das Handout gibt Antworten auf die Fragen wie man Bewerbende in kurzer Zeit bestmöglich kennenlernt. Dazu zählt die Vorbereitung kompetenzbasierter Bewerbungsinterviews oder Tipps zu Assessments.
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