«An ihrer Visibilität müssen die Frauen selbst arbeiten»

Freitag, 04. Juni 2021 - Judith Yenigün
Mónica Lamas hat es geschafft, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Lücken in der 2. Säule füllt sie nun wieder auf. Das System muss besser auf Teilzeit-Erwerbstätige ausgerichtet werden.
Wie sind Sie in die Welt der 2. Säule gekommen?

Durch Zufall und Neugier. Ich war fünfzehn Jahre als Gerichtsschreiberin am Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich tätig. Danach arbeitete ich als spezialisierte Juristin im Sozialversicherungs- und Patientenrecht bei einer Rechtsschutzversicherung. Ich wurde dann von einem Beratungsunternehmen abgeworben; das war sozusagen der Ruf der 2. Säule. Dennoch musste ich mir überlegen, ob ich den Schritt wagen soll. Die 2. Säule war mir zwar nicht fremd, da meine Mandanten daraus Leistungen beanspruchten. Aber es ist etwas anderes, Pensionskassen zu beraten. Die Neugier hat gewonnen. Es hat sich gelohnt, meine Komfortzone zu verlassen. Die berufliche Vorsorge ist ein spannendes Rechtsgebiet.

Braucht es mehr Frauen in der 2. Säule?

Ja, wie in anderen Bereichen auch, damit die Sichtweise und Interessen der Frauen in Reformen und in Gremien wie den Stiftungsrat einfliessen. Ich bin eine grosse Verfechterin von Diversity, nicht nur in Bezug auf das Geschlecht. Erst dann entstehen gute Lösungen. Die berufliche Vorsorge ist ein bisher männerdominiertes Thema. Als Dozentin an der Fachschule für Personalvorsorge sehe ich aber, dass sich immer mehr junge Frauen in diesen Bereich vorwagen. In meinem Studium wurde das Sozialversicherungsrecht nur am Rande erwähnt. Heute werden die Jungen früher dafür sensibilisiert, da die berufliche Vorsorge oft in den Medien thematisiert wird.

Wie erleben Sie Ihren Beruf als Frau?

Als einzige Frau in der Geschäftsleitung erlebe ich keine unterschiedliche Behandlung. In den 90er Jahren war es als junge Mutter schwierig, eine Teilzeitstelle zu finden. Entweder machte man mir klar, dass ich als Mutter besser daheim bleiben sollte, wenn keine finanzielle Notwendigkeit zum Arbeiten besteht, oder es wurden mir Tätigkeiten in Aussicht gestellt, die meiner Ausbildung nicht entsprachen, wie Sekretariatsarbeiten oder Recherchen für einen Rechtsanwalt. Ich musste sagen: Nein, dafür habe ich nicht Zeit und Geld in ein Studium investiert. Es geht niemanden etwas an, warum ich arbeiten will und ob es finanziell notwendig ist. In meinem Umfeld war ich die einzige Mutter, die wieder arbeiten ging. Beim ersten Kind bezog ich acht Monate, beim zweiten Kind ein Jahr Mutterschaftsurlaub.

Zur Person

Mónica Lamas (1965), lic. iur. mit CAS in Haftpflicht- und Versicherungsrecht sowie in der beruflichen Vorsorge, arbeitet in einem 100%-Pensum als Head Legal & Compliance bei der Sammelstiftung Vita. Sie ist zudem Dozentin an der Fachschule für Personalvorsorge AG und engagiert sich als EWMD Forum National Representative. Mónica Lamas hat zwei erwachsene Söhne. Selbstbewusste junge Frauen sind ihre Vorbilder. Die Schweizerin mit spanischen Wurzeln ist neugierig und offen für Neues. Ihren Blick richtet sie stets nach vorn.

Wie vereinbarten Sie Beruf und Familie?

Mein Partner engagierte sich sehr in der eigenen Firma. Ich arbeitete Teilzeit. Es brauchte einiges an Organisation inklusive Notfallplan. Wir waren privilegiert, sodass wir uns eine Tagesmutter und am Schluss eine Haushälterin leisten konnten. Beim Wiedereinstieg wurde ich gefragt, was ich machen würde, wenn ein Kind krank ist. Ich sagte: Ich darf daheim bleiben. Oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Sie anlüge und sage, dass ich krank bin? Er meinte dann: Hauptsache, Sie haben es organisiert. Sie wissen, dass Sie nur zurückkehren können, weil mein Vorgänger das mit Ihnen abgemacht hat. Ich handelte vor dem Mutterschaftsurlaub aus, dass ich mit einem 50-Prozent-Pensum zurückkehren und mein Praktikum beim Bezirksgericht beenden konnte. Finanziell hat sich das Praktikum im Moment nicht gelohnt, aber es war eine Investition in die Zukunft. Man muss immer einen Schritt voraus sein. Man weiss nie, was das Leben bringt. Ich erlebte später eine Scheidung und der Vater meiner Kinder starb. Als Frau muss man sich eine langfristige Betrachtungsweise aneignen. Meine Söhne sind inzwischen erwachsen. Sie studieren, leben aber nicht mehr mit mir zusammen. Mit 50 Jahren wechselte ich zur Sammelstiftung Vita. Ab dann konnte ich Vollgas geben, aus dem Vollen schöpfen und immer noch dazulernen.

Was sind in Ihren Augen Frauenthemen in der beruflichen Vorsorge?

Heute werden diese Themen noch als Frauenthemen bezeichnet, weil tendenziell Frauen Lücken haben, aber es sind allgemeine Themen. Die Arbeitswelt wandelt sich. Es gibt eine breite Streuung an beruflichen Biografien: Pensumsreduktion, multiple Arbeitgeber, Unterbruch, Freelancer, länger arbeiten oder früher in Pension gehen. Das ist die Realität. Das BVG orientiert sich aber noch an einem Mann, der praktisch das ganze Berufsleben beim gleichen Arbeitgeber Vollzeit arbeitet. Es liegt an uns, die berufliche Vorsorge fit zu machen für die neuen Arbeitsmodelle. Der Arbeitgeber, der ganze Teile seiner Wertschöpfungskette auslagert, hat eine gewisse Verpflichtung, Personen, die nicht richtig geschützt sind in der 2. Säule, darauf aufmerksam zu machen. Dies betrifft zum Beispiel mobile Arbeitskräfte mit einem kleinen Pensum und wenig Lohn.

Wie sorgen Sie für Ihre Pensionierung vor?

Ich zahlte schon sehr früh in die 2. Säule ein, weil ich immer arbeitete, auch während des Studiums bis 60 Prozent. Wegen des unbezahlten Urlaubs hatte ich aber Lücken. Ich machte Einkäufe. Nach der Scheidung konnte ich die 2. und 3. Säule weniger gut aufbauen, mein Fokus lag dann mehr auf der Familie als auf der Karriere. Das holte ich später nach und bin immer noch dran.

«Ich bin eine grosse Verfechterin von Diversity, nicht nur in Bezug auf das Geschlecht. Erst dann entstehen gute Lösungen.»
Was halten Sie vom aktuellen Reformvorschlag BVG 21?

Ich unterstütze eher den Vorschlag des ASIP. Ich bin gegen einen allgemeinen Rentenzuschlag. Die Reform müsste einschneidender sein. Ein Umwandlungssatz von 6% ist jetzt schon überholt. Der Koordinationsabzug sollte so gering wie möglich sein, die Umverteilung tragbarer werden. Wir sollten beruhigt in die Zukunft schauen können. Deshalb investiert die Sammelstiftung Vita in bezahlbaren Wohnraum (Wohnen im Alter). Den Arbeitgebern müsste man bewusst machen, dass sie Mitarbeiter an sich binden können, wenn sie eine gute berufliche Vorsorge anbieten. Wenn sich jemand für eine neue Stelle bewirbt, empfehle ich, die Situation der Pensionskasse anzuschauen. Es nützt nichts, wenn man mehr Lohn bekommt, aber dafür die neue Pensionskasse mitsanieren muss. Da das Leben nach der Pensionierung länger dauert, müssen wir auch mehr sparen. Es ist klar, dass sich Personen mit kleinen Einkommen keine 3. Säule leisten können. Man muss auch die AHV richtig auf die Beine stellen. Für Personen in speziellen Situationen wie Eltern, die jahrelang ein behindertes Kind pflegen, könnte eine Art Grundeinkommen in Betracht gezogen werden. Eine Pensumsreduktion oder das Ausscheiden aus der beruflichen Vorsorge sind nicht immer freiwillig.

Sie engagieren sich aktiv in Frauenfragen.

Ja, ich engagiere mich im internationalen Frauennetzwerk EWMD. Zudem bin ich Co-Gründerin und im Vorstand des EWMD-Forum (siehe Kasten). Frauenfragen haben mich immer interessiert, aber ich finde diese Bezeichnung nicht richtig.

EWMD

«EWMD – European Women’s Management Development» ist ein internationales Netzwerk, das 1984 gegründet wurde. Das fast 1000 Mitglieder umfassende Netzwerk vernetzt Fachleute aus allen Bereichen der Wirtschaft, Bildung, Politik und Kultur. Ziel ist unter anderem, Frauen in Führungspositionen sichtbarer zu machen und sie zu ermutigen. Das in der Schweiz gegründete EWMD-Forum fokussiert sich auf länderübergreifende Themen wie interessante Frauenbiografien.

www.ewmd.org/ewmd_forum.php

Wieso nicht?

Die Themen gehen uns alle an. Ich bin fest überzeugt, dass es auch den Einbezug der Männer braucht, um diese Fragen zu lösen, wie etwa die Abwesenheit aufgrund von Familienzuwachs. Es sollte keinen Unterschied mehr machen, ob man eine Frau oder einen Mann anstellt, wenn die Eltern dank Elternzeit gleich lange wegbleiben können, sobald ein Kind da ist. Familien- und Karrierefragen betreffen Väter und Mütter. Wenn Frauen und Männer etwa gleich viel verdienen, spielt es keine Rolle mehr, wer daheim bleibt. Es nimmt zudem Druck weg, indem nicht eine Person allein in die Rolle der «Versorgerin» der Familie gedrängt wird. Auch das Modell des Jobsharing ist interessant. Für meine Söhne ist es selbstverständlich, dass auch die Frauen finanziell ihren Teil beitragen. Das Modell «Die Frau bleibt daheim, der Mann arbeitet» ist für sie inexistent. Für junge Männer ist es nicht mehr erstrebenswert, um jeden Preis in eine Führungsposition zu kommen. Die Lebensqualität und Familienzeit sind ihnen wichtig.

«Familien- und Karrierefragen betreffen Väter und Mütter.»
Was raten Sie jungen Frauen bezüglich Karriere und Altersvorsorge?

An ihrer Visibilität müssen die Frauen selbst arbeiten. Frauen müssen ihre Fähigkeiten selbst an den Mann und die Frau bringen. Sie können nicht darauf hoffen, dass sie im stillen Kämmerlein entdeckt werden. Es ist reines Marketing, wir müssen uns verkaufen. Die jungen Frauen sind generell gut unterwegs. Sie wissen, was sie wollen, und vertreten es selbstbewusst. Dadurch sind sie visibler. Was die Altersvorsorge anbelangt, empfehle ich eine langfristige Betrachtungsweise. So früh wie möglich anfangen zu sparen, sei es in der 2. oder 3. Säule. Zudem sollten sie sich überlegen, wie ihr Lebensplan aussieht und wie sie Lücken vermeiden oder auffüllen können.

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