Wertschätzende Konfliktprävention

Donnerstag, 24. November 2022 - Simon Bühler
Im Arbeitsleben sind Konflikte omnipräsent. Doch wenn sie eskalieren, kann es teuer werden. Drei Experten und Fachleute aus der HR-, der Bau- und der Pflege-Praxis geben Einblick in die Erfolgsfaktoren der Konfliktprävention.

«Die Investition in Konfliktmanagement ist marginal im Vergleich zu den Konfliktkosten, die durch ineffiziente Endlosdiskussionen, gescheiterte Projekte, Fluktuationen und Krankheitsausfälle ausgelöst werden», sagt Professor Albert Vollmer von der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Er ist im Bereich der Angewandten Psychologie mit Schwerpunkt Konfliktmanagement tätig und leitet unter anderem den «CAS Konfliktmanagement in der Arbeitswelt».

Konfliktmanagement trage nicht nur zum Abbau von Stress und damit zur psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden bei: «Konstruktiv bewältigte Konflikte sind auch Innovationschancen, die sich letztlich in der Performance niederschlagen, individuell sowie auf Team- und Unternehmensebene.» Laut einer Konfliktkostenstudie der KPMG [1] lassen sich Einsparpotenziale von bis zu 25 % erzielen, wenn Konflikte verhindert oder systematisch bearbeitet werden. Und laut einer Metastudie [2] steht kooperatives Konfliktmanagement in einem positiven Zusammenhang mit Teamperformance und Zufriedenheit.

Die Gesprächspartnerin und -partner

Dr. Elisa Streuli
Beraterin am Institut für angewandte Psychologie (IAP) der ZHAW

James T. Peter
Rechtsanwalt, Mediator und Dozent Kaleidos Fachhochschule

Prof. Albert Vollmer
Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)

Auf die Frage, wie man in Unternehmen schwerwiegenden Konflikten vorbeugen kann, zählt Vollmer einige Grundbedingungen auf: «Konflikte in Sachthemen lassen sich eingrenzen durch klare Zielsetzungen, zielführende Vorgehensweisen und genügend Ressourcen.» Dabei sollten Rollenkonflikte verhindert werden, indem Rollen allen klar sind und bekannt ist, welche Funktion sie im  Gesamtzusammenhang haben. «Am vielversprechendsten ist es, all diese Aspekte
immer wieder zu thematisieren, frühzeitig, wertschätzend und mit Blick auf den einzelnen Menschen sowie das grosse Ganze.»

Klassisch schwelende Konfliktherde

Fragt man die Konflikt-Expertin Elisa Streuli nach den Erfolgsfaktoren gelingender
Konfliktprävention, antwortet sie mit einer vermeintlich lapidaren Alltagsweisheit: «Es ist besser, bei schönem Wetter einen Schirm zu kaufen, als dies erst im Regen zu tun.» Die Soziologin ist am Institut für angewandte Psychologie (IAP) der ZHAW als Dozentin und Beraterin in der Managementbildung mit Schwerpunkt Konfliktmanagement tätig. Sie berät Unternehmen bei Konflikten und kann auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken.

«Viele Unternehmen berichten uns von Konflikten, die unter dem Tisch schwelen», sagt Streuli. «Doch wenn wir Angebote machen, melden sich oft nur wenige Betroffene zu Wort, denn vorhandene Konflikte lassen die Leute eher verstummen.» Deshalb würden viele Firmen ihre Konfliktmanagement-Interventionen gern als Teambuilding «tarnen». Ein klassischer Fall für solche Konfliktinterventionen entstehe, wenn alteingesessene und reorganisationsmüde Mitarbeitende mit ungeduldigen Nachwuchskräften neue Teams bilden müssten
und sich obendrauf auch noch ein neuer Teamchef mit agilen Arbeitsformen profilieren wolle.

Strukturelle Gehässigkeit und Lästerkultur

Neben solchen Generationenkonflikten und «toxischem Boss-Bashing» treffe sie in konfliktanfälligen Unternehmen oft auch auf «organisationalen Stress». Dieser entstehe meist aufgrund fehlender Kommunikation und unklarer Aufgabenziele.
Diese Kombination führe zu einer «strukturellen Gehässigkeit und Lästerkultur», die sich leider oft gegen Einzelpersonen wende. Zudem beobachtet die Konfliktberaterin eine fast schon epidemische «Führungskräfte-Krankheit, wo Vorgesetzte aus Angst vor Kränkungen schwelenden Konflikten viel zu lange zuschauen, bis es explodiert und zu Abmahnungen kommt».

Wolle man solche Eskalationen verhindern, sei der Kommunikation als Führungsinstrument höchste Bedeutung beizumessen. Die Sprache in der Wirtschaftswelt sei bis heute immer noch «mechanistisch von industriellen Maschinenmetaphern» geprägt, etwa die Redewendungen «Läuft wie geschmiert»
oder «Sand im Getriebe». «Nichts gegen Automatisierung und Roboter», sagt Elisa Streuli, «aber wo Menschen und damit Emotionen im Spiel sind, kommt es unweigerlich zu Konflikten, und für deren Schlichtung und deren Lösung sind Führung und gesichtswahrende Lösungen gefragt.»

Wenn Primadonnen Konfliktmanagement sabotieren

Dass Konfliktmanagement unbestritten eine Führungsaufgabe ist, die auf höchster
Führungsebene verankert sein sollte, unterstreicht auch der Rechtsanwalt und Mediator James T. Peter. Er ist Fachleiter und Dozent des «CAS FH in Wirtschaftsmediation und Konfliktmanagement» an der Kaleidos Fachhochschule und ist überzeugt, dass ein deutliches Bekenntnis der Unternehmensführung zur Notwendigkeit eines Konfliktmanagements unabdingbar ist und ein klares Signal setzt: «Es gibt Konflikte. Dies sollten wir weder negieren noch verdammen, sondern
einfach nur ernst nehmen. Die Frage rund ums Konfliktmanagement ist, wie wir mit Konflikten umgehen.»

Peter beobachtet in seiner Tätigkeit als Mediator und Berater allerdings immer wieder mit Bedauern, dass selbst in HRLeitungsfunktionen gewisse Führungskräfte
dem Thema nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenken und damit die Bemühungen von internen Konfliktmanagern erschweren: «Insbesondere die Gesundheitsbranche und Expertenorganisationen wie Universitäten nehme ich generell als konfliktträchtig wahr, weil diese traditionell hierarchisch aufgestellt sind und viele ‹Primadonnen› anziehen.»

Betreffend Konfliktprävention will er die Erwartungen denn auch nicht zu hoch schrauben: «Konfliktprävention heisst nicht Konflikte, sondern die destruktive Konflikteskalation zu verhindern», sagt Peter und holt noch weiter aus: «Konflikte sind menschlich, gehören dazu und sind wichtig. Eine Welt ohne Konflikte ist weder möglich noch sinnvoll. Es
geht um niederschwellige Konfliktlösungen ohne Eskalation.»

Feedbackkultur und Vertrauensklima

Professor Albert Vollmer sieht derweil sehr wohl Instrumente, die der Vorbeugung von Konflikten dienen. Er empfiehlt die Etablierung von wiederkehrend und kontinuierlich eingesetzten Kommunikationsinstrumenten. Etwa ganz simpel in Form eines stehenden Traktandums in Teamsitzungen: «Was läuft gut, wo gibt es Schwierigkeiten?»  Entsprechend ritualisiert seien solche Instrumente sehr hilfreich, um Missverständnisse zu klären und Konflikte früh zu erkennen.

Voraussetzung dafür sei eine Feedbackkultur, in deren Rahmen Rückmeldungen über individuelle Aufgabenerledigung und die Zusammenarbeit gegeben würden. Dasselbe gelte für Beziehungskonflikte, die Vollmer ebenfalls frühzeitig zu thematisieren empfiehlt. «Hierfür braucht es ein Klima des Vertrauens und der psychologischen Sicherheit, wo Dinge gesagt werden können, die andere vielleicht nicht gerne hören, ohne jedoch negative Konsequenzen befürchten zu müssen.»

Erfolgsfaktoren und Instrumente der Konfliktprävention

  • Grundsätze der Zusammenarbeit klar formulieren und einfordern. Dazu gehören beispielsweise:
    - Klären, wie, wann und in welcher Form Ziele definiert und kommuniziert werden
    - Vorgehensweisen und Methoden abstimmen, dokumentieren und einfordern
    - Klärung, welche Ressourcen für die Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden und warum
    - Aufgaben und Rollen klären und nachvollziehbar gestalten
  • Instrumente zur Verfügung stellen, die Kommunikation, Dokumentation und Feedback fördern (Kollaborationstools, agile Meeting-Methoden, Feedback-Routinen u.a.)
  • Konfliktfallanalysen im Rahmen der Team- und Organisationsentwicklung vornehmen
  • Konfliktprävention im Leitbild verankern und Vertrauenspersonen, Ombudspersonen, Konfliktlotsen als Ansprechpartner definieren
  • Konfliktmanagement-Kompetenzen unter Führungskräften und Mitarbeitenden fördern, beispielsweise durch Verhandlungstrainings sowie Coaching oder Ausbildung interner Mediatoren
  • In anhaltenden Konfliktfällen externe, neutrale Projektmanager und im Eskalationsfall externe Mediatoren oder Mediatorinnen hinzuziehen.

HR als Konfliktmanager

Für ein gelingendes Konfliktmanagement seien primär die Führungskräfte gefordert, zunehmend aber alle Mitarbeitenden, meint Vollmer. «Denn zukünftig werden alle mehr Verantwortung übernehmen müssen, wie die Entwicklung hin zu selbstführenden Teams zeigt.» Hier komme auch HR ins Spiel. «HR erlebt derzeit in vielen Unternehmen eine deutliche Erweiterung des Aufgabengebiets», so Vollmers Beobachtung. Das Tätigkeitsspektrum umfasse zunehmend die Förderung persönlicher und teambezogener Entwicklung: «Teams, die in der Lage sind, Konflikte zu managen, sind um einiges zuversichtlicher, dass sie auch künftig Konflikte werden lösen können.»

Aus Sicht von Albert Vollmer sollte HR hierfür mit gut dokumentierten Argumenten die Legitimation der Unternehmensleitung einholen und selbstbewusst eine verantwortliche Rolle einnehmen. Etwa indem HR in Zusammenarbeit mit der Organisationsentwicklung konkrete Konfliktmanagement-Angebote macht. «Konfliktmanagement ist ein so weitreichendes Thema, dass es in der Unternehmenskultur verankert sein sollte.» HR könne wesentlich zu dieser strategischen Verankerung und zur praktischen Anwendung beitragen. Sei es mit der Organisation von Weiterbildungen oder indem HR selbst eine aktive Rolle einnehme und Konfliktcoaching oder Konfliktmoderation anbiete.

[1] KPMG (2009). Konfliktkostenstudie. Die Kosten von Reibungsverlusten in Industrieunternehmen. Frankfurt/M.: KPMG.
[2] Metastudie: DeChurch et al. (2013) DeChurch, L. A., Mesmer-Magnus, J. R., & Doty, D. (2013). Moving beyond relationship and task conflict: Toward a process state perspective. Journal of Applied Psychology, 98(4), 559-578.

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