National- und Ständerat diskutierten die BVG-Reform in den vergangenen 15 Monaten während Dutzenden Stunden. Nun nahm das Parlament die letzten Änderungen beim Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge an.
Umwandlungssatz sinkt von 6.8 auf 6%
Mit der sogenannten Reform BVG 21 soll die berufliche Vorsorge für die Zukunft fit gemacht werden. Grund dafür ist, dass die Pensionskassen wegen der Überalterung der Gesellschaft zuletzt mehr Geld für die Finanzierung der laufenden Renten aufwenden mussten, als zuvor von Arbeitgebern und Angestellten angespart worden war. Dies führt zu einer Umverteilung von den Erwerbstätigen zur Rentnergeneration. Breiter Konsens im Parlament bestand, dass dies geändert werden muss - etwa durch eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8 auf 6%, was eine Rentenkürzung bedeutet. Wie diese Leistungseinbusse kompensiert werden soll, war und bleibt aber umstritten.
Geld für Hälfte der Übergangsgeneration
Das Parlament einigte sich darauf, dass nach der Senkung des Umwandlungssatzes 15 Jahrgänge lebenslang einen Rentenzuschlag auf der beruflichen Vorsorge erhalten soll. Rund die Hälfte dieser Übergangsgeneration soll davon profitieren. Wer zum Zeitpunkt der Pensionierung über ein Altersguthaben von 215100 Franken oder weniger verfügt, soll Anrecht auf den vollen Zuschlag haben. Für Altersguthaben zwischen 215100 und 430200 Franken soll es einen degressiven Zuschlag geben. Wer mehr Guthaben hat, erhält keine Kompensation.
Koordinationsabzug nicht mehr fix
Geeinigt haben sich die Räte auch in der Frage, auf welchem Teil des Lohns künftig Pensionskassenbeiträge bezahlt werden müssen. Neu soll kein fixer Koordinationsabzug mehr gelten. Stattdessen sollen immer 80% des jeweiligen Lohns versichert sein. Die neue Lösung soll nach Ansicht der Mehrheit die geringer verdienenden Teilzeitarbeitenden - das sind oft Frauen - besserstellen.
Eintrittsschwelle sinkt um knapp 2200 Franken
Erst in der Einigungskonferenz geeinigt hat sich das Parlament auf eine neue Eintrittsschwelle. Diese besagt, für wen überhaupt eine Pensionskasse geführt werden muss. Derzeit liegt sie bei einem Jahreslohn von 22050 Franken. Neu gilt die Schwelle von 19845 Franken. Mit der Senkung sollen Teilzeit- und Mehrfachangestellte bessergestellt werden. Mit der vom Parlament beschlossenen Version werden rund 70000 Arbeitnehmende neu und zusätzlich 30000 Einkommen obligatorisch besser versichert. Das kostet rund 100 Mio. Franken, die Verwaltungskosten belaufen sich dabei auf geschätzt 15 bis 25 Mio. Franken.
Volk wird letztes Wort haben
Diese Vorlage ist in den Augen einer bürgerlichen Mehrheit zielgerichtet und mehrheitsfähig, wie in den vergangenen Wochen verschiedentlich zu hören war. Anders sieht das die Ratslinke: Sie droht seit längerem mit einem Referendum, weil die Reform aus ihrer Sicht eine «Abbauvorlage» ist. Sie wollte zum ursprünglichen Sozialpartnerkompromiss zurückkehren - war damit aber erfolglos. Über die Vorlage wird dereinst das Volk abstimmen. Dass ein Referendum gegen die BVG-Reform zustande kommt, steht ausser Frage.
Gemischte Reaktionen
Travail.Suisse bedauert, dass das Parlament dem Sozialpartnerkompromiss nicht gefolgt ist. Mit der nun verabschiedeten Vorlage müssten die Arbeitnehmenden mehr für ihre Altersvorsorge bezahlen, ohne dass das Rentenniveau insgesamt gehalten werden könne. Travail.Suisse wird seinem Vorstand die Referendumsfrage vorlegen. Der Vorstand des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB) wird sich mit den «Abbaubeschlüssen» auseinandersetzen und über die definitive Lancierung des Referendums beschliessen. Die Reform drohe das angeknackste Vertrauen der versicherten Arbeitnehmenden in die 2. Säule drastisch zu destabilisieren.
Der Vorstand des Schweizerischen Pensionskassenverbands ASIP nimmt die Ergebnisse der Schlussabstimmungen zur Kenntnis. Eine abschliessende Gesamtwürdigung erfolge nach einer Konsultation bei den Mitgliedern. Unter dem Strich habe die beschlossene Fassung aus Sicht des Vorstands jedoch mehr Nach- als Vorteile. Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) ist zuversichtlich, dass sich die Räte auf eine mehrheitsfähige Reform geeinigt haben, die auch in der zu erwartenden Volksabstimmung Bestand haben wird. Das Hauptziel, die Senkung des Umwandlungssatzes auf 6%, sowie die Anpassung der beruflichen Vorsorge an die neue Arbeitswelt wird mit der Reform erreicht, meint inter-pension. Die getroffenen Ausgleichsmassnahmen und die Senkung der Eintrittsschwelle schiessen allerdings über das gesetzte Ziel hinaus, wird kritisiert. Die Schweizerische Kammer der Pensionskassen-Experten (SKPE) bemängelt, das System des Ausgleichs verfehle sein Ziel. Zudem führe es zu zusätzlichem Verwaltungskosten.
Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) ist nicht mit allen Bestimmungen im Detail einverstanden und erwartet deutliche Mehrkosten. Die Zielsetzungen der Reform seien aber allesamt erfüllt. GastroSuisse meint, die beschlossene Reform führe zu massiven Mehrkosten für Arbeitnehmende und Arbeitgebende aus dem Gastgewerbe.
Die SP teilt mit, zusammen mit den Gewerkschaften das Referendum zu ergreifen. Die FDP. Die Liberalen und die SVP bezeichnen die Vorlage als gelungenen Kompromiss. (sda/jy/gg)