Seit fast zwei Monaten stimmen die rund 6000 Beschäftigten eines Logistiklagers in Bessemer im südöstlichen US-Bundesstaat Alabama über eine Arbeitnehmervertretung ab. Es ist eine historische Wahl, die den Weg für die erste US-Gewerkschaft bei Amazon in der rund 27-jährigen Geschichte des Konzerns ebnen könnte. Kein Wunder, dass das Votum landesweit grosses Interesse auf sich zieht. Beim Wahlkampf erhielt die Gewerkschaft bereits Unterstützung von Spitzenpolitikern bis hin zu Präsident Joe Biden und etlichen anderen Prominenten.
Die Mitarbeiter können nun bis zum Fristende an diesem Montag entscheiden, ob sie für den Anschluss an die US-Handelsgewerkschaft RWDSU sind. Amazon hatte versucht, das Votum zu verzögern, war jedoch mit einem Einspruch bei der Arbeitnehmerschutzbehörde National Labor Relations Board abgeblitzt. Die Initiative der Gewerkschaft will sicherere Arbeitsbedingungen und faire Löhne erstreiten. Amazon ist der Ansicht, seinen Beschäftigten all dies bereits zu bieten.
Der Bezos-Konzern brüstet sich in einer Stellungnahme zum Thema mit einem der im Branchenschnitt höchsten Löhne, umfassenden Nebenleistungen ab dem ersten Tag im Job sowie Karrieremöglichkeiten und einem sicheren und modernen Arbeitsumfeld. Tatsächlich hat Amazon seine Bezahlung in den USA deutlich angehoben, doch gerade in den Logistikzentren klagen Beschäftigte immer wieder über das hohe und strapaziöse Arbeitspensum sowie über angebliche Überwachung.
Einer Analyse der Washingtoner Denkfabrik Brookings nach geht es in Bessemer um viel mehr als Arbeitsbedingungen. Sollten sich die Mitarbeiter der RWDSU anschliessen, wäre dies «einer der grössten Siege der Gewerkschaften im Süden seit Jahrzehnten, der die Arbeiterbewegung wachrütteln und weit über Alabama hinaus inspirieren könnte», heisst es in der Studie. Die Abstimmung drehe sich auch stark um Würde und Gleichberechtigung. Bei Amazon in Bessemer seien geschätzte 85 % der Mitarbeitenden Schwarze, die in den USA ohnehin einen überproportionalen Anteil der «Frontline Worker» ausmachten, die in der Pandemie unsichere, aber gesellschaftlich wichtige Jobs im Niedriglohnsektor ausführten. Während diese Menschen in der Corona-Krise ihre Leben riskierten, habe Amazon seinen Profit 2020 um 84 % und seinen Aktienkurs um 82 % gesteigert, schreiben die Brookings-Forscher. (he/awp sda dpa)