Herausfordernd und spannend: die Aufgaben des Stiftungsrats

Donnerstag, 30. Januar 2025 - Hans-Ulrich Stauffer
«Stiftungsräte haften mit Privatvermögen», «Persönliche Dramen: Ex-Stiftungsräte müssen für Millionenschaden aufkommen». Zwei Schlagzeilen zu einem Bundesgerichtsurteil, in dem die Verantwortung von Stiftungsräten für Vermögensverluste ihrer Pensionskasse bejaht wurde. Ist das Amt des Stiftungsrats somit ein finanzielles Himmelfahrtskommando? Nein, wenn grundlegende ­Regeln beachtet werden.

Das oberste Organ einer Pensionskasse in der Rechtsform einer Stiftung ist der Stiftungsrat. Bei öffentlich-rechtlichen Pensionskassen oder Kassen im Rechtskleid einer Genossenschaft ist es die Verwaltung oder die Verwaltungskommission. Da diese drei Rechtsformen für Pensionskassen offenstehen, spricht das Gesetz in Art. 51a BVG allgemein vom «obersten Organ». Weit gebräuchlicher aufgrund der überwiegenden Zahl der Pensionskassen im Rechtskleid einer Stiftung ist aber die Bezeichnung «Stiftungsrat», auch wenn diese nicht ganz zutreffend ist.

Die Aufgaben des obersten Organs werden im Gesetz einmal knapp, in der Folge aber auch detailliert aufgeführt. Die kurze Version: Das oberste Organ …

  • nimmt die Gesamtleitung der Vorsorgeeinrichtung (VE) wahr,
  • sorgt für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben,
  • bestimmt die strategischen Ziele und Grundsätze der VE sowie die Mittel zu deren Erfüllung,
  • legt die Organisation der VE fest, sorgt für die finanzielle Stabilität der VE und
  • überwacht die Geschäftsführung.

Diese allgemeine Umschreibung wird in Art. 51a Abs. 2 BVG mit 16 verschiedenen Aufgaben und Kompetenzen weiter detailliert umschrieben. Diese Gesetzesbestimmung ist erst seit 2012 in Kraft. Sie enthält an sich keine neuen Aufgaben oder Kompetenzen, vielmehr wurden die verschiedenen in Gesetz und Verordnung verstreuten Aufgaben zusammengefasst.

Ein Teil der Aufgaben umfasst die Organisation der Vorsorgeeinrichtung, die Festlegung des Finanzierungssystems (Beitrags- oder Leistungsprimat), den Erlass von Reglementen, die Benennung des Experten und der Revisionsstelle oder etwa die Schulung der Mitglieder des obersten Organs. Die Aufgaben stellen in aller Regel keine grössere Herausforderung dar und entsprechend klein ist das Risiko, das bei einer Vorsorgeeinrichtung eintreten könnte.

Sorgfalt bei den Anlagen zwingend

Grosse Aufmerksamkeit verlangen jene Aufgaben, in denen es um das Vermögen der Vorsorgeeinrichtung geht, notabene anvertraute Vorsorgegelder der Versicherten. Hier ist es Aufgabe des Stiftungsrats, vor allem einmal ein Rechnungswesen zu implementieren. Damit verbunden ist die Pflicht zum Erstellen und Genehmigen der Jahresrechnung – so weit auch noch keine spezifisch neuen Aufgaben.

Ausdrücklich nennt das Gesetz weiter als Aufgabe des obersten Organs die Festlegung der Ziele und der Grundsätze der Vermögensverwaltung sowie der Durchführung und Überwachung des Anlageprozesses. Darunter ist die Aufgabe zu verstehen, eine Anlagestrategie zu definieren und einen Anlageprozess zu bestimmen. Die Anlagetätigkeit muss zudem überwacht werden. Damit soll sichergestellt werden, dass diese in geordneten Bahnen erfolgt. Wie angelegt wird, ist Gegenstand der vom obersten Organ zu beschliessenden Anlagestrategie. Diese muss sich an der Risikofähigkeit der Vorsorgeeinrichtung orientieren.

Dabei kann es durchaus zu paradoxen Situationen kommen: Eine VE, die einen knapp genügenden Deckungsgrad aufweist oder gar in einer leichten Unterdeckung steckt, müsste zur Erreichung einer höheren Risikofähigkeit in Anlagen investieren, die höhere Erträge abwerfen. Doch solche Anlagen weisen in aller Regel auch ein höheres Ausfallrisiko auf. Eine nicht einfache Herausforderung für das oberste Organ, in einer solchen Situation die richtige Lösung zu finden!

Eine sorgfältige, risikobewusste Anlagetätigkeit ist das eine, das andere ist die Einhaltung des versicherungsmässigen Gleichgewichts. Die Verpflichtungen der Vorsorgeeinrichtung müssen durch die Aktiven gedeckt sein. «Die Vorsorgeeinrichtungen müssen jederzeit Sicherheit dafür bieten, dass sie die übernommenen Verpflichtungen erfüllen können», fordert das Gesetz in Art. 65 Abs. 1 BVG. Ob dieses Gleichgewicht gegeben ist, ergibt sich aus der periodischen Überprüfung der mittel- und langfristigen Übereinstimmung zwischen der Anlage des Vermögens und den Verpflichtungen. Diese Aufgabe obliegt dem obersten Organ. Im Pensionskassenjargon wird diese Überprüfung «Asset and Liability-Studie» genannt.

Haftungsfall ACSMS-Pensionskasse: Zu viel lief schief

Wie konnte es geschehen, dass eine Pensionskasse mehr als die Hälfte ihres Vermögens verliert? Die Aufarbeitung des Schadenfalls zeigt ein erschreckendes Versagen der Mitglieder des Stiftungsrats. Sie beauftragten eine ihnen bekannte Einzelperson resp. die von ihr geleitete Firma mit der Anlage des Pensionskassenvermögens. Eine Anlagestrategie bestand nicht. Die Anlagen gingen in einen auf den britischen Jungferninseln domizilierten Fonds, der vom Vermögensverwalter «betreut» wurde und der keiner Aufsicht unterstand. Und plötzlich zeigte sich, dass rund 70 Millionen Franken auf einen einzigen symbolischen Franken abgeschrieben werden mussten, weil das Geld nicht mehr vorhanden war.

Dies ist einer der krassesten Fälle in der Schweizer Pensionskassengeschichte. Er zeigt mit aller Deutlichkeit, wohin Nachlässigkeit führen kann. Bei einem solchen Verhalten muss die Frage nach der Verantwortung gestellt werden. Die Versicherten kommen nicht zu kurz. Der Sicherheitsfonds sichert die Altersguthaben. Doch die Verantwortlichen, die so krass versagt haben, haften – vorerst einmal für 20 Millionen. Doch der Betrag wird sich erhöhen, sobald die genaue Schadenssumme bekannt ist.

Urteil des Bundesgerichts vom 18. Juni 2024 (Fall 9C_496/2022).

Damit angesprochen ist die Aufgabe des obersten Organs, einen vertretbaren technischen Zinssatz festzulegen. Dieser bestimmt, wie bestehende Rentenverpflichtungen bewertet werden. Beschliesst das oberste Organ einen hohen technischen Zinssatz, sieht zwar die Bilanz besser aus, aber es besteht das Risiko, dass bei einer vorsichtigeren Betrachtungsweise die Vorsorgeeinrichtung in die Verlustzone rutscht. Das oberste Organ tut gut daran, sich durch den Experten begleiten zu lassen und keine nicht nachvollziehbaren Annahmen zu treffen.

Delegation zulässig, Auswahl und Überwachung entscheidend

Nicht alle dieser dem obersten Organ durch den Gesetzgeber übertragenen Aufgaben können oder müssen durch dessen Mitglieder erfüllt werden. Es ist ausdrücklich zulässig, die Vorbereitung und die Ausführung von Beschlüssen oder die Überwachung von Geschäften Ausschüssen oder einzelnen Mitgliedern zuzuweisen. So ist es üblich, dass Vorsorgeeinrichtungen etwa einen Anlageausschuss haben, in dem die Anlagetätigkeit beschlossen wird.

Grundsätzlich ist auch eine Delegation an Dritte zulässig, die nicht Mitglieder des obersten Organs sind. Für jede Delegation gilt jedoch, dass die Verantwortung beim obersten Organ bleibt und nicht delegierbar ist. Werden Dritte zur Erfüllung von Aufgaben der VE beauftragt, so obliegen dem obersten Organ drei Pflichten:

  • die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl,
  • die Pflicht zur Instruktion und
  • die Pflicht zur Überwachung dieser Personen.

Die Einhaltung dieser drei Pflichten entscheidet, ob bei Eintritt eines Verlusts eine Haftung der Mitglieder des obersten Organs entsteht. Die Mitglieder des obersten Organs tun also gut daran, bei der Delegation von Aufgaben eine sorgfältige Auswahl zu treffen, die beauftragte Person eng zu führen und die Tätigkeit kontinuierlich zu überprüfen. Gerade die Obliegenheiten der sorgfältigen Auswahl und der Überprüfung sind in den bekanntgewordenen Schaden­fällen verletzt worden und haben Millionenlöcher zur Folge gehabt (siehe Box). Keine «lange Leine» ist hier also das ­Gebot!

Verantwortung ja – Entschädigung nein?

Die Beanspruchung für die Tätigkeit im obersten Organ fällt erfahrungsgemäss unterschiedlich intensiv aus. Ist eine Vorsorgeeinrichtung seit Jahren gut unterwegs, wird die zeitliche Beanspruchung geringer sein. Anders bei einer Kasse, die turbulente Herausforderungen zu bewältigen hat. Kommt dazu, dass von Mitgliedern des obersten Organs auch ein allgemeines Interesse an Fragen der beruflichen Vorsorge, ja der Altersvorsorge allgemein, vorausgesetzt werden muss und eine permanente Beschäftigung mit diesen Themen erforderlich ist. Das beginnt mit der Lektüre sachbezogener Publikationen und beinhaltet auch den Besuch von Weiterbildungsveranstaltungen – live oder online.

Das alles soll nicht als Hobby geschehen. Ausdrücklich stellt das Gesetz dem obersten Organ die Aufgabe, für seine Mitglieder eine angemessene Entschädigung für die Teilnahme an Sitzungen und Schulungskursen festzulegen. Eine knifflige Aufgabe, denn einerseits soll die nicht gering zu schätzende Verantwortung honoriert werden, andererseits darf keine Selbstbedienungsmentalität Einzug halten.

Die Erfahrung zeigt: Wer mit der erforderlichen Vorsicht das Amt ausübt, hat nichts zu befürchten. Welche Fallstricke es gibt, ist bekannt. Sie zu vermeiden, ist keine beängstigende Herausforderung. Wer aufmerksam und integer arbeitet, hat nichts zu befürchten.

Take Aways

  • Die Aufgaben des obersten Organs (Stiftungsrat) sind im Gesetzt (BVG) aufgeführt und umschrieben.
  • Einige Aufgaben kann der Stiftungsrat an Ausschüsse, einzelne Mitglieder oder Dritte delegieren. Nicht delegiert werden kann die Verantwortung.
  • Wer als Mitglied des obersten Organs einer Vorsorgeeinrichtung umsichtig und sorgfältig agiert, muss kaum für Schäden haften.

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