Wird die Bedeutung älterer Mitarbeitender angesichts des Fachkräftemangels noch zu wenig wahrgenommen?
Vermutlich wird es zu spät sein, wenn die Mehrheit der Unternehmen verstanden hat, dass es wichtig ist, die älteren Arbeitnehmenden solange wie möglich im Erwerbsprozess zu halten. Die Befragten glauben, dass noch zu wenig gemacht wird. Es hängt von der Firmenkultur ab, ob in Sachen Mitarbeiterbindung 50+ spezifisch etwas unternommen wird. Die Verantwortung darf allerdings nicht einseitig dem Unternehmen zugeschrieben werden. Viele Unternehmen kümmern sich bereits um Generationen-
management. Oft nehmen Arbeitnehmende entsprechende Angebote aber nicht wahr oder äussern ihre Bedürfnisse nicht. Sie sind nicht selbstverantwortlich oder offen genug für lebenslanges Lernen, Karriere im Alter oder eine Tätigkeit als Mentor, trauen sich berufliche Veränderungen und Jobwechsel nicht mehr zu oder sitzen die Zeit bis zur Pensionierung ab.
Wer ist in den Unternehmen vorrangig für das Thema Silver Workforce verantwortlich?
Grundsätzlich ist es ein strategisches Thema, das bei der Geschäftsleitung und im HRM anzusiedeln ist, dann aber in konkrete Massnahmen überführt werden muss. Wünschenswert wäre, dass es eine hohe Bedeutung im BGM, Diversity Management sowie Training & Development hätte. Diese Bereiche scheinen noch zu wenig eingebunden zu sein. Gesundheit und die damit verbundene Arbeitsfähigkeit sind wichtig. Training & Development müsste spezifische Weiterbildungsangebote für die drei Silver-Workforce-Cluster anbieten. Dabei könnte es um Themen, wie «Arbeitsmotivation und Engagement 50+», «Employability 50+», oder auch «Exploration 50+», also eine berufliche Standortbestimmung gehen. Diversitiy- & Inclusion-Verantwortliche müssten sich gegen Altersdiskriminierung und für Chancengleichheit und Wertschätzung einsetzen.
Was sind die zentralen Bedürfnisse der Mitarbeitenden über 50?
Das kann je nach Kohorte der über 50-Jährigen variieren, durchs Band ist die Wertschätzung zentral. Alle Mitarbeitenden wollen spüren, dass sie dem Unternehmen wichtig sind. Dazu gehören bewusste Förderung durch gezielte Weiterbildung, Chancengleichheit, aber auch Toleranz und Akzeptanz. Fragt man konkret, welche Themen die älteren Arbeitnehmenden beschäftigen, sind es Gesundheit, Arbeitsmarktfähigkeit oder Work-Life-Balance. Dann auch Fachfragen rund um die Pensionierung. Schliesslich Über-
forderung durch Veränderungen im Unternehmen und neue Technologien. Der traurige Hintergrund, warum Wertschätzung so wichtig ist: Viele nehmen wahr, dass sie mit zunehmendem Alter aufs Abstellgleis geschoben werden. Oft machen sie die Erfahrung, dass sie bei Restrukturierungen die ersten sind, die entlassen werden. Oder es manifestiert sich die «Grey Ceiling»: Ältere Mitarbeitende stossen an eine Decke, ihnen werden keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr geboten. Das hat unterschiedliche Gründe. Insbesondere, wenn die Führungskraft jünger ist, findet sie eher, dass es sich nicht lohnt, eine ältere Person zu entwickeln. Oder sie will im anderen Fall verhindern, dass die Person aufgrund ihrer Entwicklung das Team verlässt. Es gibt ein Dreieck aus Mitarbeitenden, Unternehmen und Führungskraft. Man muss sich fragen, wer welches Bedürfnis hat und ob sie sich im Weg stehen. Neben den Bedürfnissen ist spannend, womit sich Silver Worker laut unserer Studie nicht auseinandersetzen: Aktive Beschäftigung mit Herausforderungen, Re- oder Up-Skilling, also das Auffrischen oder Erweitern des Wissens. Hier ist auch die Führungskraft in der Pflicht.
Mit welchen Angeboten können Arbeitgebende die Bedürfnisse der älteren Mitarbeitenden befriedigen?
Die Arbeitgebenden bieten den Silver Workern bereits viel bezüglich der Work-Live-Balance. Stichworte dazu sind Teilzeit, flexible Arbeitszeiten oder Frühpensionierung. Das ist wichtig, wenn die älteren Mitarbeitenden zum Beispiel ihre betagten Eltern pflegen möchten oder sich schrittweise aus dem Berufsleben zurückziehen wollen. Vernachlässigt wird allerdings der Bereich der Weiterentwicklung. Wichtiger wäre angesichts des Fachkräftemangels der Erhalt der Arbeitskraft und nicht deren Abbau. Die Führungskraft sollte eine Standortbestimmung mit den Mitarbeitenden vornehmen und ihre Bedürfnisse erfragen: Was motiviert Dich, wie zufrieden bist Du, was fehlt Dir und wohin willst Du? Dies gilt es dann mit den Unternehmenszielen abzugleichen. Es ist aufwendig, jeden mit seinen Bedürfnissen abzuholen, es ist aber unbezahlbar. Denn erst der Generationenmix verhilft Unternehmen zum Erfolg. Jüngere Mitarbeitende bringen nicht dieselben, insbesondere sozialen Qualifikationen mit, wie die älteren. Aber auch Informationsveranstaltungen zur Pensionierungsplanung sind wichtig. Schliesslich muss der Austritt gut begleitet sein. Hier geht es auch um Nachfolgeplanung und Know-how-Transfer.
Solche Angebote sind vermutlich nicht kostenlos umzusetzen. Lohnt sich diese Investition?
Ja, unbedingt. Es geht immer um die Massnahmen und deren Effekt. Massnahmen des BGM wie Sportangebote führen zu messerbar weniger Absenzen. Weiterbildungen zu Fach- oder Methodenwissen bewirken, dass die Leute produktiver und engagierter sind und weniger Kündigungsabsichten hegen. Wenn man in gemischte Teams investiert, hat man weniger Konflikte, ein besseres soziales Miteinander und wiederum weniger Kündigungen. Letztlich schlagen sich alle Bemühungen um die Silver Workforce in den Produktivitäts- und Mitarbeiterzufriedenheitskennzahlen nieder.