Gemäss den Endresultaten aus den Kantonen sagten 1'655'300 Stimmende Nein zur BVG-Reform, 810'800 befürworteten sie. Die Stimmbeteiligung lag bei rund 45 Prozent. Der Blick auf die Abstimmungskarte zeigt eine seltene Eintracht: Alle Kantone lehnten die Vorlage ab. Der Nein-Stimmen-Anteil reicht von 57 Prozent in Zug bis zu 77 Prozent im Jura und in Neuenburg. Nur 26 von 2126 Gemeinden befürworteten die Pensionskassenreform.
Die Vorlage zur Reform der zweiten Säule war im Abstimmungskampf hoch umstritten. Die Befürworter-Seite sprach von einem «guten Kompromiss», die Gegnerinnen und Gegner bezeichneten die Reform als «miserabel und grottenschlecht». Im Fokus stand unter anderem die Komplexität der Vorlage. Auch die vom Bund falsch publizierten Zahlen zur AHV waren offenbar Wasser auf die Mühlen der Gegnerschaft.
Die Verlierer: Bürgerliche, Wirtschafts- und Frauen-Dachverbände
Die Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse und Arbeitgeberverband und Exponentinnen und Exponenten der bürgerlichen Parteien SVP, FDP und Mitte sowie der GLP bezeichneten die BVG-Reform als überfällig und setzten sich für ein Ja ein. Den Fokus legten sie auf die Verbesserungen für Personen mit tiefen Einkommen und Teilzeitbeschäftigten.
Das Parlament habe seine Lehren aus der Vergangenheit gezogen, sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister bei der Lancierung der Ja-Kampagne. Einerseits sei auf eine Vermischung der verschiedenen Säulen der Altersvorsorge verzichtet worden. Andererseits sei die Reform keine reine Sanierungsvorlage.
Von einer verpassten Chance, die Altersvorsorge an die gesellschaftliche Realität anzupassen, schrieb am Sonntag das Ja-Komitee. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) stellte sich umgehend gegen alle Ausbaupläne. Die gewünschte Stabilisierung der zweiten Säule sei einmal mehr verpasst worden.
Heftig fiel die Kritik der FDP aus. Linke und Gewerkschaften hätten mit einer faktenwidrigen Kampagne verhindert, dass rund 359'000 Personen eine höhere Rente aufbauen könnten, kritisierte sie am Sonntag. Weil auch die AHV angeschlagen sei, müsse nun der Grundsatz "Rentensicherheit vor Leistungsausbau" gelten.
Für die SVP bedeutet das Nein zur BVG-Reform, dass die Bevölkerung "keine BVG-Experimente" will. Die Pläne der Linken seien komplett verantwortungslos, schrieb die Partei. Damit würde das bewährte Dreisäulenmodell finanziell an die Wand gefahren.
Die Grünliberalen wollen wie die restlichen bürgerlichen Parteien nicht am Dreisäulensystem rütteln. Vielmehr müsse die Blockadepolitik überwunden werden, forderten sie.
Die Mitte-Partei warf den Gegnerinnen und Gegnern der BVG-Reform ebenfalls vor, mit falschen Zahlen operiert zu haben. Es gelte weiterhin, Lösungen zu finden für Teilzeitarbeitende und Leute mit mehreren Arbeitgebern. Ebenso müssten die Lohnbeiträge für ältere Arbeitnehmende angepasst werden, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.
Auch der Frauendachverband Alliance F bedauerte das Scheitern der Reform. Damit stehe die Schweiz in den Bemühungen, die Altersvorsorge von Frauen zu verbessern, wieder auf Feld eins.
Die Sieger: Linke, Gewerkschaften und abtrünnige Wirtschaftsallianz
Ein Erfolg ist das Nein für die Linke. Erneut hat sie bei einem sozialpolitischen Anliegen die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen können. Die vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) angeführte Kampagne fokussierte auf den Slogan, wonach mehr Menschen unter der Reform gelitten als profitiert hätten. Zudem hätten die Pensionskassen in den vergangenen zehn Jahren hohe Renditen erzielt und würden «in Geld schwimmen», monierten die Gegnerinnen und Gegner.
Eine Mehrheit der Stimmberechtigten sei der klaren Meinung, dass das Rentenniveau in der Schweiz gerade für mittlere Einkommen keine Senkung vertrage. Ins gleiche Horn stiess der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse. Er stellte sich auf den Standpunkt, die Reform hätte das Problem der zu tiefen Frauenrenten nicht gelöst.
Unterstützt wurde die Linke im Abstimmungskampf von der Wirtschaftsallianz "Nein zur BVG-Scheinreform". Dazu gehörten neben dem Gastronomieverband Gastrosuisse auch der Westschweizer Arbeitgeberverband Centre Patronal und mehrere kleinere Branchenverbände.
Unter anderem die der Bäckerinnen und Confiseure, der Coiffeurgeschäfte, der Fitness- und Gesundheitszentren sowie der Fleisch-Fachverband. Die Vorlage führe zu Fehlanreizen beim Sparen und zu mehr Bürokratie und sei deshalb abzulehnen, argumentierte diese Seite.
Die SP begrüsste das Nein zur BVG-Reform als Erfolg für die Kaufkraft der Bevölkerung. Für einen neuen Anlauf zur Pensionskassenreform nannte die Partei drei Eckpunkte. Zum einen will sie weniger Rendite für Banken und Versicherungen.
Zudem brauche es künftig einen Teuerungsausgleich bei bestehenden Renten, um die Kaufkraft zu schützen, sowie bessere Frauenrenten. Erreichen will die Partei dies konkret über die Einführung von Betreuungsgutschriften in der zweiten Säule.
Auch die Grünen schlossen sich am Sonntag dieser Forderung an.
Wie weiter?
Im Mittelpunkt steht nun die Frage, wie eine im Parlament und beim Volk mehrheitsfähige Pensionskassenreform aussehen könnte. Bei der nun gescheiterten Reform standen sich am Anfang des Prozesses die Sozialpartner an einem Tisch gegenüber. Der von ihnen ausgehandelte Kompromiss war im Parlament jedoch chancenlos.
Nach dem deutlichen Nein zur BVG-Reform gehen die Interpretationen des Abstimmungsergebnisses ebenso auseinander wie die Vorstellungen zum weiteren Vorgehen. Die Linke möchte die Renten von Frauen mit Betreuungsgutschriften verbessern. Der Schweizerische Gewerbeverband will sich nach dem Nein zur BVG-Reform für eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters einsetzen. Es brauche eine ehrgeizige AHV-Reform, die den demografischen Wandel berücksichtige. Dies werde auch die zweite Säule stärken.
Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) bedauerte das Volksnein. Die gewünschte Stabilisierung der zweiten Säule sei einmal mehr verpasst worden. «Nun werden jene Kreise, welche aus politischen Gründen die Modernisierung der zweiten Säule bekämpft haben, umso lauter behaupten, stattdessen brauche es umso dringender einen Ausbau der AHV. Diesem Anliegen wollten die Arbeitgeber entgegentreten.»
Der Pensionskassenverband ASIP fordert derweil einen Marschhalt nach dem Volksentscheid. Man nehme das Nein zur Kenntnis, schrieb der Verband. Damit halte allerdings der Reformstau im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsoge weiter an. «Bevor überstürzt erneut Reformen gefordert oder der beruflichen Vorsorge noch engere regulatorische Fesseln angelegt werden, muss das im Abstimmungskampf arg strapazierte Vertrauen in die zweite Säule nachhaltig gestärkt werden», hiess es im Communiqué weiter. Dazu sei eine umfassende Lagebeurteilung unerlässlich. (sda/sb)