Am 1. Januar 2024 ist es soweit: Die Reform der Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV 21 tritt in Kraft, nachdem sie am 22. September 2022 von der Schweizer Bevölkerung an der Urne angenommen wurde.
Höheres Referenzalter der Frauen
Eine der mit der Reform verbundenen Neuerungen, die aus Sicht des Arbeitsvertragsrechts zu Handlungsbedarf führen können, ist die Erhöhung des ordentlichen Rentenalters der Frauen. Dieses heisst neu Referenzalter. Es wird bei den Frauen von 64 auf 65 Jahre erhöht und so dem Referenzalter der Männer angeglichen. Die Erhöhung wird ab 1. Januar 2025 in vier Schritten umgesetzt, sodass am Ende dieses Prozesses ab 1. Januar 2028 das Referenzalter für alle einheitlich 65 Jahre beträgt (siehe Kasten).
Kein Handlungsbedarf bei unbefristeten Verträgen
Auszugehen ist hier von der Unterscheidung zwischen unbefristeten und befristeten Arbeitsverhältnissen. Ist nichts anderes vereinbart, gilt der Grundsatz, dass ein Arbeitsverhältnis unbefristet ist. Um ein solches Arbeitsverhältnis aufzulösen, muss es von einer der Vertragsparteien gekündigt werden. Daneben gibt es die Möglichkeit einer einvernehmlichen Auflösung durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags zwischen den Parteien.
Demnach ergibt sich bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen aus der Erhöhung des Referenzalters kein Anpassungsbedarf. Soll das Arbeitsverhältnis auf das Erreichen des (neuen) Referenzalters hin aufgelöst werden, muss unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt oder alternativ ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen werden. Der einzige Unterschied ist, dass der Zeitpunkt, zu dem das Referenzalter erreicht wird, bei Frauen ab dem Jahr 2025 später als unter dem bisher geltenden Recht eintreten wird.
Befristet bis zum Rentenalter oder Alter 64?
Bei vielen Arbeitsverträgen ist aber – in irgendeiner Form – vorgesehen, dass das Arbeitsverhältnis bei Erreichen des ordentlichen Rentenalters endet. Entsprechend handelt es sich hier um befristete Arbeitsverhältnisse. Verbreiteter Anwendungsfall ist das sogenannte Arbeitsverhältnis mit Maximalfrist. Dort ist vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis jederzeit mittels ordentlicher Kündigung auflösbar ist, das ungekündigte Arbeitsverhältnis aber spätestens beim Erreichen des ordentlichen Rentenalters endet. Die entsprechenden Formulierungen knüpfen oft abstrakt am Umstand an, dass das ordentliche Rentenalter erreicht wird. Beispiel: «Das ungekündigte Arbeitsverhältnis endet am Ende des Monats, in dem das zu diesem Zeitpunkt gültige ordentliche AHV-Rentenalter erreicht wird.»
Bei solchen Formulierungen dürfte klar sein, dass das dannzumal gültige Referenzalter gemeint ist, das bei den Frauen ab dem Jahr 2025 höher als bisher sein wird. Die Verwendung des Ausdrucks «ordentliches AHV-Rentenalter» statt des neuen Begriffs «Referenzalter» dürfte unschädlich sein.
Es gibt aber auch Formulierungen, bei denen unklar ist, ob dasjenige Referenzalter gemeint ist, das dannzumal gelten wird, oder die gar an einem konkreten Altersjahr anknüpfen, das ab dem Jahr 2024 nicht mehr mit dem erhöhten Referenzalter übereinstimmt. Beispiel: «Das Arbeitsverhältnis endet für Frauen spätestens am Ende des Monats, in dem das 64. Altersjahr vollendet wird.»
Soll hier vermieden werden, dass das Arbeitsverhältnis trotz Erhöhung des Referenzalters schon mit der Vollendung des 64. Altersjahrs endet, bedarf es einer einvernehmlichen Vertragsänderung. Hierfür sollte eine schriftliche Änderungsvereinbarung abgeschlossen und darin festgehalten werden, dass das Arbeitsverhältnis am Ende des Monats endet, in dem das dannzumal geltende AHV-Referenzalter erreicht wird. Eine einvernehmliche Vertragsänderung setzt voraus, dass beide Parteien einverstanden sind. Ist dies nicht der Fall, bleibt es bei der ursprünglich vereinbarten Befristung.
Neuerungen der Reform AHV 21 (Auswahl)
Erhöhung des Referenzalters der Frauen
Die Erhöhung des Referenzalters der Frauen wird in vier Schritten umgesetzt. Als erster Schritt steigt das Referenzalter am 1. Januar 2025 um 3 Monate, womit dieses für die Frauen des Jahrgangs 1961 64 Jahre und 3 Monate beträgt. In den Folgejahren treten jeweils anfangs Jahr analoge Erhöhungsschritte in Kraft: Für den Jahrgang 1962 wird das Referenzalter bei den Frauen 64 Jahre und 6 Monate betragen, für den Jahrgang 1963 64 Jahre und 9 Monate und schliesslich für Jahrgang 1964 sowie die folgenden Jahrgänge 65 Jahre.
Flexibilisierung beim Zeitpunkt des Rentenbezugs
Weiter bringt die Reform mehr Flexibilität, was den Zeitpunkt des Rentenbezugs betrifft. Künftig kann die Rente frühestens ab 63 Jahren und spätestens ab 70 Jahren bezogen werden. Zudem ist ein Rentenbezug in Schritten möglich. So kann das Pensum der Erwerbstätigkeit reduziert und die Rente nur teilweise vorbezogen oder aufgeschoben werden. Dabei sind für den Rentenbezug neu auch Monatsschritte zulässig, statt wie bisher nur Jahresschritte.
Anreize zur Weiterarbeit über das Referenzalter hinaus
Ausserdem sollen die reformierten Bestimmungen Erwerbstätige motivieren, über das Referenzalter hinaus weiterzuarbeiten. Ab 2024 werden neu auch die nach dem Alter 65 bezahlten AHV-Beiträge für die Rentenberechnung berücksichtigt. Eine neue Möglichkeit gibt es zudem hinsichtlich des Freibetrags von 1400 Franken Bruttolohn pro Monat, bis zu dem bei Weiterarbeit über das Referenzalter hinaus keine AHV-Beträge zu entrichten sind. Neu kann freiwillig auf den Freibetrag verzichtet werden, um auf diese Weise die Möglichkeit zu eröffnen, allfällige Beitragslücken zu schliessen und den Betrag der Rente zu erhöhen.
Weitere Informationen zur AHV 21
Weiterarbeit und Flexibilisierung des Rentenbezugs
Weitere Neuerungen der Reform, die aus Sicht des Arbeitsvertragsrechts bedeutsam sein können, sind die Anreize zur Weiterarbeit über das Referenzalter hinaus sowie die Flexibilisierung des Rentenbezugs (siehe Kasten). Eine Weiterarbeit über das Referenzalter hinaus ist ohne Weiteres möglich, wenn beide Parteien einverstanden sind. Ist das Arbeitsverhältnis unbefristet, läuft dieses (wie erwähnt) ohnehin weiter, solange es nicht gekündigt oder einvernehmlich aufgehoben wird. Enthält das Arbeitsverhältnis dagegen eine Befristung auf den Zeitpunkt des Referenzalters (wie das «Arbeitsverhältnis mit Maximalfrist»), bedarf es des Einverständnisses der Parteien bzw. einer entsprechenden einvernehmlichen Vertragsänderung.
Änderung des Arbeitspensums
Mit der Flexibilisierung werden vor allem Änderungen am Arbeitspensum anvisiert. Beispiele: Eine Reduktion des Pensums in den Jahren vor Erreichen des Referenzalters oder ein Weiterarbeiten in einem reduzierten Pensum über das Referenzalter hinaus. Für eine Änderung des Arbeitspensums braucht es das Einverständnis der Parteien respektive eine einvernehmliche Vertragsänderung. Will eine Arbeitgeberin versuchen, die von ihr gewünschte Änderung des Pensums trotz fehlendem Einverständnis des Arbeitnehmers durchzusetzen, muss sie ein Vorgehen mittels Änderungskündigung in Betracht ziehen. Dies birgt die Gefahr, dass der Arbeitnehmer die Änderung weiterhin ablehnt und die Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Zudem besteht je nach Umständen das Risiko, dass die Kündigung missbräuchlich sein und zu einer Strafzahlung zugunsten des Arbeitnehmers führen könnte.
Ergänzend zu betonen ist, dass sowohl bei einer anvisierten Weiterarbeit über das Referenzalter hinaus als auch bei einer beabsichtigten Änderung des Pensums vor oder nach Erreichen des Referenzalters nicht nur das Arbeitsvertragsrecht zu berücksichtigen ist. Vielmehr sind sowohl der Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeberin gut beraten, vorgängig auch die übrigen rechtlichen Aspekte abzuklären, namentlich betreffend 2. Säule, Steuern und Arbeitslosenversicherung.