Wertschätzung statt Abstellgleis

Donnerstag, 30. Mai 2024 - Gregor Gubser
Erst 34% aller Firmen haben erkannt, welchen Wert ältere Arbeitnehmende haben. In der Studie «Silver Workforce 2023» von Talent Solutions hat Susanne Pladeck eruiert, wie alle gewinnen können.

Zur Person

Susanne Pladeck ist Senior Consultant Career & Talent Management bei Talent Solutions, Right Management. Sie hat einen Master of Arts (M.A.) der Universität Münster in Arbeits- und Organisationspsychologie mit Schwerpunkt Personalmanagement und Führungspsychologie.

Susanne Pladeck, Sie haben in der Silver-Workforce-­Studie von 2023 die Bedeutung von Silver Workern untersucht. Wer zählt dazu?

Wir haben uns für die Bezeichnung Silver Workforce entschieden, hätten aber auch Golden Workforce oder Aging Workforce wählen können. Zunächst geht es um eine Altersgruppe, wobei das Numerische zu kurz greift. Wir haben die Kohorten 50 bis 54, 55 bis 59 und 60 bis 65 und älter gewählt. Generell ist das psychologische oder subjektive Lebensalter nicht gleich wie das numerische Alter. Das subjektive Alter variiert, abhängig davon, wie alt ich mich fühle, wie mein Gesundheitszustand ist, wie meine Einstellung zum Älterwerden ist, wie produktiv ich mich noch wahrnehme und wie engagiert ich in der Arbeit bin. Das kann innerhalb der Silver-Workforce-Kohorten variieren. Für Unternehmen hat das numerische Alter hinsichtlich der Pensionskassenbeiträge eine Bedeutung. Die Kosten für ältere Arbeitnehmende sind tendenziell höher.

Ist das Thema Silver Workforce bei den Unternehmen angekommen?

In unserer Studie kam heraus, dass nur 34% der Befragten – HR-Verantwortliche wie Mitarbeitende – sagen, Silver Workforce sei ein Thema. In den meisten Unternehmen ist es also kein Thema, um das man sich besonders kümmert. Was nicht zwingend heissen muss, dass ältere Mitarbeitende nicht wahrgenommen werden. Zudem sind verschiedene Branchen vom Thema unterschiedlich stark betroffen. Beispielsweise liegt das Durchschnittsalter in der Verwaltung bei 45 Jahren, in der IT bei 39 Jahren. Kleinere Unternehmen sind eher daran interessiert, ihre älteren Mitarbeitenden an sich zu binden und messen dem Thema mehr Wert bei. Einfluss hat auch das Alter der Entscheider. Ist eine HR-Verantwortliche selbst älter, wird sie älteren Mitarbeitenden mehr Aufmerksamkeit schenken. Das Thema ist in der öffentlichen Diskussion angekommen und wird im Rahmen von Generationenmanagement, Diversity & Inclusion oder Lebensphasen-orientiertem HRM aufgegriffen.

Wird die Bedeutung älterer Mitarbeitender angesichts des Fachkräftemangels noch zu wenig wahrgenommen?

Vermutlich wird es zu spät sein, wenn die Mehrheit der Unternehmen verstanden hat, dass es wichtig ist, die älteren Arbeitnehmenden solange wie möglich im Erwerbsprozess zu halten. Die Befragten glauben, dass noch zu wenig gemacht wird. Es hängt von der Firmenkultur ab, ob in Sachen Mitarbeiterbindung 50+ spezifisch etwas unternommen wird. Die Verantwortung darf allerdings nicht ein­seitig dem Unternehmen zugeschrieben werden. Viele Unternehmen kümmern sich bereits um Generationen­-
management. Oft nehmen Arbeitnehmende entsprechende Angebote aber nicht wahr oder äussern ihre Bedürfnisse nicht. Sie sind nicht selbstverantwortlich oder offen genug für lebenslanges Lernen, Karriere im Alter oder eine Tätigkeit als Mentor, trauen sich berufliche Veränderungen und Jobwechsel nicht mehr zu oder sitzen die Zeit bis zur Pensionierung ab.

Wer ist in den Unternehmen vorrangig für das Thema Silver Workforce verantwortlich?

Grundsätzlich ist es ein strategisches Thema, das bei der Geschäftsleitung und im HRM anzusiedeln ist, dann aber in konkrete Massnahmen überführt werden muss. Wünschenswert wäre, dass es eine hohe Bedeutung im BGM, Diversity Management sowie Training & Development hätte. Diese Bereiche scheinen noch zu wenig eingebunden zu sein. Gesundheit und die damit verbundene Arbeitsfähigkeit sind wichtig. Training & Development müsste spezifische Weiterbildungsangebote für die drei Silver-Workforce-Cluster anbieten. Dabei könnte es um Themen, wie «Arbeitsmotivation und Engagement 50+», «Employability 50+», oder auch «Exploration 50+», also eine berufliche Standortbestimmung gehen. Diversitiy- & Inclusion-Verantwortliche müssten sich gegen Altersdiskriminierung und für Chancengleichheit und Wertschätzung einsetzen.

Was sind die zentralen Bedürfnisse der Mitarbeitenden über 50?

Das kann je nach Kohorte der über 50-Jährigen variieren, durchs Band ist die Wertschätzung zentral. Alle Mitarbeitenden wollen spüren, dass sie dem Unternehmen wichtig sind. Dazu gehören bewusste Förderung durch gezielte Weiterbildung, Chancengleichheit, aber auch Toleranz und Akzeptanz. Fragt man konkret, welche Themen die älteren Arbeitnehmenden beschäftigen, sind es Gesundheit, Arbeitsmarktfähigkeit oder Work-Life-Balance. Dann auch Fachfragen rund um die Pensionierung. Schliesslich Über-
forderung durch Veränderungen im Unternehmen und neue Technologien. Der traurige Hintergrund, warum Wertschätzung so wichtig ist: Viele nehmen wahr, dass sie mit zunehmendem Alter aufs Abstellgleis geschoben werden. Oft machen sie die Erfahrung, dass sie bei Restrukturierungen die ersten sind, die entlassen werden. Oder es manifestiert sich die «Grey Ceiling»: Ältere Mitarbeitende stossen an eine Decke, ihnen werden keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr geboten. Das hat unterschiedliche Gründe. Insbesondere, wenn die Führungskraft jünger ist, findet sie eher, dass es sich nicht lohnt, eine ältere Person zu entwickeln. Oder sie will im anderen Fall verhindern, dass die Person aufgrund ihrer Entwicklung das Team verlässt. Es gibt ein Dreieck aus Mitarbeitenden, Unternehmen und Führungskraft. Man muss sich fragen, wer welches Bedürfnis hat und ob sie sich im Weg stehen. Neben den Bedürfnissen ist spannend, womit sich Silver Worker laut unserer Studie nicht auseinandersetzen: Aktive Beschäftigung mit Herausforderungen, Re- oder Up-Skilling, also das Auffrischen oder Erweitern des Wissens. Hier ist auch die Führungskraft in der Pflicht.

Mit welchen Angeboten können Arbeitgebende die Bedürfnisse der älteren Mitarbeitenden befriedigen?

Die Arbeitgebenden bieten den Silver Workern bereits viel bezüglich der Work-Live-Balance. Stichworte dazu sind Teilzeit, flexible Arbeitszeiten oder Frühpensionierung. Das ist wichtig, wenn die älteren Mitarbeitenden zum Beispiel ihre betagten Eltern pflegen möchten oder sich schrittweise aus dem Berufsleben zurückziehen wollen. Vernachlässigt wird allerdings der Bereich der Weiterentwicklung. Wichtiger wäre angesichts des Fachkräftemangels der Erhalt der Arbeitskraft und nicht deren Abbau. Die Führungskraft sollte eine Standortbestimmung mit den Mitarbeitenden vornehmen und ihre Bedürfnisse erfragen: Was motiviert Dich, wie zufrieden bist Du, was fehlt Dir und wohin willst Du? Dies gilt es dann mit den Unternehmenszielen abzugleichen. Es ist aufwendig, jeden mit seinen Bedürfnissen abzuholen, es ist aber unbezahlbar. Denn erst der Generationenmix verhilft Unternehmen zum Erfolg. Jüngere Mitarbeitende bringen nicht dieselben, insbesondere sozialen Qualifikationen mit, wie die älteren. Aber auch Infor­mationsveranstaltungen zur Pensionierungsplanung sind wichtig. Schliesslich muss der Austritt gut begleitet sein. Hier geht es auch um Nachfolgeplanung und Know-how-Transfer.

Solche Angebote sind vermutlich nicht kostenlos umzusetzen. Lohnt sich diese Investition?

Ja, unbedingt. Es geht immer um die Massnahmen und deren Effekt. Massnahmen des BGM wie Sportangebote führen zu messerbar weniger Absenzen. Weiterbildungen zu Fach- oder Methodenwissen bewirken, dass die Leute produktiver und engagierter sind und weniger Kündigungsabsichten hegen. Wenn man in gemischte Teams investiert, hat man weniger Konflikte, ein besseres soziales Miteinander und wiederum weniger Kündigungen. Letztlich schlagen sich alle Bemühungen um die Silver Workforce in den Produktivitäts- und Mitarbeiterzufriedenheitskennzahlen nieder.

Wo sollte ein Unternehmen zuerst ansetzen?

Eine Mitarbeiterbefragung der betreffenden Altersgruppe ist ein guter Anfang, weil allein schon die Befragung Wertschätzung ausdrückt. Auf Basis der Befragungsergebnisse gilt es, konkrete Massnahmen – zum Beispiel Workshops zur beruflichen Standortbestimmung 50+ – zu definieren, umzusetzen und zu prüfen. Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon.

AHV und berufliche Vorsorge ermöglichen den Aufschub des Rentenbezugs bis 70. Was braucht es am Arbeitsplatz, damit die Mitarbeitenden bereit sind, bis 65 oder länger zu arbeiten?

Die Person und der Job müssen zusammenpassen. Ist es ein «Muss-Job» ohne Herz und Sinn, dann ist das schwierig. Fühlt es sich aber nach Selbstverwirklichung ohne grosse Mühsal an, ist die Chance gross, dass die Person für den Job motiviert ist und weitermacht. Dazu gehören auch das Umfeld, die Wertschätzung und das Wohlbefinden. Das gilt für jene, die aus finanzieller Sicht nicht mehr arbeiten müssten, aber umso mehr für jene, die die Rente noch etwas aufbessern sollten.

 

Studie «Silver Workforce 2023»

Talent Solutions, Right Management Schweiz – ein Unternehmen der ManpowerGroup – hat die Studie durchgeführt, mit dem Ziel herauszufinden, in welcher Hinsicht Unternehmen
für das Thema Silver Workforce sensibilisiert sind und welche ­aktuellen Ansätze und Konzepte es dazu gibt. Im Fokus der dazu durchgeführten Befragung stehen vor allem die Dienstleistungs- und Wissensberufe, die rund 8
0% aller Erwerbstätigen in der Schweiz ausmachen.

Für die Praxis enthält die Studie Checklisten mit möglichen Massnahmen eines betrieblichen Altersmanagements. Darüber hinaus bietet Talent Solutions, Right Management entsprechende Workshops für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden 50+ an.

Die Studie kann hier heruntergeladen werden.

Was sind Faktoren, die einen längeren Verbleib im ­Arbeitsleben erschweren?

Gesundheitliche Probleme machen das schwierig. In der Produktion spielen körperliche Einschränkungen eine grössere Rolle als bei Schreibtischberufen. Aber auch dort gibt es körperliche Probleme. Häufig fällt es älteren Mitarbeitenden schwer, sich acht Stunden voll zu konzentrieren. Menschen, die sich auf dem Abstellgleis fühlen und schlecht ins Team integriert sind, werden kaum länger arbeiten als unbedingt nötig. Um dem zu begegnen, braucht es auch gemischte Teams, in denen jede und jeder genügend Kollegen der eigenen Generation findet.

Wo sehen Sie den Nutzen für die Unternehmen, wenn Sie Mitarbeitende über 50 fördern?

Sie bewahren oder gewinnen die Kompetenzen der ­Silver Worker:

  • Verlässlichkeit, Loyalität, Commitment
  • Lebens- und Erfahrungswissen
  • Soziale Kompetenz, emotionale Intelligenz
  • Besseres Selbstmanagement, -erkenntnis und -wahrnehmung als Jüngere
  • Stressresistenz und Resilienz
  • Toleranz gegenüber Diversität und Change
  • Vernetztes Denken
  • Grosse Netzwerke
  • Souveräner Umgang mit anspruchsvollen Kunden
  • Selbstsicher in Verantwortungsübernahme und Entscheidungen

Daher: Kümmert euch um die Bedürfnisse der Silver Workforces, weil sie so viele Kompetenzen mitbringen! In gemischten Teams können die Jüngeren von einem Wissens- und Erfahrungstransfer profitieren und sich mit anderen Ansichten auseinandersetzen. Ja, ältere Arbeitnehmende sind teuer, aber Kompetenzen, die sich nur durch Lebenserfahrung und nicht mittels spezifischer Ausbildung erwerben lassen, sind unbezahlbar.

Take Aways

  • Bei nur 34% der Unternehmen ist Silver Workforce ein Thema.
  • Das grösstes Anliegen der Silver Workforce ist es, wertgeschätzt zu werden.
  • Wertschätzung kann in einem ersten Schritt durch gezielte Befragung nach den Bedürfnissen ausgedrückt werden.
  • Werden Massnahmen umgesetzt, die den Bedürfnissen Rechnung tragen, stehen die Chancen gut, dass die älteren Mitarbeitenden dem Unternehmen erhalten bleiben.
  • Die wichtigsten Massnahmen sind Weiter­bildungs- und Entwicklungsangebote, Gesundheitsförderung, flexible Arbeitszeiten oder generationengemischte Teams.
  • Im Gegenzug profitiert das Unternehmen von motivierten Silver-Workforce-Mitarbeitenden mit unbezahlbaren Kompetenzen und Erfahrungen.

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