AHV 21 und Arbeitsvertrag
Die AHV-Reform bringt eine Reihe von Neuerungen, die auch aus arbeitsvertraglicher Sicht zu Handlungsbedarf führen können.
Das Wort Mobbing leitet sich vom englischen Begriff «Mob» ab, was mit «grosse, wütende Menschenmenge, die leicht gewalttätig werden könnte» übersetzt werden kann. Das substantivierte Verb Mobbing existiert in der englischen Sprache indessen nicht, und eine Angelsächsin wird Sie fragend anschauen, wenn Sie von «mobbing in the work place» sprechen. Das Bundesgericht definierte Mobbing als ein «systematisches, feindliches, über einen längeren Zeitraum anhaltendes Verhalten, mit dem eine Person an ihrem Arbeitsplatz isoliert, ausgegrenzt oder gar von ihrem Arbeitsplatz entfernt werden soll» (BGer 8C_446/2010).
Einzelne feindselige Handlungen, gewöhnliche Konflikte am Arbeitsplatz oder ein bloss schlechtes Arbeitsklima reichen somit noch nicht aus, um unter die Definition des Mobbings zu fallen. Ebenso wenig kann die Aufforderung an eine Arbeitnehmerin, ihren Arbeitspflichten nachzukommen, oder das Setzen von zu erreichenden Zielen als Mobbing qualifiziert werden, selbst wenn solche Forderungen seitens Arbeitgeberin auf eindringliche Weise oder sogar zusammen mit der Androhung von Disziplinarmassnahmen oder einer Entlassung ausgesprochen werden. Vielmehr muss eine Gesamtheit von Handlungen oder Verhaltensweisen einer Gruppe (eben eines Mobs) vorliegen, die auf das Ziel gerichtet sind, einen Arbeitnehmer während längerer Zeit auszugrenzen, zu destabilisieren oder von dessen Arbeitsplatz zu entfernen.
Die Urteile des Bundesgerichts können auf der Website bger.ch in der Rubrik «Rechtsprechung» abgerufen werden. Unter «BGE und EGMR-Entscheide» finden sich die Urteile, die in der Amtlichen Sammlung der Bundesgerichtsentscheide (BGE) auch in gedruckter Form erhältlich sind. Beispielsweise handelt es sich bei «BGE 125 III 70» um ein im Jahr 1999 publiziertes Urteil (BGE 1 = 1875), und zwar aus dem 3. Band (Zivilrecht), beginnend auf Seite 70. Die übrigen Entscheide können in der Rubrik «Weitere Urteile ab 2000» anhand der Fallnummer eingesehen werden. In der seit 2007 verwendeten Fallbezeichnung, z. B. «4A_381/2011», verweist «4» auf einen Entscheid der I. zivilrechtlichen Abteilung aufgrund einer Beschwerde in Zivilsachen («A»); es handelt sich um die 381. bei dieser Abteilung im Jahr 2011 eingegangene Beschwerde.
Weil das Gesetz keinen eigenen Mobbing-Tatbestand kennt, kommt es letztlich weniger auf die Definition von Mobbing an als auf die Frage, ob aufgrund der Intensität des verpönten Verhaltens eine ungerechtfertigte Persönlichkeitsverletzung gemäss Art. 328 OR vorliegt.
Welche Pflichten der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit Mobbing zukommen, ergibt sich aus ihrer besonderen Fürsorgepflicht. Gemäss Art. 328 Abs. 1 OR hat die Arbeitgeberin die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen. Des Weiteren ist die Arbeitgeberin verpflichtet, alle erforderlichen und ihr zumutbaren Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden zu treffen (Art. 328 Abs. 2 OR und Art. 6 Abs. 1 ArG). Gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung wird der Schutz eines Arbeitnehmers vor Mobbing von dieser Fürsorgepflicht erfasst, aufgrund deren die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nur aktives Mobbing zu unterlassen, sondern ihn darüber hinaus auch vor persönlichkeitsverletzendem Mobbing von Vorgesetzten (auch Bossing genannt) und Mitarbeitenden zu schützen hat.
Vor diesem Hintergrund trifft die Arbeitgeberin die Pflicht, die Arbeitsstrukturen so zu gestalten, dass sich die Arbeitnehmenden respektiert und wertgeschätzt fühlen und dass bei auftretenden Konflikten oder Mobbing Massnahmen zur Unterstützung der betroffenen Personen umgesetzt werden können. Grundsätzlich bildet ein von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägtes, gutes Arbeitsklima und eine offene Kommunikations- und Konfliktkultur die beste Prävention. Mit ihr soll eine Sensibilisierung der Arbeitnehmenden für die verschiedenen Erscheinungsformen von Persönlichkeitsverletzungen und deren Folgen erreicht werden. Führungskräfte sollten zudem gezielt geschult werden, zumal sie mit ihrem Führungsstil massgeblich das Betriebsklima beeinflussen. Die Vorgesetzten müssen wissen, wie sie Mobbing frühzeitig erkennen können und wie sie vorzugehen haben, wenn Konflikte oder Persönlichkeitsverletzungen auftreten. Den Arbeitgebern ist im Rahmen der Prävention zudem zu empfehlen, z.B. in Form eines spezifischen Reglements, die Belegschaft davon in Kenntnis zu setzen, was unter Mobbing zu verstehen ist, dass man solches Verhalten nicht duldet und welche Unterstützungsangebote im Betrieb bestehen.[1]
Wird Mobbing im Betrieb festgestellt, so hat der Arbeitgeber die Pflicht, aktiv dagegen vorzugehen. Das Bundesgericht und die kantonalen Gerichte haben die Arbeitgeber in ihrer jüngeren Rechtsprechung zu Kündigungen in Konfliktsituationen diesbezüglich vermehrt in die Pflicht genommen. Spätestens seit dem Leitentscheid BGE 125 III 70 kann eine Kündigung missbräuchlich sein, sofern eine Arbeitgeberin sie in einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz ausspricht, ohne zuvor zumutbare Massnahmen zur Entschärfung des Konflikts ergriffen zu haben (siehe z.B. BGE 4A_384/2014 mit einer Zusammenfassung der Rechtsprechung und Behandlung der Art und Weise einer Kündigung sowie die Intensität der geforderten Bemühungen seitens Arbeitgeberin zur Lösung der Auseinandersetzung). Diese Rechtsprechung ist ohne Weiteres auch auf Mobbing-Fälle anwendbar.
Als mögliche Massnahmen kommen in Betracht:
Bezüglich der Frage, welche Massnahmen eine Arbeitgeberin im konkreten Fall zu ergreifen hat, besteht aufgrund nicht einheitlicher Rechtsprechung eine erhebliche und grundsätzlich unerwünschte Rechtsunsicherheit. Klar scheint jedoch, dass die Art der umzusetzenden Massnahme massgeblich von der Intensität des Konflikts abhängt.[2]
Arbeitgeber sind gut beraten, offen zu Tage tretendes oder ihnen begründet zur Kenntnis gebrachtes Mobbing-Verhalten mit der gebotenen Ernsthaftigkeit nachzugehen und die erforderlichen, zumutbaren und dem Einzelfall entsprechenden Massnahmen umzusetzen. Hat die Arbeitgeberin aber alle gebotenen Massnahmen gegen das Mobbing umgesetzt und konnte der Konflikt dennoch nicht beigelegt werden, so dürfte gemäss überwiegender Lehre und Rechtsprechung für die Arbeitgeberin als letztes Mittel selbst die Entlassung des Mobbing-Opfers zulässig sein.[3]
In den meisten Fällen machen Arbeitnehmer Rechtsansprüche im Zusammenhang mit Mobbing erst im Zuge ihrer Entlassung geltend. Dabei wird häufig verkannt, dass Mobbing per se noch nicht die Missbräuchlichkeit der Kündigung zur Folge hat. Eine Kündigung erweist sich erst dann als missbräuchlich, wenn die Arbeitgeberin nichts gegen das Mobbing unternimmt, damit ihre Fürsorgepflicht verletzt und schliesslich z.B. aufgrund einer (auf das Mobbing zurückzuführenden) Leistungseinbusse den betroffenen Arbeitnehmer entlässt (BGer 4A_381/2011).
Eine Fürsorgepflichtverletzung der Arbeitgeberin setzt in erster Linie stets voraus, dass die Arbeitgeberin vom Mobbing-Opfer informiert wird, sofern das verpönte Verhalten nicht offensichtlich ist. Somit nützt es der betroffenen Person wenig, wenn sie im Stillen ein Mobbing-Tagebuch (siehe Kasten «Beweismittel») führt, ohne die Arbeitgeberin über die Vorfälle zu informieren.
Ganz grundsätzlich gilt es in Bezug auf ein Mobbing-Tagebuch, das in einem Prozess ein zentrales Element zur Substantiierung und Beweisführung darstellt, die gemäss Art. 8 ZGB dem Mobbing-Opfer obliegt, ein paar wichtige Punkte zu beachten. Ein rein elektronisch geführtes Tagebuch nützt den betroffenen Personen in der Regel wenig, weil solchen Dokumenten aufgrund der Tatsache, dass sie jederzeit erstellt und abgeändert werden können, nur ein geringer Beweiswert zukommt. Die Gegenpartei könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass dieses Dokument erst im Hinblick auf ein Verfahren erstellt wurde und demzufolge die einzelnen Tagebucheinträge zum Beweis der darin genannten Vorfälle nicht taugen. Vor diesem Hintergrund ist den Mobbing-Opfern dringend zu empfehlen, ein physisches Tagebuch zu führen (z.B. in Form einer Jahresagenda) und dort Tag für Tag die festgestellten Mobbing-Handlungen (zeitnah nach deren Erleben) detailliert handschriftlich aufzuzeichnen und jeweils jeden Eintrag einzeln zu visieren. Kann in einem Prozess ein solches über einen längeren Zeitraum bearbeitetes Tagebuch mit handschriftlichen Aufzeichnungen eingereicht werden, wird man das Gericht viel eher vom eigenen Standpunkt überzeugen können als mit einem elektronischen Dokument.
Ein weiteres geeignetes Beweismittel für Mobbing können selbstverständlich auch ein Arztzeugnis oder gar ein (gerichtliches) Gutachten sein, das dem Arbeitnehmer als direkte Folge von Mobbing eine (psychische) Erkrankung attestiert.
Erwähnenswert ist ferner die bundesgerichtliche Rechtsprechung, dass die Gerichte bei der Beurteilung eines Mobbing-Falls stets auch in Erwägung ziehen müssen, dass sich die betroffene Person das Mobbing nur einbildet oder sich sogar missbräuchlich darauf beruft, um sich so vor an sich gerechtfertigten Weisungen oder Ermahnungen zu schützen (BGer 8C_826/2009).
Ist die Persönlichkeitsverletzung genügend schwer und unternimmt die Arbeitgeberin nichts oder deutlich zu wenig gegen das Mobbing, kann die betroffene Person die Arbeit einstellen, ohne den Lohnanspruch zu verlieren. In schweren Fällen kann sogar eine fristlose Arbeitnehmerkündigung im Sinne von Art. 337 OR gerechtfertigt sein, so namentlich nach einer gravierenden, vom Arbeitgeber geduldeten Persönlichkeitsverletzung, die dem Mobbing-Opfer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
Der betroffene Arbeitnehmer hat gegenüber einer Arbeitgeberin, die selbst mobbt oder die gebotenen Massnahmen gegen Mobbing unterlässt sowie gegenüber dem mobbenden Täter ferner einen (vertraglichen bzw. ausservertraglichen) Schadenersatzanspruch und, in schweren Fällen, sogar einen Anspruch auf Genugtuung zum Ausgleich für erlittene immaterielle Unbill. Wenn ein Vorgesetzter mobbt oder keine geeigneten Massnahmen gegen Mobbing umsetzt, obwohl er davon Kenntnis hat, wäre auch eine Hilfspersonenhaftung der juristischen Person aus Art. 55 OR denkbar.
Der Vollständigkeit halber ist schliesslich noch die den betroffenen Arbeitnehmern zur Verfügung stehende Unterlassungs-, Beseitigungs- und Feststellungsklage nach Art. 28a ZGB zu erwähnen, welcher in der Praxis jedoch praktisch keine Bedeutung zukommt.
[1] Siehe für weiterführende Hinweise und Handlungsanleitungen für Arbeitgeber die Broschüre des Seco «Mobbing und andere Belästigungen – Schutz der persönlichen Integrität am Arbeitsplatz».
[2] Für eine Übersicht der Rechtsprechung siehe Streiff/von Kaenel/Rudolph, Praxiskommentar zum Arbeitsvertrag, Zürich 2012, Art. 336, S. 1000 ff., sowie von Kaenel/Rudolph, elektronischer Update-Service zum Praxiskommentar, Art. 336.
[3] BSK OR I-Portmann/Rudolph, 7. Auflage, Art. 328 N 21 mit weiteren Hinweisen.
Die AHV-Reform bringt eine Reihe von Neuerungen, die auch aus arbeitsvertraglicher Sicht zu Handlungsbedarf führen können.
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