Keine Beletage, aber eine gute Lösung für alle

Dienstag, 11. April 2023 - Claudio Zemp
Statt auf die Politik zu warten, hat der Unternehmer Christoph Jenzer aus Arlesheim kurzerhand die Pensionskasse seiner Angestellten reformiert. Er strich den Koordinationsabzug, was vor allem die Rente von Teilzeitlern verbessert. Für das Familienunternehmen ist dies eine Investition in die Zukunft.
Herr Jenzer, was war Ihre Motivation, die Pensionskasse Ihres Familienbetriebs zu boostern?

Mehrere Personen gaben den Anstoss, dies zu prüfen. Erstens ein IV-Fall im Betrieb, wo wir merkten, was wirklich passiert: Dass jemand nicht nur gesundheitliche Probleme hat, sondern auch finanzielle. Wir mussten merken, dass die Basisvorsorge, die wir hatten, schlicht katastrophal war. Zweitens wiesen Teilzeitmitarbeitende auf das Problem mit dem Koordinationsabzug hin. Drittens gab es Kadermitarbeiter, die nach einer höheren Pensionskasse fragten, weil nach dem Koordinationsabzug nur ein Teil der Lohnsumme versichert war.

Zur Person

Christoph Jenzer führt in vierter Generation das Familienunternehmen «Jenzer Fleisch und Feinkost» im Kanton ­Basel-Land. Zum Betrieb gehört der Gasthof zum Ochsen in Arlesheim, eine Metzgerei mit drei Fachgeschäften in Muttenz, Reinach und Arlesheim. Im Jahr 2023 feiert das Unternehmen mit insgesamt 100 Angestellten das 125-jährige Bestehen (www.goldwurst.ch).

Sie sind bekannt als Unternehmer, der gerne anpackt. Ist die Politik in Sachen BVG so fern von der Realität, dass Sie gehandelt haben?

Nun, das PK-Wesen ist doch einfach viel zu kompliziert! Das Problem ist, dass Führungspersonen sich der Problematik nicht bewusst sind, weil die Zeit fehlt und es komplex ist. Das war bei mir auch der Fall. Zudem: Es gibt bei der Pensionskasse Metzger 13 verschiedene Vorsorgepläne und ich habe keine Chance, die Unterschiede zu verstehen, weil ein einfaches Vergleichsblatt fehlt. Auch für Mitarbeitende ist die Pensionskasse wichtig, aber nicht einfach zu verstehen. Erklären Sie mir einmal, was im Pensionskassenausweis steht! Was ist eigentlich eine Freizügigkeitsleistung? Dabei sollte es doch jeder verstehen, auch jeder Versicherte. Als Unternehmer bin ich verantwortlich und muss dies verstehen – es geht ja um sehr viel Geld!

Gab es intern Widerstände?

Nein, grundsätzlich kam es sehr gut an. Aber wir sind natürlich schon lange ein sehr sozialer Arbeitgeber. Ich habe es einfach durchgezogen, im Sinne unserer Mitarbeitenden. Den zusätzlichen Lohnabzug von 150 Franken haben wir mit einer Lohnerhöhung von 100 Franken abgefedert. Da ich für mehrere Firmen verantwortlich bin, gibt es viele Einzelfälle, die in der 2. Säule durch alle Maschen fallen. Ein Geschäftsführer hat zum Beispiel zwei Pensen à 50% bei zwei Firmen. Da bleibt mit doppeltem Koordinationsabzug nicht mehr viel für die Pensionskasse. Oder selbst die Geschäftsführerin im ­Ochsen, mit branchenüblichem Lohn, hatte vorher keine gute PK, wegen des Koordinationsabzugs und wegen des maximal versicherten Lohns. Nun haben wir keine Beletage, aber doch eine gute Lösung für alle.

Wie glatt ging die Umsetzung Ihrer Reform?

Da gibt es zwei Welten. Für die Leute, die bei Gastro Social versichert sind, war das im Nu erledigt. Das steht alles auf einer A4-Seite. Als ich mit genau dem gleichen Anliegen auf die Pensionskasse Metzger zuging, lautete die Antwort dort zuerst: Das geht nicht. Wir haben das nicht.

Wie bitte?

Unterdessen geht es wahrscheinlich doch, nachdem ich mit dem Chef gesprochen habe. Und dass das Fernsehen prominent berichtete, hat wahrscheinlich auch geholfen. Der Chef der PK rief mich zurück und sagte, es sei möglich mit einer Firmenlösung. Das müsse man aber beantragen, die nächste Sitzung sei im Juni ... Ich ­verstehe einfach nicht, wieso nicht jede Pensionskasse eine einfache Lösung für das Problem Koordina­tionsabzug anbietet.

Sieben Schnitte für eine BVG-Reform im Familienunternehmen

Wie man die 2. Säule boostert: Die Eckpunkte der Selfmade-Pensionskassenreform von ­Jenzer Fleisch und Feinkost.

1. Der Koordinationsabzug für alle Mitarbeitenden wird gestrichen, um die Rente aus der beruflichen Vorsorge für alle zu verbessern.

2. Der Effekt kommt vor allem Teilzeitmitarbeitenden zugute. Die Alters- und Invalidenrente erhöht sich im Schnitt um 50%, bei Teilzeit­mitarbeitenden mit kleinen Pensen ist dieser Effekt bis zu sechs Mal höher.

3. Der Beitrag an die Pensionskasse für Unternehmen und Mitarbeitende erhöht sich um je 150 Franken pro Monat.

4. Hochgerechnet auf 40 Beitragsjahre bringt das eine massive Erhöhung des Alterskapitals von rund 180000 Franken pro Person.

5. Der zusätzliche Arbeitgeberbeitrag in die 2. Säule entspricht einer einmaligen Lohnteuerung von 3%.

6. Den zusätzlichen Lohnabzug für die Mitarbeitenden federt der Arbeitgeber mit einer zusätzlichen Lohnerhöhung von 100 Franken pro Monat für alle ab. Das gibt eine einmalige Lohnteuerung von Total 5%. Dies ist für den Arbeitgeber eine Investition in langjährige Mitarbeitende.

7. Für die 25 Mitarbeitenden, die bei Gastro Social versichert sind, trat die Reform per Anfang 2023 in Kraft. Für die rund 75 Mitarbeitenden, die bei der Pensionskasse Metzger versichert sind, ist die Umsetzung im Frühjahr geplant.

Die Übung ist mit beträchtlichen Kosten verbunden. Wann zahlt sich die BVG-Reform für Ihren Betrieb aus?

Eigentlich müsste ich das ja im Stillen machen, nicht im Lauten – es macht uns als Arbeitgeber viel attraktiver. Aber das ist einfach meine Art: Ich möchte andere Patrons motivieren, sich um die gute Pensionskasse ihrer Mitarbeitenden zu kümmern. Mit dem GAV in der Gastro gab es zuletzt keinen Teuerungsausgleich. Ich verspreche mir vom neuen Mechanismus eine Stärkung der Mitarbeitenden. Wir leben das auch, das Motto: «Döfs es bitzeli meh si?»

Erhoffen Sie sich auch einen nachhaltigen Effekt auf dem Arbeitsmarkt?

Ja. Was zählt, ist das Gesamtpaket. Wir haben zum Beispiel ein Gratifikationssystem. Das Ziel davon ist ein 14. Monatslohn. Vorausgesetzt, dass es dem Unternehmen gut geht, das Budget erreicht wird und die Leistung des Mitarbeitenden stimmt. Allein die Krankheitstage kosten mich pro Jahr eine Viertelmillion! Der Chef ist nicht ein CEO, der nur an den Gewinn für dieses Jahr denkt. Wir sind Patron und denken in Generationen. Ich sage immer: Die Mitarbeitenden sind mein Inventar. Wenn einer nicht mehr so mag oder nicht mehr so schnell läuft, sollte man den Mitarbeiter nicht entlassen, sondern mit ihm besprechen, das Pensum zu reduzieren.

Sie haben das Heft als Unternehmer selbst in die Hand genommen. Trauen Sie der Politik trotzdem noch eine Lösung zu?

Ich hoffe, dass man das verbessert. Aber ich verstehe die Kräfte zu wenig, die da spielen und viel Zeit und Kompromisse brauchen ...

SRF Tagesschau vom 14. Februar 2023

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