Dossier: Nachhaltigkeit
Das Credo der Nachhaltigkeit ist omnipräsent – doch wie «nachhaltig» agieren eigentlich die Sozialversicherungen?
Pensionskassen wie auch die anderen Sozialwerke von der AHV bis zur Krankenversicherung sollten per Definition nachhaltig sein. Nachhaltig in dem Sinn, dass sie langfristig bestehen, solide finanziert sind und zuverlässig die gesetzlichen oder reglementarischen Leistungen erbringen. Wie nachhaltig die Sozialversicherungen aus volkswirtschaftlicher Sicht sind, beleuchtet Veronika Weisser (Seite 47).
Seit einigen Jahren wird der Begriff «Nachhaltigkeit» immer häufiger im Zusammenhang mit Kapitalanlagen verwendet. Das betrifft zwar auch private Sparer und Kleinanleger, doch einen bedeutenden Einfluss auf die Nachhaltigkeit von börsenkotierten Unternehmen haben in erster Linie institutionelle Anleger wie Vorsorgeeinrichtungen. Daher die Frage: Wie nachhaltig investieren Pensionskassen?
Stellt man die Frage, wie stark die Pensionskassen in Aktien investieren, so hat man schnell eine abgesicherte Durchschnittszahl zur Hand: Der Aktienanteil liegt bei gut 30% des Portfolios, die wesentlichen Erhebungen geben ein klares Bild.
Die Frage, wie viele Pensionskassen nachhaltig investieren, kennt keine klare Antwort. Das Hauptproblem ist dabei, dass es keine verbindliche Definition gibt, was überhaupt nachhaltiges Investieren ist. Entsprechend fällt die Antwort sehr unterschiedlich aus, je nachdem, welchen Massstab man anlegt. Während der Aktienanteil eine harte Zahl ist, basieren die Antworten zum nachhaltigen Investieren auf weichen Faktoren, auf Einschätzungen der Pensionskassen selbst – und werden überdies nicht systematisch und seit langem ausgewertet wie die Anlagestrategie in den oben genannten Erhebungen.
Wer eine Antwort auf die Frage möchte, wo die Vorsorgebranche steht, muss sich auf Spurensuche begeben. Im Folgenden sollen drei aktuelle Erhebungen helfen, ein Bild zusammenzusetzen.
Swiss Sustainable Finance (SSF; bit.ly/4aFf3HY), ein von der Finanzindustrie getragener Verband, erhebt jährlich das Volumen nachhaltiger Anlagen in der Schweiz. In den Jahren 2018 bis 2021 kannte die Zahl nur eine Richtung: nach oben. Im Jahr 2018 wurden 717 Mrd. Franken nachhaltig investiert, 2021 waren es 1983 Mrd. Im Jahr 2022 wurde mit 1610 Mrd. Franken allerdings 19% weniger nachhaltig investiert als im Vorjahr. Hinter diesem Rückgang stehen mehrere Faktoren: die negative Marktperformance im Jahr 2022, enger gefasste Definitionen der Studienteilnehmer und methodische Änderungen. Dabei fand für lediglich 17% der erfassten Vermögen nur ein einzelner Nachhaltigkeitsansatz (wie etwa Engagement) Anwendung, für über 80% der Gelder waren es zwei oder mehr Ansätze. Knapp 1200 Mrd. Franken stammen von institutionellen Investoren, wobei Pensionskassen nicht separat ausgewiesen werden.
Swisscanto erhob für ihre Pensionskassen-Studie 2023 (bit.ly/3TNp006) auch Angaben zu Nachhaltigkeit und Klima. Mehr als ein Drittel der befragten Kassen gab an, ESG-Kriterien in ihrem Anlagereglement eingeführt zu haben, wobei die öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen mittlerweile bereits bei über 72% liegen, deutlich vor den privatrechtlichen mit 32%. Den CO2-Fussabdruck ihres Portfolios messen insgesamt 29% der befragten Vorsorgeeinrichtungen. Ein konkretes Reduktionsziel haben sich 11% gesetzt. Anzufügen ist, dass hier nur die reglementarische Situation erfragt wurde – in der Praxis, dies zeigen etwa Gespräche mit Beratern und Asset Managern, sind ESG-Kriterien bereits bei weit über der Hälfte der Ausschreibungen von Pensionskassen ein wichtiger Punkt.
Schliesslich hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) im Jahr 2022 eine Erhebung hinsichtlich Klimaauswirkungen von Portfolios des Finanzsektors durchgeführt (Pacta; bit.ly/3RxuBVu), an der sich auch 67 Pensionskassen freiwillig beteiligten. Ein ähnlicher Test wurde bereits 2017 und 2020 durchgeführt. Der Test 2020 zeigte, dass die Sensibilisierung für nachhaltige Finanzen allgemein bereits hoch war. Nun sei es an der Zeit, höher zu zielen. Es gebe noch Spielraum, insbesondere bei der Festlegung konkreter kurzfristiger Ziele.
Die Quintessenz der Spurensuche: Immer mehr Pensionskassen geben sich immer mehr Mühe, nachhaltig zu investieren – wie viele es konkret sind, wie substanziell und wie weit fortgeschritten diese Bemühungen sind, lässt sich aber nicht quantifizieren.
Sozialversicherungen verwalten zum Teil beträchtliche Vermögen. Krankenversicherungen halten Reserven, die AHV sollte in ihrem Fonds mindestens den Gegenwert einer Jahresausgabe bereithalten, und Unfallversicherungen müssen Rückstellungen für Rentenzahlungen halten. Das grösste Vermögen verwalten mit rund 1 Bio. Franken die Pensionskassen. Allen gemein ist das Ziel, mit den Kapitalanlagen die Leistungen zuverlässig garantieren zu können. Insbesondere bei den Pensionskassen sind die Kapitalerträge ein wichtiger Bestandteil der Finanzierung – sogenannter dritter Beitragszahler neben den Beiträgen der Arbeitnehmenden und der Arbeitgeber. Doch legen die Versicherungsträger bei ihren Investitionen auch Wert auf Nachhaltigkeit?
Pensionskassen
Nachhaltige Anlagen werden bei Pensionskassen bereits seit einigen Jahren diskutiert und gewinnen immer mehr an Bedeutung. Gewisse Kassen, z. B. die Stiftung Abendrot oder die Nest Sammelstiftung, haben sich seit je der Nachhaltigkeit verschrieben. Doch auch viele andere Kassen berücksichtigen bei ihrer Anlagetätigkeit vermehrt Nachhaltigkeitskriterien und veröffentlichen dazu jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht. Wie nachhaltig Ihre Pensionskasse ist, erfahren Sie im Geschäftsbericht oder anhand von Klima-Ratings der Klima-Allianz oder des WWF.
Compenswiss
Die öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes compenswiss verwaltet die Ausgleichsfonds von AHV, IV und EO; rund 37 Mrd. Franken. Auf der Website compenswiss.ch veröffentlicht die Anstalt unter «ESG-Information» die Grundsätze ihrer nachhaltigen Anlagestrategie sowie Informationen zur Stimmrechtsausübung. Zudem ist compenswiss Gründungsmitglied des Schweizer Vereins für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK – ASIR), dem auch die Suva und einige Pensionskassen wie jene der SBB oder der Post angehören. Neben dem Ausschluss von Anlagen in Nahrungsmitteln oder Unternehmen, die mit Kohle Strom erzeugen, setzt compenswiss in erster Linie auf Aktionärsdialog.
Suva
Der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) ist nachhaltiges Investieren ein Anliegen. Im Jahr 2022 bewirtschaftete sie knapp 56 Mrd. Franken. Neben finanziellen Aspekten berücksichtig sie auch ESG-Kriterien. Die Suva strebt laut eigenen Angaben die Reduktion der Treibhausgasemissionen der Anlagen bis 2050 auf Netto-Null an und verfolgt – wie compenswiss – eine Politik des konstruktiven Engagements mit den Unternehmen und greift nur im Ausnahmefall zum Mittel der Devestition.
Private Unfall- und Krankenversicherer
Viele private Versicherungsgesellschaften schreiben sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen. Auf den Websites der meisten Kranken- und Unfallversicherer lassen sich mit wenigen Klicks (meist im Menü-Punkt «Über uns») Informationen zu Nachhaltigkeitsbemühungen der Gesellschaften finden. Sollte die Versicherung, mit der bereits Verträge bestehen oder die für einen Neuabschluss in der engeren Wahl steht, keine Informationen zur Nachhaltigkeit veröffentlichen, gibt der Versicherungsberater Auskunft. Auch Versicherungsbroker können entsprechende Informationen zur Verfügung stellen. (gg)
Das Stichwort Quantifizieren führt zurück zum einleitend erwähnten Kernproblem nachhaltigen Investierens: den fehlenden Standards. Es gibt keine verbindliche Definition, was nachhaltig hinsichtlich Investitionen heisst, auch der Begriff ESG kann verschieden interpretiert werden. Die entsprechenden Ratings sind auch nur bedingt hilfreich, für das einzelne Unternehmen können sie mitunter diametral unterschiedlich ausfallen, je nach Anbieter und Methodik.
Nicht vergessen werden darf dabei auch, dass ESG mit Umwelt, sozialen Aspekten und Unternehmensführung drei sehr unterschiedliche Komponenten umfasst: Ein Hersteller fossiler Brennstoffe kann vorbildlich mit seinen Mitarbeitenden umgehen und geführt sein, ein Solarpanelhersteller hingegen intransparent aufgestellt und korrupt sein – in einem Mischrating kann eine ähnliche Zahl resultieren.
Trotz allen Unwägbarkeiten: Das Thema nachhaltiges Investieren ist gekommen, um zu bleiben. Die eine gewisse Zeit umstrittene Frage, ob es Teil der treuhänderischen Pflicht von Pensionskassen ist, nachhaltig zu investieren, wird zunehmend obsolet: So wie alle Asset Manager dabei sind, ESG-Kriterien in ihren Investitionsprozess zu integrieren, werden es früher oder später auch alle Investoren sein. Die Frage ist weniger das Ob, sondern das Wie. Was dieses Wie angeht, ist der Fächer enorm weit geöffnet. Angefangen bei den Themen (aktuell dominiert das Klima) über den Ansatz (beispielsweise Engagement oder Ausschluss) bis zu den technischen Umsetzungswegen stellen sich Fragen, die schnell sehr anspruchsvoll werden können. Jeder Investor kann sich unterschiedliche Ziele setzen, die entsprechend andere Ansätze erfordern – was ein einheitliches, standardisiertes Vorgehen verunmöglicht.
Erklärungen der relevantesten Begriffe rund um nachhaltiges Investieren von ESG bis Treuhänderische Pflicht finden Sie auf den folgenden Seiten.
Das Credo der Nachhaltigkeit ist omnipräsent – doch wie «nachhaltig» agieren eigentlich die Sozialversicherungen?
Nachhaltigkeit umfasst drei Perspektiven, die miteinander verbunden werden müssen. Aus ethischer Sicht eine lösbare Aufgabe.
Fairtrade Max Havelaar zeichnet Produkte mit dem bekannten Fairtrade-Label aus. Das Engagement für Nachhaltigkeit hat auch Auswirkungen auf die Stiftung als Arbeitgeberin in der Schweiz. So ist sie bei einer Pensionskasse angeschlossen, die konsequent auf nachhaltige Anlagen setzt.
Der ganze Staat und mit ihm die Sozialversicherungssysteme sind nicht nachhaltig finanziert. Vielmehr geht der heutige Wohlstand zulasten künftiger Generationen. Dies zu ändern, bedürfte eines Verzichts der profitierenden Mehrheit im Rahmen des demokratischen Prozesses.
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