Erwerbsstatus
Ob angestellt, selbständig oder nicht erwerbstätig: Der Status wirkt sich auf Sozialversicherungsbeiträge sowie -leistungen aus. Nicht immer besteht Einigkeit.
Als ein Auslöser der Einstiegsfrage und der nachfolgenden Verwirrung in der Fachwelt gilt das Urteil 8C_450/2020. Eine versicherte Person stand ihrem Unfallversicherer gegenüber, wobei Rentenleistungen wie auch eine Integritätsentschädigung zur Debatte standen. Das kantonale Gericht als Vorinstanz erwog, dass die beschwerdeführende Partei als einzelzeichnungsberechtigte Gesellschafterin, alleiniges Verwaltungsratsmitglied und einziger Arbeitnehmer der Aktiengesellschaft selbst über das Gesellschaftskapital verfügen und alleine sämtliche Unternehmensentscheide fällen könne. Obwohl formell rechtlich als Arbeitnehmer dieser Aktiengesellschaft geltend, sei die Person sozialversicherungsrechtlich als selbständigerwerbend zu qualifizieren und in der Folge gar nicht obligatorisch nach UVG zu versichern. Ein Urteil, das sozialversicherungsrechtlich einem eher starken Erdbeben gleichkam.
Selbständigerwerbend ist, wer ein Erwerbseinkommen erzielt, das nicht Entgelt für eine als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer geleistete Arbeit darstellt. Mehr besagt Art. 12 Abs. 1 ATSG zum Begriff nicht. Auf der anderen Seite gelten nach Art. 10 ATSG Personen als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in unselbständiger Stellung Arbeit leisten und dafür massgebenden Lohn nach dem jeweiligen Einzelgesetz beziehen.
Die Kasuistik wie auch die Wegleitung über den massgebenden Lohn (WML) liefern eine Unmenge an Beispielen, bei denen es sich genau um diese Begrifflichkeit und die entsprechenden Abgrenzungen handelt. Wer in eigenem Namen und auf eigene Rechnung auftritt, keinen Weisungen unterliegt, das wirtschaftliche Risiko trägt und über massgebende Betriebsmittel verfügt, kann als selbständigerwerbend gelten. Wer jedoch ausschliesslich seine oder ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellt und vom Auftraggeber allenfalls die entsprechenden Arbeitsaufträge zugeteilt oder Arbeitsinstrumente gestellt erhält, wird in der Praxis die Elemente der Selbständigkeit nicht erfüllen (siehe Artikel Dudle-Ammann).
Besonders medienwirksam wurde in der Vergangenheit bezüglich dieser Abgrenzungsfrage das Bundesgerichtsurteil im «Fall Uber» diskutiert, wonach entschieden wurde, dass eben solche Uber-Fahrerinnen und -Fahrer nicht als selbständigerwerbend gelten.
Die Praxis der vergangenen Jahrzehnte qualifiziert mitarbeitende (Allein-)Aktionäre und Gesellschafter durchgehend als Arbeitnehmende mit unselbständigem Erwerbseinkommen. Sowohl die gefestigte Verwaltungs- wie auch die Gerichtspraxis orientieren sich am formell-rechtlichen Arbeitnehmerverhältnis.
Juristische Personen können selbstverständlich Arbeitgeber gemäss Art. 12 Abs. 1 AHVG sein. Dies gilt auch dann, wenn die Person in ihrer Funktion als (Allein-)Aktionär oder Gesellschafter des Unternehmens massgebendes Einkommen bezieht.
Zudem spielen Überlegungen in Bezug auf den umsetzbaren, verwaltungstechnischen Aufwand eine Rolle. Die Beurteilung des Versicherungsstatus ist insbesondere für AHV-Ausgleichskassen nahezu Tagesgeschäft. Daraus folgt, dass auch die Qualifikation des Erwerbseinkommens bei Tausenden Beitragsverfügungen pro Jahr pragmatisch erfolgen muss. Es ist zu bezweifeln, ob die zuständige Ausgleichskasse in der Lage wäre, bei diesen vielen Beschäftigungsverhältnissen mit Firmenbeteiligung die entsprechenden Beteiligungsverhältnisse und die wirtschaftliche Stellung der betroffenen Personen noch individuell abzuklären.
Der Arbeitnehmerbegriff im UVG orientiert sich klar an den Regelungen der AHV. Der Begriff «Arbeitnehmer» wird im Rahmen der Umschreibung von obligatorisch versicherten Personen nach Art. 1a Abs. 1 UVG explizit genannt. Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür, dass die Ausgleichskasse das Einkommen dieser Personen als Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit einstuft, während der Unfallversicherer dies anders bewertet und das Einkommen als Entgelt aus selbständiger Erwerbstätigkeit betrachtet.
Eine Besonderheit indes stellen Personen in sogenannt arbeitgeberähnlicher Stellung im Rahmen der Arbeitslosenversicherung dar.
Hierzu zählen etwa Personen, die beispielsweise in ihrer Eigenschaft mitarbeitender Aktionär der AG oder mitarbeitende Gesellschafterin der GmbH sind. Diese Personen werden nach AHVG in unselbständigem Erwerb einen Lohn erzielen und haben aufgrund ihrer Stellung im Betrieb massgebend Einfluss auf die Entscheidungen innerhalb des Betriebs. Für solche Personen sieht der Gesetzgeber sowohl bei der Kurzarbeitsentschädigung (KAE, Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG) wie auch bei der Schlechtwetter- (SWE, Art. 42 Abs. 3 AVIG mit Verweis auf Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG) und der Insolvenzentschädigung (IE, Art. 51 Abs. 3 AVIG) einen klaren Leistungsausschluss vor.
Im Grundsatzurteil BGE 123 V 234 hat das Bundesgericht im Jahr 1997 diesen Ausschluss sogar auf die Arbeitslosenentschädigung (ALE) ausgeweitet. So bestehen diese Leistungsausschlüsse nicht nur unter dem Aspekt von Missbrauchsverhinderung, zumal diese Personengruppe wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung nehmen kann, ob die entsprechenden Leistungen der Arbeitslosenversicherung beantragt werden oder nicht. Vielmehr soll bereits zum vornherein das potenzielle Risiko eliminiert werden, dass Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung bei schlechtem Geschäftsgang und als finanzielle Überbrückung desselben auf Kosten der Arbeitslosenversicherung dementsprechende Taggeldleistungen erhalten.
Dieses Grundsatzurteil des Bundesgerichts weist zwar darauf hin, dass die Anspruchsvoraussetzungen auf ALE nach Art. 8 ff. AVIG an sich keine Ausschlüsse von Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung vorsehen. Jedoch könnte sich der gekündigte Arbeitnehmer wegen seiner Stellung als Aktionär oder Gesellschafter jederzeit selbst wieder anstellen, was einer Umgehung des Leistungsausschlusses für eben solche Personen in Bezug auf KAE gleichkommen würde. Sinngemäss gilt dieser Leistungsausschluss auch für die Leistungen in Form von ALE.
Im Gegensatz zu den Regelungen bezüglich KAE, SWE und IE gilt dieser Leistungsausschluss bezüglich der ALE nicht absolut. Die Gerichts- und Verwaltungspraxis fordert hingegen, dass die anspruchstellende Person entweder den Betrieb definitiv schliesst oder sämtliche arbeitgeberähnliche Eigenschaften aufgibt, etwa durch Anteilsveräusserung oder Rücktritt aus dem obersten Entscheidungsgremium; eine reine Kündigung des Arbeitsverhältnisses bewirkt nicht automatisch den Verlust dieser arbeitgeberähnlichen Stellung.
Insbesondere im Hinblick auf eine Anspruchsberechtigung gegenüber der Arbeitslosenversicherung zeigt sich ebenfalls die Unterscheidung zwischen selbständigem Erwerb und der Arbeitnehmereigenschaft für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung. Während Selbständigerwerbende keiner Beitragspflicht gegenüber der Arbeitslosenversicherung unterstehen und grundsätzlich auch keine Leistungsansprüche geltend machen können, sind Arbeitnehmende in arbeitgeberähnlicher Stellung, die einen massgebenden Lohn nach AHVG beziehen, obligatorisch unterstellt, demnach auch beitragspflichtig, legen dementsprechende Beitragszeiten zurück und verfügen über einen versicherten Verdienst. Hingegen liegt für diesen Personenkreis die vorhin genannte Einschränkung für den Leistungsbezug vor: Ohne definitive Aufgabe der arbeitgeberähnlichen Stellung entsteht trotz vorangegangener Beitragszahlung und dementsprechenden Beitragszeiten keinerlei Anspruch auf jedwede Leistung der Arbeitslosenversicherung.
Bezüglich des Leistungsbezugs in der Arbeitslosenversicherung ist zurzeit in Bundesbern die parlamentarische Initiative «Unternehmerinnen und Unternehmer, welche Beiträge an die Arbeitslosenversicherung bezahlen, sollen auch gegen Arbeitslosigkeit versichert sein» hängig. So sollen Unternehmerinnen und Unternehmer, die entsprechende Beiträge an die Arbeitslosenversicherung leisten, gemäss der Vorlage neu nach einer Wartezeit von 20 Tagen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erhalten. Dieser Anspruch würde dann entstehen, sofern mindestens zwei Jahre im entsprechenden Betrieb gearbeitet wurde, kein Anstellungsverhältnis mehr besteht und dort keine Funktion als Verwaltungsratsmitglied ausgeübt wird, um einem Missbrauch beim Leistungsbezug vorzubeugen. Gewisse Ausnahmen seien insbesondere für Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen vorzusehen. Stand heute wurde diese parlamentarische Initiative Mitte September 2024 durch den Ständerat an die zuständige Kommission zurückgewiesen.
Personen, die als (Allein-)Aktionäre in der eigenen AG oder als Gesellschafter in der eigenen GmbH beschäftigt sind und dort ein entsprechendes Einkommen erzielen, gelten im sozialversicherungsrechtlichen Kontext als Arbeitnehmende. Dieses erzielte Einkommen ist als massgebender Lohn nach Art. 5 Abs. 1 AHVG zu qualifizieren. Das führt gleichzeitig dazu, dass dieser Lohn auch in der Unfallversicherung obligatorisch zu versichern ist. Es bestehen sachlich keinerlei Gründe, weswegen eine solche Person aufgrund dieser Stellung nicht obligatorisch nach UVG zu versichern wäre.
Im Gegenzug dazu gelten Personen in einer solchen arbeitgeberähnlichen Stellung zwar in der Arbeitslosenversicherung als obligatorisch zu versichernde, unselbständige Erwerbstätige mit einer dementsprechenden Beitragspflicht. Tritt hingegen der Leistungsfall ein, erhalten sie nur sehr beschränkt oder keinesfalls Zugang zu den entsprechenden Leistungen.
Zudem besteht für den hier angesprochenen Personenkreis auch eine grundsätzliche obligatorische BVG-Unterstellung, da Art. 2 BVG in Bezug auf die obligatorisch zu versichernden Personen die Begrifflichkeit «Arbeitnehmer» ebenfalls explizit verwendet.
Ob angestellt, selbständig oder nicht erwerbstätig: Der Status wirkt sich auf Sozialversicherungsbeiträge sowie -leistungen aus. Nicht immer besteht Einigkeit.
Die AHV ist eine obligatorische Volksversicherung. Ausfluss daraus ist der breit gefasste Kreis der Personen, die in der AHV versichert sind und allenfalls Beiträge zahlen. In der AHV spricht man hier vom Status, den eine Person innehat.
Die Einordnung einer Erwerbstätigkeit als selbständig oder unselbständig ist nicht trivial und wird auch durch den gesellschaftlichen Wandel nicht einfacher. Doch auch Vorstösse, die einen weiteren Status fordern, versprechen keine einfache Lösung.
Jürg Grossen forderte 2018 mit einer parlamentarischen Initiative, dass der Parteiwille bezüglich der Klassifizierung als selbständigerwerbend stärker berücksichtigt werden soll. Im Juni 2024 hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) eine entsprechende Vorlage in die Vernehmlassung geschickt. Penso hat beim Initianten nachgefragt.
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