Entscheidungsbaum: Wie KMU ihre Vorsorgelösung finden

Montag, 27. Juli 2020 - Kaspar Hohler
Die Schweizer Wirtschaft wird von kleineren und mittelgrossen Unternehmen (KMU) dominiert. Diese Unternehmen schliessen sich für ihre Vorsorge in aller Regel einer Sammel- oder Gemeinschaftseinrichtung (SGE) an. Immer mehr KMU bekunden jedoch Mühe, einen Anschluss zu finden – wieso ist dies so? Die Antwort liegt in zwei Begriffen und einem Begriffepaar.

Underwriting

Dies bezeichnet den Prozess, in dem ein Anbieter (in diesem Fall eine SGE oder ein Lebensversicherer) Risiken übernimmt und entsprechende Verträge unterzeichnet. Konkret entscheiden Anbieter, ob sie auf eine Ausschreibung eines Brokers (oder seltener direkt eines KMU) eine Offerte unterbreiten wollen und wenn ja, zu welchen Konditionen. Der Entscheidungsbaum illustriert diesen Prozess beispielhaft und vereinfacht.

Die Kombination eines technisch gesehen zu hohen gesetzlichen Umwandlungssatzes von 6.8 Prozent sowie extrem tiefer Zinsen ist für Vorsorgeeinrichtungen toxisch und schlägt sich in der Underwriting-Politik der Anbieter nieder. Weitere Erklärungen für die Logik des Entscheidungsbaums ergeben sich aus den nächsten beiden Punkten.

Versichertenstruktur

Mit der Versichertenstruktur wird primär die Altersstruktur einer Pensionskasse bezeichnet: Wie viele aktive Versicherte stehen wie vielen Rentnern gegenüber? Entscheidend ist dabei weniger die Anzahl Köpfe als vielmehr die Verteilung des Kapitals: Wie viel Sparkapital der Aktiven steht wie viel Kapital der Rentner gegenüber, aus dem deren Altersleistungen bezahlt werden?

Die Altersstruktur lässt sich weiter differenzieren, indem sowohl die Aktiven wie auch die Rentner in Alterskategorien aufgeteilt werden. Entscheidend ist dabei speziell die Gruppe aktiver Versicherter über 50: Bei ihnen rückt eine Pensionierung in Reichweite. Diese erfolgt heute (gerade bei SGE) meist zu Konditionen, die mit einem Pensionierungsverlust einhergehen: Das vorhandene Alterskapital reicht nicht, um die gewährte Rente abzudecken. Entsprechend muss aus dem Kapital der Pensionskasse, also aus dem Vermögen des Versichertenkollektivs, zusätzlich Geld zugunsten dieses einzelnen Versicherten eingeschossen werden. Daher sind KMU mit vielen Mitarbeitenden über 50 Jahren auf dem Vorsorgemarkt eher unbeliebt. Das Problem kann umso besser abgefedert werden, je mehr überobligatorisches Kapital die Versicherten mitbringen: In einer Mischrechnung kann der Umwandlungssatz deutlich unter 6.8 Prozent gesenkt werden, was die Pensionierungsverluste verkleinert. Auch KMU mit vielen Rentnern können ein Problem haben: SGE sind darauf erpicht, dass möglichst viel Sparkapital der Aktiven möglichst wenig Rentnerkapital gegenübersteht. Da die Renten in ihrer Höhe garantiert sind, gibt nur ein hoher  Anteil aktiver Versicherter der Kasse Risikofähigkeit im Anlagebereich und eine Sanierungsfähigkeit, falls einmal eine Unterdeckung eintreten sollte. Es gibt allerdings keine klare Regelung, ob KMU, die den Anbieter wechseln, ihre Rentner mitnehmen müssen oder beim bisherigen Anbieter belassen können. Entsprechend wird dieser Punkt in der Praxis unterschiedlich gehandhabt.

Verwässerung/Bestandesschutz

Der Neueintritt eines KMU in eine SGE betrifft auch die bestehenden Anschlüsse. Der Begriff der Verwässerung bezieht sich primär auf den Deckungsgrad. Wenn jedes Vorsorgewerk einen eigenen Deckungsgrad hat, kommt der Effekt nicht zum Tragen. Andernfalls tritt ein KMU in der Regel mit einem Deckungsgrad von 100 Prozent in eine SGE ein. Wenn die SGE einen höheren Deckungsgrad hat, so sinkt dieser leicht – was zulasten des bestehenden Versichertenkollektivs geht. Ein Beispiel finden Sie im Kasten.

Beispiel zur Verwässerung

Eine Sammeleinrichtung hat ein Vermögen von 110 Millionen Franken und Verpflichtungen von 100 Millionen (Deckungsgrad 110 Prozent). Nun schliesst sich ein Bestand an mit einem Vermögen von 25 Millionen Franken und Verpflichtungen von 25 Millionen (Deckungsgrad 100 Prozent). Neu hat die Vorsorgeeinrichtung ein Vermögen von 135 Millionen Franken und Verpflichtungen von 125 Millionen, was einem Deckungsgrad von 108 Prozent entspricht. Für die bisherigen Versicherten bedeutet dies eine Verschlechterung der Situation.

Das Beispiel ist illustrativ, so wird in der Praxis kaum eine SGE einen für ihre Verhältnisse so grossen Einzelbestand aufnehmen.

Einen Nebenaspekt der Verwässerung stellen die Kapitalanlagen dar: Neueintritte bringen ihr Vermögen in bar ein. Die SGE muss dieses Bargeld investieren – was im aktuellen Umfeld schwierig ist und die bisherigen Anlagen verwässern kann.

Die Verwässerungsproblematik ist für viele Anbieter ein wichtiger Grund, nicht zu viele Neugeschäfte zu zeichnen. Sie wollen zwar wachsen, aber der Bestandesschutz ist ebenfalls zentral: Den bestehenden Kunden darf quasi nicht zu viel zugemutet werden. Dies umfasst die skizzierte Verwässerungsproblematik, aber auch die unter dem Stichwort Versichertenstruktur dargestellten Themen – so werden etwa Pensionierungsverluste für neu hinzustossende Versicherte vom gesamten Kollektiv getragen.

Entscheidungsbaum Vorsorgelösung für KMU Entscheidungsbaum Vorsorgelösung für KMU

Was nun?

Immer mehr KMU fällt es schwer, auf dem Markt einen Anbieter zu finden für ihre Vorsorgelösung. Für sie bleibt letztlich nur der Gang zur Auffangeinrichtung, die gesetzlich verpflichtet ist, alle KMU zu versichern. Ihre Konditionen sind aber für das KMU und seine Versicherten weniger vorteilhaft als diejenigen der meisten Anbieter. Man könnte auch von einer Marktineffizienz oder gar einem Marktversagen für einen Teil der KMU-Landschaft sprechen.

Dieses Problem ist nicht den Anbietern anzulasten, sondern den gesetzlichen Parametern (Stichwort Umwandlungssatz/ Pensionierungsverluste) und der Zinssituation, die die gesamte 2. Säule zunehmend belastet. Gerade für KMU, die von diesem Marktversagen betroffen sind, ist das Fazit frustrierend: Einfache Lösungen sind keine in Sicht.

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