We-Q

Donnerstag, 28. November 2024 - Karen Heidl
Was zeichnet einen produktiven Teamzusammenhalt aus? Über Gruppenintelligenz sprach Penso mit dem systemischen Berater, Coach und Neurowissenschaftler Dr. Peter Krummenacher.

Teamzusammenhalt gilt gemeinhin als erstrebenswert. Aber worum geht es eigentlich dabei, wie zeigt sich Teamkohäsion, und wann kann die Wahrnehmung täuschen? Gruppenintelligenz sei eng mit Teamzusammenhalt verknüpft, sagt der Neurowissenschaftler Dr. Peter Krummenacher. Das funktioniere, wenn ein Team gut koordiniert werde und ihm eine Verantwortung für eine sinnvolle und geteilte Mission übertragen werde. «Wenn wir erleben, dass wir uns gegenseitig brauchen, um ein wichtiges Ziel zu erreichen, wächst die Zusammenarbeit über die Summe der einzelnen Beiträge hinaus», erklärt Krummenacher. «Ein starkes Zugehörigkeitsgefühl führt dazu, dass wir Verantwortung füreinander übernehmen und uns gegenseitig unterstützen.»

Die Teamkoordination benötige dafür ein intelligentes Führungssystem, das allerdings nicht zwangsläufig an eine Person gebunden sein müsse. Laut Krummenacher sollten weitere Faktoren dazukommen: «Die Art und Weise, wie das Team lernt, das Vorhandensein von Vertrauen und Verlässlichkeit, klare Strukturen, Ziele und Rollen und psychologische Sicherheit.» Mit Letztgenannter beschreibt Krummenacher eine angstfreie Kultur, in der unterschiedliche Meinungen und Kritiken als Bereicherung empfunden und in einer wertschätzenden Kommunikation geäussert werden. Wenn die psychologische Sicherheit zwar hoch sei, aber nur eine geringe Verantwortungsübernahme zur Erreichung hoher Ziele vorhanden sei, dann bleibe das Team «in Komfortzonen stecken». Derart «familiär» aufgestellte Teams mögen sich zwar miteinander wohlfühlen, aber sehr leistungs- und entwicklungsfähig seien solche Konstellationen nicht.

Peter Krummenacher

ist Neurowissenschaftler, systemischer Coach, Berater, Team- und Organisationsentwickler sowie Keynote Speaker. Als Gründer und Leiter der Firma ­Brainability verbindet er Beratung und Forschung mit Fokus auf Potenzialentfaltung, Gruppenintelligenz, stärken­orientierte Teamentwicklung, transformativen Kulturwandel, Bias und ­Denkfehler sowie mentale Gesundheit und genesungsfördernde Systeme.
Er studierte Psychologie, Neurophysiologie, Informatik und Psychopathologie, promovierte an der ETH Zürich und ­habilitierte an der Universität Zürich. Brainability ­bietet massgeschneiderte Programme, Coachings und Trainings zur Förderung von Potenzial, Resilienz, nachhaltig ­gesunder Leistungsfähigkeit und Innovationskraft von Individuen, Teams und Organisationen.

brainability.ch

Teamzusammenhalt organisieren

Wie also lassen sich beispielsweise Widerspruch und Diversität so organisieren, dass die Gruppe mehr ist als die Summe ihrer Teile? Wie macht man das Team schlauer? «Teamzusammenhalt zu organisieren, hat mit der Führungskultur zu tun», sagt Krummenacher. «Dafür müssen Rahmenbedingungen organisiert werden.» Ein verantwortungsvolles Bewusstsein für die zur Verfügung stehenden Teamressourcen und für ein gemeinsames Wofür seien Schlüsselfaktoren. Das setze voraus, dass Teams eine gemeinsame Vorstellung davon teilen, welche Stärken die anderen Teammitglieder kontextabhängig einbrächten: Wer beispielsweise besonders visionär-kreativ oder wer eher strategisch-analytisch unterwegs sei. Ein solcher Konsens setze voraus, dass es ein Bewusstsein und eine Wertschätzung für die unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven gebe. Dies könne zum Beispiel durch eine «Talentbörse» und Raum für informellen Austausch gefördert werden. Je bewusster Teams die individuellen Stärken ihrer Mitglieder nutzten, umso besser könne sich die Leistungsfähigkeit der Teamarbeit entwickeln.

Allerdings gebe es auch Phasen, in denen Einzelarbeit stärkere Auswirkung auf den Erfolg eines Projekts habe als eine Teamanstrengung. «Ich habe oft den Eindruck, dass diese ­Variante gerne unterschätzt wird», sagt Krummenacher und führt ein Beispiel an: «Brainstormings sind in Teams nicht unbedingt produktiv, weil sich introvertierte Menschen mehr Zeit zum Reflektieren nehmen oder bei einer Führungskultur mit ­hohem Hierarchie- und Statusdenken eine gewisse Scham eine Beteiligung am Brainstorming bremst, während andere vielleicht dazu neigen, das Team mit besonders viel Redezeit zu dominieren.» Laut Studien könne man Gruppenintelligenz unter anderem daran erkennen, dass Sprech­zeiten in Teams ungefähr gleich verteilt seien. Statt eines Brainstormings könne die «Brainwriting»-Methode solche Störeinflüsse verhindern. Indem alle Teammitglieder einzeln – und gegebenenfalls anonym – ihre Ideen schriftlich einfliessen liessen, entstehe eine grössere Vielfalt an ­Inputs, die in einer zweiten Phase von der Gruppe auf ihre Potenziale untersucht und priorisiert werden könnten.

Von Konflikten und dem Umgang mit Scham

«Auch der Umgang mit Konflikten ist ein Indikator dafür, ob der Teamzusammenhalt tatsächlich von einem Mindset gemeinsamer Verantwortung getragen wird», erklärt Peter Krummenacher. Ein resilienter und belastbarer Teamgeist zeige sich darin, dass Teammitglieder aktiv an der Lösungsfindung beteiligt seien, unterschiedliche Perspektiven wertschätzten und Konflikte als normalen, sachlichen Teil der Zusammenarbeit betrachteten. Wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicher fühlten, den Status quo konstruktiv infrage stellen zu können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen, sei das ein klares Zeichen für psychologische Sicherheit.

Gruppenintelligenz könne dagegen massiv geschmälert werden, wenn gewisse Personen im Team extreme «Takers» seien. Also Menschen, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind, anderen nicht zuhören, sondern ständig unterbrechen und auch nicht wirklich nachfragen, um sie zu verstehen. So hätten Takers immer schon eine Antwort parat, ohne die Positionen der anderen reflektiert zu haben. «Ein einzelner Taker kann die Motivation eines gesamten Giver-Teams zerstören», warnt Krummenacher. Ein Team mit einem echten Zusammenhalt erkenne die Problematik solcher Personen und thematisiere die negativen Auswirkungen. Deshalb sollten in Teams Anreizsysteme so gestaltet sein, dass eine Taker-Haltung unattraktiv werde und ambitionierte Givers gefördert würden – also Menschen, denen die Mission wichtiger sei als ihr eigenes Ego.

«Wir dürfen nicht unterschätzen, wie stark Scham als Innovationskiller in Organisationen wirken kann», ergänzt Krummenacher. Scham unterminiere den Zusammenhalt, die kollektive Lernfähigkeit und damit die Gruppenintelligenz. Wenn man in einer Gruppe einen guten Zusammenhalt anstrebe, müsse man auch über Störfaktoren, Widersprüche und kritische Ansichten sprechen können – also namentlich auch über Verhaltensweisen, die die Teaminteraktion stören und Schamgefühle auslösen könnten. «Ein starkes Team ist in der Lage, einem Taker-Charakter die gelbe und gegebenenfalls auch die rote Karte zu zeigen», so Peter Krummenacher.

Erfolgsfaktoren leistungsfähiger Teams

Als Haupterfolgsfaktoren für leistungsfähige lernende Teams verweist Krummenacher neben der erwähnten psychologischen Sicherheit bei gleichzeitiger Verantwortungsübernahme zur Erreichung hoher Ziele auch auf regelmässige «Retrospektiven». Damit soll die Diskussions- und Entscheidungskultur immer wieder reflektiert werden, indem sich das Team die folgende Frage stellt: «Was haben wir gelernt, was behalten wir bei, und was machen wir das nächste Mal anders?» Gruppenintelligenz heisse eben auch, selbstreflexiv als Gruppe zu agieren. Und hier sei das gemeinsame Verständnis, worum es bei der Arbeit bzw. den Kunden eigentlich gehe, eine wichtige Basis.

Givers und Takers

In der Psychologie beschreiben Givers und Takers unterschiedliche Interaktionsstile. ­Givers zeichnen sich durch eine altruistische Haltung aus, helfen gerne und stellen oft die Bedürfnisse anderer über ihre eigenen. Sie fördern damit eine kooperative Umgebung. Takers hingegen handeln eher egoistisch, streben nach persönlichem Nutzen und maximieren eigene Vorteile, auch auf Kosten anderer. «Studien belegen, dass ­Givers langfristig erfolgreicher und zufriedener sein können und gleichzeitig den grössten Beitrag zur Organisation leisten», erklärt Peter Krummenacher. «Sie schaffen stabile soziale Netzwerke und gewinnen Vertrauen. Für ihren nachhaltigen Erfolg ist es jedoch entscheidend, dass sie lernen, gleichermassen ambitioniert und empathisch zu sein – zum Beispiel, indem sie klare Grenzen ­setzen und selbst um Hilfe bitten, anstatt immer nur zu geben.»

Neben der Würdigung der Gruppenerfolge sei es jedoch auch wichtig, die Beträge Einzelner hervorzuheben und Potenziale individuell sichtbar zu machen, erklärt Krummenacher. Eine transparente Struktur für die Förderung individueller Karrieren unterstützt zudem die Lern- und Entwicklungskultur. «Zur Lernkultur gehört auch eine Fehlerkultur, die es ermöglicht, Risiken einzugehen und Neues zu wagen», betont Krummenacher.

Aus der Hirnforschung wisse man, dass positive Emotionen das Lernen, den Fokus, die Kreativität und die Innovation förderten, erklärt der Neurowissenschaftler. Deshalb seien positive Erlebnisse und Beziehungen am Arbeitsplatz nicht zu unterschätzen. So sei es wichtig, dass auch Emotionen angesprochen werden dürften. Vertrauen und Beziehung stabilisierten ein Team auch in Krisen- oder Veränderungssituationen. Aber, so betont Krummenacher, vertrauensvolle Beziehungen müssten immer an Lernstrukturen angekoppelt sein, sonst sei die Gefahr einer Pseudoharmonie gegeben.

Pseudoharmonie

«Wenn der Groupthink sehr aus­geprägt ist, kann es sich auch um
eine Pseudoharmonie handeln», sagt Krummenacher und führt aus: «Wenn es so wirkt, als wären im Team alle gleicher Meinung und einander zugewandt, kann sich darunter auch die Angst verbergen, Kritik und andere Meinungen zu äussern und Fehler zu machen.» Dies sei besonders oft zu beobachten, wenn Gruppen sehr homogen, hierarchie- und statusorientiert seien und zudem personenbezogene Schuldzuweisungen dominierten.

Deshalb müsse auch das richtige Mass an Diversität gut organisiert sein. Dazu gehöre selbstverständlich, dass das Team die Leute aussuche, die es gut ergänzten und zur Unternehmenskultur passten. «Es ist aber ganz wichtig, dass sich die Teammitglieder nicht klonen», sagt Krummenacher. Das sei häufig der Fall und auch menschlich, für die Gruppenintelligenz und die Leistungskurve des Teams aber nicht sehr förderlich.

Kraft der Rituale

In der heutigen Arbeitswelt sind Teamstrukturen häufig sehr dynamisch. Mitarbeitende sind mitunter projektweise in wechselnden oder mehreren Teams gleichzeitig tätig. Teams können örtlich verteilt sein, schwarmartig unterwegs sein, sprachlich und kulturell divers oder rein remote miteinander agieren. In diesen Konstellationen sei es schwieriger, Emotionalität und Vertrauen aufzubauen. Zugehörigkeit sei ein wichtiger Faktor, weil sie die Qualität der Beziehung ausmache. Die gemeinsam gelebte Kultur, die Art, wie man miteinander umgehe und diskutiere, wie man einander zuhöre, wie man Entscheidungen treffe, das alles schaffe Verbindung und Zugehörigkeit.

«Wenn man sich unter solchen Arbeitsbedingungen ausschliesslich auf die Aufgabe konzentriert, dann ist Kommunikation nur noch einfach ein Updating», sagt Krummenacher. Das könne zwar sehr effizient und zielorientiert wirken. «Aber die offenen Türen, der informelle Informationsfluss, die zufälligen Gespräche und Begegnungen fehlen.» Und genau daraus entstehe oft nicht nur ein besserer Zusammenhalt, sondern auch neue Impulse und innovative Ideen. Krummenacher verweist auf die Erfahrungen im Zuge der Corona-Massnahmen. In Krisenzeiten seien zwischenmenschliche, vertrauensstiftende Rituale sowie unterstützende Verhaltensweisen wichtige Stabilitätsfaktoren, um resi­lienter mit Ungewissheit umzugehen.

Essenz guter Gruppenintelligenz

Von Gruppenintelligenz könne man sprechen, wenn das Wirken des gesamten Teams stärker sei – die Gruppe schlauer ist als die Summe der Intelligenz der einzelnen Teammitglieder. Für einen guten «We-Q», wie Krummenacher Gruppenintelligenz auf einen kurzen Nenner bringt, brauche es Selbstreflexionsfähigkeit im Team, psychologische Sicherheit sowie vernetzte Diversität und Perspektivenvielfalt auf der Basis einer gemeinsamen Verantwortung und eines geteilten Verständnisses der Arbeit.

Take Aways

  • Ein gemeinsames Verständnis der Arbeitsaufgaben, Teamreflexion und psychologische Sicherheit sind zentrale Elemente für den Teamzusammenhalt und fördern die Leistungsfähigkeit des Teams.
  • Ein Team mit einer hohen Gruppenintelligenz reflektiert die Qualität seiner Diskussions- und Entscheidungskultur, die Zusammenarbeit, das Führungssystem sowie die Leistungen und das Potenzial als Gruppe und in der Gruppe. Es zeichnet sich durch ein hohes Verantwortungsbewusstsein aus.
  • Diversität und Perspektivenvielfalt im Team müssen gezielt organisiert und genutzt werden; unterschiedliche Kompetenzen und Sichtweisen sollten sichtbar gemacht und wertgeschätzt werden, um eine dynamische Teamleistung zu fördern.
  • Emotionen und Rituale stärken den Teamzusammenhalt, vor allem in Krisensituationen; Raum für informelle Gespräche fördern die Kreativität und die Innovation.
  • Eine Fehler- und Lernkultur sowie eine ausgewogene Mischung aus Einzel- und Teamarbeit fördern die kontinuierliche Weiterentwicklung und stärken sowohl die individuellen als auch die kollektiven Potenziale des Teams.

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