Die UBS hat ihre Studie AHV 2023 präsentiert und darin analysiert, ob demografische Veränderungen die AHV stabilisieren könnten. Einleitend hat die UBS-Ökonomin Dr. Veronica Weisser unterstrichen, dass sowohl die Gesellschaft als auch Unternehmen die Bedeutung der Demografie häufig unterschätzen. Als Beispiel nannte sie den US-Amerikanischen Motorradhersteller Harley-Davidson, dessen Geschäft seit den 1980er Jahren bis 2006 florierte. Dann gingen die Verkaufszahlen zurück. Der Grund: Erstmals nahm die Bevölkerungsgruppe der 40- bis 50-jährigen Männer ab. Diese Männer in der «Midlife-Krise» waren die Hauptkundschaft.
AHV stark von Demografie abhängig
Doch von Harley-Davidson zur AHV und der Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz. Die umlagefinanzierte AHV hängt stärker als alle anderen Sozialsysteme von der Demografie ab. Laut Weisser sei in der Studie erstmals der Einfluss der unterschiedlichen Faktoren Geburtenrate, Lebenserwartung und Migration getrennt ausgewiesen worden (siehe Grafik).
Auswirkungen demografischer Veränderungen auf die AHV-Finanzierungslücke - Szenarien basierend auf den Bevölkerungsprognosen des BFS, in Prozent des BIP 2019, Produktivitätswachstum = 1.1%, realer Zinssatz = 2.2%
Karen Rudolph, Ökonomin und Vorsorgeexpertin von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg erläuterte die einzelnen Faktoren der Reihe nach: Die Geburtenrate (oder Fertilität) – ausgewiesen in Kindern pro Frau – lag um 1970 noch bei 2.6 und liegt aktuell bei 1.4. Für die Zukunft stützt sich die Studie auf drei Szenarien. Im Basis-Szenario werde bis ca. 2070 von einem leichten Anstieg auf 1.6 ausgegangen, im Szenario «Hohe Fertilität» von 1.8 und im Szenario «Tiefe Fertilität» von 1.4. Je geringer die Anzahl Kinder sei, desto schneller altere die Bevölkerung und desto negativer seien die Folgen für die umlagefinanzierte AHV. Im Basisszenario hätte die AHV nach Implementierung der Reform AHV 21 eine Finanzierungslücke von 88.2% des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 2019, mit hoher Fertilität fiele die langfristige Finanzierungslücke auf 74.1%, im niedrigen Szenario würde sie auf 98% steigen.
Lebenserwartung hat stärksten Einfluss auf AHV-Finanzierung
In der Schweiz hat sich die Lebenserwartung im Laufe der Zeit stark verändert. Lag sie um 1900 noch bei 45 Jahren, verzeichnet die Schweiz aktuell mit rund 82 Jahren für Männer und rund 86 Jahren für Frauen (Jahr 2021) weltweit eine der höchsten Lebenserwartungen bei Geburt. Im Basisszenario des BFS würde die Lebenserwartung bei Geburt für Schweizer auf 88.7 Jahre im Jahr 2070 ansteigen und für Schweizerinnen auf 91.2 Jahre. Die Langlebigkeit der Bürger ist laut Rudolph entscheidend für die fiskalische Nachhaltigkeit der AHV: Leben die Empfänger länger, bezieht eine grössere Gruppe über einen längeren Zeitraum Renten. In einem optimistischen Szenario stiege die Lebenserwartung auf 90.6 Jahre (Männer) und 92.7 Jahre (Frauen). In einem pessimistischeren Szenario läge die Lebenserwartung bei Geburt bei 86.7 / 89.7 Jahren. Auf die AHV-Finanzierungslücke habe die Mortalität einen starken Effekt: Die Finanzierungslücke würde auf 127.5% des BIP ansteigen, wenn sich die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt nach dem hohen Szenario entwickeln würde. Im Szenario mit einem geringeren Anstieg der Lebenserwartung würde die AHV deutlich entlastet und die Finanzierungslücke auf 49.5% sinken.
Migration hat nur geringen Einfluss
In jedem Szenario ist der Wanderungssaldo, also die Anzahl Einwanderer minus Anzahl Auswanderer, positiv; es ziehen mehr Personen in die Schweiz als Personen sie verlassen, unabhängig der Nationalität. Im Basisszenario verlassen bis 2070 netto rund 5000 Schweizer Staatsbürger pro Jahr ihr Land, während die Anzahl Einwanderer von heute rund 55000 Personen auf 40000 Personen zurückfällt. In einem hohen Szenario liege der Wanderungssaldo bei etwa 50000 Personen und in einem tiefen Szenario wandern netto nur 20000 Personen im Durchschnitt in die Schweiz ein. Die Auswirkungen der Migration auf die AHV-Finanzierungslücke könnten von verschiedenen Faktoren abhängen. Von entscheidender Bedeutung sei die Integration der Migrierenden in den Arbeitsmarkt, ihre Qualifikationen, ihre sozio-ökonomische Struktur, ihr Familienstand, ihr Alter und ihre durchschnittliche Bleibedauer. Ein hoher Wanderungssaldo würde die AHV-Finanzierungslücke von 88.2 auf 81.1% des BIP von 2019 reduzieren. Würde der Wanderungssaldo gegenüber dem Basisszenario sinken, stiege die Finanzierungslücke auf 95.2%.
Demografie rettet AHV nicht
Die Demografieszenarien zeigten, dass Fertilität, Mortalität und Migration die Finanzierung der staatlichen Vorsorge wesentlich beeinflussten. Sie zeigten jedoch auch, dass man sich nicht einseitig auf demografische Veränderungen in der Bevölkerung verlassen oder diese gar ausreichend beeinflussen könne, um die Finanzlage der AHV nachhaltig zu gestalten. Zudem seien eine sehr hohe Migration, sehr hohe Geburtenraten sowie eine deutliche Reduktion der Lebenserwartung weder gesellschaftlich noch politisch erwünscht, da dies weitere Nebeneffekte für die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft hervorriefe und andere Kosten und Herausforderungen mit sich brächte.
Die beste und generationen-gerechteste Massnahme, um die Finanzierung der AHV nachhaltig sicherzustellen, ist in den Augen von Veronica Weisser die Anknüpfung des Referenzalters an die Lebenserwartung.