Ins Zentrum digitaler Transformation gehören die Menschen

Sonntag, 26. Februar 2023 - Gregor Gubser
Nancy Wayland hat die SVA Aargau deutlich modernisiert und zu einem kundenorientierten Unternehmen entwickelt. Im Interview verrät Wayland, wie sie die Mitarbeitenden durch den Veränderungsprozess geführt hat.
Frau Wayland, was war Ihr grösster Verdienst in der SVA Aargau?

Wir haben über die Jahre in all unseren Aufgaben basierend auf Customer Journeys und im engen Austausch mit unseren Kunden eine kundenorientierte Sicht unserer Arbeit entwickelt und implementiert. Das ist für eine  Sozialversicherungsanstalt nicht selbstverständlich. Der Gewinn des Digital Economy Award für die vollautomatisierte Durchführung der Prämienverbilligung oder der Gewinn des Customer Relations Award für die Kundenbetreuung aus einer Hand sind in diesem Sinne wunderbare Bestätigungen. Die Mitarbeitenden der SVA Aargau wiederum fühlen sich – so bestätigen sie es in den Umfragen – in der Weiterentwicklung des Unternehmens überdurchschnittlich gut einbezogen. Darüber freue ich mich besonders, denn so wird es möglich, dass sie ihre Kompetenzen in die Unternehmenstransformation einbringen.

Nancy Wayland war während 8 Jahren CEO der SVA Aargau und wagt nun den Schritt in die Selbständigkeit. Zuvor hat sie unter anderem Erfahrungen beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) und dem BAKOM gesammelt.
wayland@bluewin.ch

Wo würden Sie Kritik an Ihrer Arbeit üben?

Die Lücke zwischen dem Ist und dem Soll bezüglich der kundenorientierten, raschen, einfachen und korrekten Durchführung in der 1. Säule ist nach wie vor erheblich. Da die SVA Aargau in all ihren Aufgaben in der Existenzsicherung tätig ist und die Kunden auf zeitnahe Entscheide angewiesen sind, verspürte ich einen enormen Drang, die Dinge zu beschleunigen. Mich beschäftigt, dass Versicherte in der Invalidenversicherung teilweise viel zu lange warten und zur Überbrückung Sozialhilfe beziehen müssen. Ich musste lernen, meine Ungeduld zu nutzen, um Drive zu entwickeln und Energie in die Veränderungen im Unternehmen zu geben, ohne dass ich damit andere vor den Kopf stosse. Das ist mir nicht immer gelungen. Ich bin daher froh, haben wir eine Kultur entwickelt, in der es möglich war, mich für unkluges Verhalten zu entschuldigen und mir auch verziehen wurde.

Wie hat sich die Digitalisierung in der SVA auf Ihre Mitarbeitenden ausgewirkt?

Für die Mitarbeitenden ist die Transformation von einer verwaltungsnahen Durchführungsstelle der Sozialversicherungen zu einer kundenorientierten Dienstleisterin zwar anspruchsvoll, aber auch sehr sinnstiftend und motivierend. Wie viele andere Unternehmen auch, steckt die SVA Aargau in einer Übergangsphase: Es gibt schon digitalisierte Lösungen, aber noch nicht in dem Umfang, als dass sie schon überall zur Entlastung der Mitarbeitenden führen. Die Gleichzeitigkeit der Entwicklung digitalisierter Lösungen und der Sicherstellung eines anspruchsvollen, dynamischen Tagesgeschäfts ist herausfordernd. Momente, in denen Erfolge erzielt werden, z. B. durch einfache Robotic Process Automation (RPA) Lösungen für repetitive Prozesse, sind besonders ermutigend.

In einem Penso-Artikel zum Thema Digitalisierung schrieben Sie folgenden Satz: «Damit der digitale Wandel funktioniert, ist mehr nötig als das Einführen technologischer Lösungen. Er bedingt einen Digital Mindset aller Beteiligten.» Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?

Ein «Digital Mindset» beginnt nicht bei der Technologie, sondern bei den Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Auswahl der angemessenen digitalen Anwendungen und deren Einführung. Digitale Lösungen machen nur Sinn, wenn sie aus Sicht der Betroffenen (Versicherte, Arbeitgeber, Selbstständigerwerbende und Mitarbeitende) Mehrwert bringen. Dies wiederum bedingt Mitarbeitende, die in der Lage und willens sind, entsprechende Prozessredesigns aus Eigeninitiative voranzutreiben. Wenn wir die Menschen möglichst selbstbestimmt arbeiten lassen wollen, müssen sie wissen, wozu ihre Arbeit dient und was ihr Beitrag am Unternehmenserfolg ist. Dazu muss der nötige Spielraum geschaffen werden. Nur so können sie selbstverantwortlich wirken. Damit kommt dem Purpose des Unternehmens eine zentrale Bedeutung zu. Wir haben intensiv daran gearbeitet, den Unternehmenszweck so herauszuarbeiten, dass er für alle Aufgabenbereiche gültig ist und alle in der SVA Aargau ihn kennen. Er stellt den Leuchtturm dar, der allen im Unternehmen mit Bezug auf ihr Tun Orientierung gibt.

Welche Rolle spielte dabei das HR?

Ich mag den Begriff HR nicht besonders. Er beinhaltet teilweise ein veraltetes Bild auf Mitarbeitende als Ressource, auf die einzuwirken ist und stellt sie damit auf die gleiche Stufe, wie finanzielle Mittel oder Infrastruktur. Menschen bringen aber ihre Energie ins Unternehmen. Dies tun sie basierend auf ihren persönlichen Werten, die mit denjenigen des Unternehmens in irgendeiner Form übereinstimmen müssen. Es braucht nicht nur das eine Team, das die Transformation vorantreibt, sondern Menschen im ganzen Unternehmen, die über eine spezielle Sensitivität, Empathie, die Bereitschaft Vorbild zu sein, Mut und gute Methodenkompetenzen verfügen. Wenn wir die Aufgabe des Vorlebens von Werten, Veränderungsbereitschaft und -kompetenz und Verantwortungsübernahme als Rolle verstehen, dann können Mitarbeitende im ganzen Unternehmen diese übernehmen und an der Veränderung mitwirken. HR kommt dann z. B. die Aufgabe zu, solche Rollenübernahmen anzuregen, zu moderieren, zu ermöglichen. Und immer auch den Finger darauf zu legen, wie sich das System als Ganzes entwickeln muss und welche Formen der Zusammenarbeit und der Leadership dies unterstützen.

Welche Bedeutung hat für Sie das HR in einer Organisation insgesamt?

Menschen, die in HR-Funktionen arbeiten, haben das Ohr ganz nah bei den Mitarbeitenden, geniessen deren besonderes Vertrauen, erkennen, was aktuell die wichtigsten Bedürfnisse sind, können diese formulieren und gemeinsam mit anderen Mitarbeitenden Lösungen entwickeln. Ein HR, das der Geschäftsleitung zudem offenes, ehrliches und auch kritisches Feedback gibt, erachte ich als essenziell.

Was nützt die Digitalisierung Ihren Kunden?

Der persönliche Kontakt mit der Ausgleichskasse erfolgt meist nicht in einem besonders anregenden Kontext und er schafft für mich als Kundin auch nicht erheblichen Mehrwert. Wenn ich also auf einer gut funktionierenden digitalen Plattform meine Anliegen via App von zuhause oder unterwegs dann abwickeln kann, wenn ich grad Zeit habe, ist das für mich ein grosser Vorteil. Wenn mir diese Plattform zudem ermöglicht, zu sehen, wo meine Prozesse stehen und alle relevanten Unterlagen an einem Ort zu bündeln, ist das eine enorme Vereinfachung von Vorgängen, die ich als Kundin grundsätzlich kompliziert finde. Nicht umsonst ist die administrative Belastung regelmässig auf den oberen Plätzen des Sorgenbarometers von Arbeitgebenden zu finden.

Wie müssen sich die Ausgleichskassen weiterentwickeln, um die Unternehmen und die Versicherten noch besser zu unterstützen?

Ich würde mir wünschen, dass eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Kundenverständnis erfolgt. Entweder man ist Mitglied oder man ist Kundin oder Kunde. Für mich sind sowohl Arbeitgebende, als auch Selbstständige und Nichterwerbstätige Kunden. Ebenso die Versicherten, denen die Ausgleichskasse Leistungen ausrichtet. In diesem Zusammenhang muss meines Erachtens der Fokus auf digitalisierte End-to-End-Prozesse und einfache Selfservice-Angebote gelegt werden. Aus Sicht der Kundinnen bestehen meist verschiedene Anknüpfungspunkte – neudeutsch Touchpoints – ins Unternehmen hinein. Der Prozess beschränkt sich aus ihrer Sicht nicht auf eine Organisationseinheit in der Ausgleichskasse (oder SVA). Daher sind siloübergreifende Lösungen aus einer Hand nötig.

Wohin führt Sie Ihr weiterer Weg?

Aufgrund der Erfahrungen, die ich in der Transformation der SVA Aargau machen durfte, bin ich heute wohl so gut mit Wissen und Können ausgerüstet, wie nie zuvor in meinem Leben. Das, wovon ich spreche, basiert auf persönlicher Erfahrung und erfolgreicher Umsetzung. Hinzu kommt meine anhaltende Freude an  Veränderungsprozessen. Ich habe das Bedürfnis, dieses Wissen und diese Energie möglichst vielen Unternehmen zur Verfügung zu stellen und mit ihnen an der erfolgreichen (digitalen) Transformation ihrer Unternehmen zu arbeiten. Immerhin hat ein grosser Teil der KMU diese Transformation noch vor sich. Hinzu kommen immer anspruchsvollere Anforderungen aus dem Unternehmensumfeld – z.B. aus dem Bereich der Corporate Social Responsability. Hier sehe ich, dass Themen rund um die digitale Ethik noch nicht genügend angekommen sind und ich aufgrund meines CAS Digital Ethics auch in diesem Bereich Mehrwert stiften kann. 

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