Inclusion Handicap kritisiert harte Gangart bei IV-Gutachten

Montag, 05. Oktober 2020
Willkürliche IV-Gutachten sind laut Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen, gang und gäbe. In vielen Fällen seien die Abklärungen nicht fair.

Bei der seit Ende Februar 2020 operativen Meldestelle von Inclusion Handicap sind bis Ende September insgesamt rund 300 Meldungen von Versicherten, Rechtsvertretern und Ärzten mit Beanstandungen eingegangen, wie der Dachverband der Behindertenorganisationen mitteilt.

Einige Gutachter würden die Arbeitsfähigkeit systematisch zu hoch einschätzen und dafür von den IV-Stellen immer wieder mit lukrativen Aufträgen belohnt, schreibt Inclusion Handicap in einer Mitteilung. Es seien 53 Meldungen eingegangen, wonach die Gutachter den jeweiligen Versicherten zu 100 Prozent arbeitsfähig einschätzten; die behandelten Ärzte dagegen hätten in jedem dieser Fälle 0 Prozent attestiert. «Diese Fälle zeigen die klare Tendenz der harten Gangart in den Gutachten auf», schreibt Inclusion Handicap. Zuweilen reiche den Gutachtern ein Gespräch von 15 oder 20 Minuten, um über das Anrecht auf eine IV-Rente zu entscheiden, ohne Rücksicht auf die Schlüsse des Arztes.

Schlechtes Klima

20 Mal hätten Ärzte gemeldet, dass die Gutachten nicht dem medizinischen Standard entsprächen. Zudem berichte die überwiegende Mehrheit der Versicherten, dass die Diagnosen nicht oder nur teilweise übereinstimmten. Mehr als die Hälfte der Eingaben thematisiere das schlechte Klima, in dem die Gutachtergespräche stattgefunden hätten. Dabei habe es auch Simulationsvorwürfe gegeben.

Laut Inclusion Handicap hat sich insgesamt der Verdacht erhärtet, «dass einige Gutachter mit lukrativen Aufträgen belohnt werden, wenn sie die Arbeitsunfähigkeit tief einschätzen». Alle Gutachten müssten deshalb nach dem Zufallsprinzip vergeben und fehlbare Gutachter aus dem Verkehr gezogen werden, fordert der Dachverband. Zudem müsse bei einem Gutachtergespräch immer eine Drittperson dabei sein. Und Fälle, bei denen Versicherte aufgrund von nachweislich schlechten Gutachten keine oder zu tiefe Leistungen erhalten haben, müssten neu aufgerollt werden.

Warten auf externe Untersuchung

Erste Verbesserungen erhofft sich der Dachverband von der IV-Revision, die ab 2022 in Kraft treten soll. Diese sieht namentlich vor, dass Gutachtergespräche künftig aufgezeichnet werden müssen. Und Inclusion Handicap wartet gespannt auf die externe Untersuchung, die Gesundheitsminister Alain Berset in Auftrag gegeben hat. Auch dieser will Klarheit über die Praxis bei der Erteilung der IV-Renten. Er hat Ende 2019 eine interne Untersuchung gegen die Aufsichtstätigkeit des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) und eine externe Analyse zur Gutachtertätigkeit der IV-Stellen veranlasst. Diese sollen die Vorwürfe beleuchten, die IV-Stellen würden sich auf teilweise fragwürdige medizinische Gutachten stützen. Die Resultate der externen Evaluation sollen noch im Oktober vorliegen und publiziert werden. (sda/gg)

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