Seit 2017 steigt die Zahl der Neurenten laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) an. Von 2020 bis 2022 war sie auf hohem Niveau relativ stabil. Seit 2023 hat sie wieder signifikant zugenommen. Gleichzeitig geht der Bund von tieferen Abgangsquoten aus als bisher angenommen. Gestiegen sind unter anderem die Renten von Teilzeitbeschäftigten sowie von Personen mit einer Suchterkrankung oder mit psychischen Erkrankungen, insbesondere bei jungen Menschen. «Aufgrund dieser jüngsten Trends erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer negativen Entwicklung der IV», heisst es in den aktualisierten Finanzperspektiven der Invalidenversicherung (IV), über die der Bundesrat informiert worden ist.
Gerichtsurteile führen zu Änderungen
Die Ursachen für diese Entwicklungen sind teilweise bekannt. Zum einen wurde 2018 aufgrund eines Entscheids des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ein neues Berechnungsmodell für die sogenannte gemischte Methode eingeführt, das Haus- und Familienarbeit besser berücksichtigt. Betroffen sind vor allem Personen, die ihr Erwerbspensum reduzieren, um sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Die Folgen davon machen sich nun wie erwartet in einer verstärkten Zunahme an Neurenten und Revisionen mit Rentenerhöhung bei Teilzeiterwerbstätigen bemerkbar.
Zum anderen haben auch Änderungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu einer Zunahme der Renten geführt. Der Anwendungsbereich des sogenannt strukturierten Beweisverfahren wurde in den vergangenen Jahren von psychosomatischen Leiden auf psychische Erkrankungen und 2019 schliesslich auch auf Suchterkrankungen ausgeweitet.
Seit 2023 haben sich ausserdem die gesamtwirtschaftlichen Aussichten leicht eingetrübt, was zu einem leichten Rückgang der projizierten Einnahmen aus Lohn- und Bundesbeiträgen geführt hat, wie das BSV schreibt.
Grosse Unterschiede je nach Szenario
Für die künftige Entwicklung der IV erstellte das BSV drei Szenarien. Diesen liegen unterschiedliche Annahmen zur künftigen Entwicklung der Zahl der Neurenten zugrunde.
Das mittlere Szenario geht davon aus, dass die Entwicklung der Neurenten dem Durchschnitt der vergangenen 3 Jahre entspricht. In diesem Szenario halten sich die Ausgaben und Einnahmen in den nächsten 10 Jahren etwa die Waage. Bis 2031 ist das Umlageergebnis leicht negativ, danach wieder positiv, im Jahr 2033 dürfte es rund 80 Mio. Franken betragen.
Das schlechte Szenario geht von einem weiterhin hohen Niveau der Neurenten aus. Es weist deutlich negative Umlageergebnisse auf, im Jahr 2033 schätzungsweise 460 Mio. Franken.
Das hohe Szenario dagegen geht davon aus, dass die Zahl der Neurenten tiefer als im Durchschnitt der vergangenen 3 Jahre liegt. Das hohe Szenario weist für das Jahr 2033 ein positives Umlageergebnis von rund 690 Mio. Franken aus.
Grafik: Umlageergebnis der IV nach Szenarien, in Mio. CHF zu Preisen von 2023
Modell extern überprüft
Das BSV publiziert einmal im Jahr aktualisierte Finanzperspektiven der IV. Es integriert dabei die neuesten Informationen und Entwicklungen. Die wesentlichste Änderung betrifft die Methode, mit der ermittelt wird, wie häufig eine IV-Rente vor dem Übertritt ins Rentenalter aufgehoben wird. Die Wahrscheinlichkeit einer Rentenaufhebung wird neu anhand der in den vergangenen 3 Jahren beobachteten Rentenaufhebungen berechnet. Auch die Modellierung der Ausgaben für medizinische Massnahmen wurde der historischen Entwicklung angepasst. Neu berücksichtigt wird zudem der Pauschalabzug bei der Bemessung des Invaliditätsgrads, der auf den 1. Januar 2024 eingeführt wurde. Beides führt zu höheren künftigen Ausgaben.
Das aktualisierte Berechnungsmodell wurde von einem externen Beratungsbüro überprüft und positiv beurteilt, wie es hiess. Die Szenarien werden demnach als sinnvoll erachtet, auch wenn darin nicht alle Unsicherheiten abgebildet sind, wie zum Beispiel die künftige Bevölkerungsentwicklung oder die Lohn- und Preisentwicklung.