Sozialversicherungen 2024: Alle Neuerungen im Überblick

Mittwoch, 22. November 2023 - Gertrud E. Bollier
Auf den 1. Januar 2024 tritt der erste Teil der AHV-Reform (AHV 21) in Kraft, was einige Neuerungen auch für andere Sozialversicherungszweige mit sich bringt. Bemerkenswert sind zudem der pauschale Abzug beim hypothetischen Validen­einkommen in der IV sowie die markant gestiegenen Krankenkassenprämien.

Auf 2023 wurden die AHV/IV-Renten um 2.5% erhöht (maximale Vollrente nun 2450 Franken pro Monat). Die Rentenhöhe bleibt für das Jahr 2024 unverändert. Eine Anpassung einzig an die Preisentwicklung wurde verworfen. Die nächste Rentenerhöhung folgt per 1. Januar 2025. Somit bleiben 2024 auch die Grenzwerte der Sozialversicherungen, die die Höhe der maximalen AHV-Vollrente als Benchmark verwenden, unverändert.

AHV 21 tritt in Kraft

Am 1. Januar 2024 tritt der erste Teil der AHV-­Reform (AHV 21) in Kraft. Das Inkrafttreten der AHV-Reform bringt für sämtliche Sozialversicherungen ein neues Wording, in dem das «ordentliche Renten(eintritts)alter» neu «Referenzalter» genannt wird.

Nebst der neuen Bezeichnung «Referenzalter» bringt AHV 21 folgende Änderungen mit sich:

  • Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um 0.4%
  • Stärkere Flexibilisierung des Referenzalters; neu auch Teilpensionierung möglich
  • Erwerbstätige im Referenzalter können (bis Alter 70) mit den ab dann bezahlten Beiträgen ihre Rente aufbessern
  • Wahl, ob auf Freibetrag verzichtet werden soll
  • Hilflosenentschädigung zur AHV (HILO): Karenzfrist nur noch 6 Monate

Weitere Details zur AHV 21 finden Sie im Fokus «AHV-Reform».

Das Referenzalter für Frauen wird erst ab 2025 angehoben. Für Frauen mit Jahrgang 1960 beträgt das Referenzalter somit noch 64 Jahre. Für Frauen mit Jahrgang 1961 beträgt es 64¼ Jahre, mit Jahrgang 1962 64½ Jahre und mit Jahrgang 1963 64¾ Jahre. Ab Jahrgang 1964, d.h. dem Jahr 2029, gilt für Frauen und Männer das Referenzalter von 65 Jahren.

Stärkere Flexibilisierung des Rentenbezugsbeginns

Der Rentenbezugsbeginn ist nicht starr ans Referenzalter geknüpft. Die Rente kann 1 bis 24 Monate vorbezogen oder der Bezug um 12 bis 60 Monate aufgeschoben werden. Das betrifft nicht zwingend die ganze Rente. Auch ein Teilvorbezug oder -aufschub (20 bis 80%) ist möglich. Nach wie vor muss der Rentenaufschub spätestens innerhalb von 12 Monaten nach Erreichen des Referenzalters mittels AHV-Rentenanmeldung an die AHV-Ausgleichskasse, wo die letzten Beiträge entrichtet worden sind, eingereicht werden.

Wer die AHV-Rente vorbezieht, erhält nun keine Vollrente (Skala 44) mehr, weil bis zum Erreichen des Referenzalters Beitragszeiten fehlen. Das bedeutet, dass die AHV-Rente zunächst niedriger ist und der Kürzungssatz weniger ins Gewicht fällt. Mit Erreichen des Referenzalters wird die Rente neu ­berechnet, mit vollständiger Beitragszeit gibt es nun eine Rente Skala 44. Diese wird höher ausfallen und derselbe prozentuale Kürzungssatz stärker ins Gewicht fallen.
Auf 2027 werden die Vorbezugskürzungssätze und Aufschubzuschläge der Lebenserwartung angepasst (3. Teil der AHV-Reform).

Weiterarbeiten nach Erreichen des Referenzalters

Wer im Referenzalter weiterarbeitet, hat (wie gehabt) einen Freibetrag von 1400 Franken pro Monat je Arbeitsverhältnis. Vom übersteigenden Erwerbseinkommen sind AHV/IV/EO-Beiträge zu entrichten, nicht aber solche in die ALV. Erwerbstätige im Rentenalter sind in der ALV nicht mehr versichert und auch nicht beitragspflichtig.

Neu kann auf den Abzug des Freibetrags verzichtet werden. Die Meldung an den Arbeitgeber (bzw. für Selbständigerwerbende an ihre Ausgleichskasse) hat vor Erreichen des Referenzalters zu erfolgen, sonst auf Anfang des Kalenderjahrs. Die Freibetragsstreichung kann später auf Wunsch auch aufgehoben werden.

Grundsätzlich sind nach Erreichen des Referenzalters entrichtete Beiträge nicht mehr rentenbildend. Neu kann einmal bis fünf Jahre nach Erreichen des Referenzalters eine Neuberechnung des Rentenanspruchs unter Miteinbezug des Erwerbseinkommens (ohne Aufwertungsfaktor und ohne Erziehungs-/Betreuungsgutschriften) im Rentenalter verlangt werden. Die neu berechnete Rente darf allerdings nicht höher sein als die Maximalrente der entsprechenden Skala.

Damit Erwerbseinkommen ab Erreichen des Referenzalters angerechnet werden kann, muss es im fraglichen Jahr nach dem Referenzalter mindestens 40% des durchschnittlichen Erwerbseinkommens vor dem Referenzalter entsprechen. Selbstredend muss zudem der Mindestbeitrag von zurzeit 514 Franken pro Jahr erreicht sein. Vereinfacht ausgedrückt werden die auf dem IK-Auszug aufgeführten Erwerbseinkommen vom 21. Altersjahr bis Ende des Jahrs vor Erreichen des Referenzalters zusammengezählt und durch die Summe der effektiven Beitragsjahre geteilt.

Neue Berechnung des Invaliditätsgrads in der IV

Für die Bestimmung des Invaliditätsgrads nach dem Einkommensvergleich muss für Versicherte ohne Erwerbseinkommen ein solches angenommen werden (Einkommen, das diese Person in ihrer Situation gemäss BFS-Erhebung erzielen könnte). Wo dieses hypothetische Valideneinkommen zu hoch angenommen wird, resultiert ein tieferer Invaliditätsgrad und folglich eine tiefere oder gar keine Rente.

Mit der seit 2022 geltenden IV-Reform wurde dieses Problem bereits teilweise behoben. Um der schwereren Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen, werden die hypothetischen Einkommen gemäss Lohnerhebungsdaten des BFS ab dem 1. Januar 2024 mit einer pauschalen Reduktion von 10% berücksichtigt. Entsprechende bereits laufende Renten müssen die IV-Stellen innerhalb von drei Jahren revidieren.

Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV/IV

Für die Festsetzung des EL-Anspruchs gelten seit 1. Januar 2021 «neue» Vorschriften. Für damals bereits laufende Fälle gilt für die Überführung ins neue Recht eine dreijährige Übergangsfrist. Diese läuft Ende 2023 aus. Ab 2024 gilt für alle Fälle ausnahmslos «neues Recht». Dadurch werden einige bisherige Bezügerinnen den EL-Anspruch verlieren und andere wegen der geänderten Anrechnungsbestimmungen der Krankenkassenprämien weniger EL erhalten.

Berufliche Vorsorge

Grundsätzlich ist das Referenzalter in der 1. und der 2. Säule identisch. Das Reglement der Vorsorgeeinrichtung darf aber ein tieferes (nicht unter 58 Jahre) oder höheres (nicht über 70 Jahre) Referenzalter vorsehen.

Die Reform AHV 21 bringt per 1. Januar 2024 für die berufliche Vorsorge Neuerungen hinsichtlich des schrittweisen Altersrücktritts. Dabei wird unter anderem der Begriff des Schritts klar definiert (Zeit, nicht Geld). Die versicherte Person kann die Altersleistung als Rente abgestuft in bis zu drei Schritten beziehen, wobei die Vorsorgeeinrichtung mehr als drei Schritte zulassen kann. Dabei darf der Anteil der vor dem reglementarischen Referenzalter bezogenen Altersleistung den Anteil der Lohnreduktion nicht übersteigen. Wird die Altersleistung als Kapital bezogen, ist der Teilbezug in höchstens drei Schritten zulässig, dies auch dann, wenn mehrere Vorsorgeeinrichtungen betroffen sind. Ein Schritt umfasst sämtliche Bezüge innerhalb eines Kalenderjahrs.

Freizügigkeitsleistungen unter Einfluss der AHV-Reform

Die Altersleistungen von Freizügigkeitskonten und -policen werden neu, ab 1. Januar 2024, mit Erreichen des Referenzalters fällig! Nur wenn die versicherte Person nachweist, dass sie weiterhin erwerbstätig ist, kann der Leistungsbezug aufgeschoben werden, dies maximal für 5 Jahre nach Erreichen des Referenzalters.

Allerdings gibt es eine Übergangsbestimmung: Personen, die nicht mehr erwerbstätig sind und ihre Altersleistungen in den Jahren 2024–2029 beziehen müssten, weil sie das Referenzalter erreichen oder bereits überschritten haben, können die Auszahlung dieser Freizügigkeitsleistung bis zum 31. Dezember 2029 (maximal 5 Jahre nach Erreichen des Referenzalters) aufschieben. Nach wie vor ist der Bezug frühestens 5 Jahre vor Erreichen des Referenzalters möglich.

Teuerungsanpassung von Invaliden- und Hinterlassenen-Renten aus BVG

Erstmals der Teuerung anzupassen sind Invaliden- und Hinterlassenen-Renten aus obligatorischer beruflicher Vorsorge (Normversicherung), die im Jahr 2020 erstmals ausgerichtet wurden. Sie werden um 6% erhöht. Renten aus umhüllender Vorsorge sind entsprechend den finanziellen Möglichkeiten der Vorsorgeeinrichtung anzupassen. Die schon länger laufenden Invaliden- und Hinterlassenen-Renten aus der BVG-Normversicherung werden gleichzeitig wie die AHV/IV-Renten der Teuerung angepasst. Das ist auf 1. Januar 2025 vorgesehen.

Mindestzins und technischer Zins

Die Altersgutschriften der aktiven Versicherten wurden zwischen 2017 und 2023 immer zu 1% verzinst (Mindestzins, die Vorsorgeeinrichtung kann eine höhere Verzinsung gewähren). Im Jahr 2024 beträgt der Mindestzins 1.25%.

Für die Verzinsung der Altersguthaben der Rentenbezüger gilt der technische Zins. Die Obergrenze steht auf einem Höchstwert, der seit der Einführung im April 2019 gemäss der Fachrichtlinie (FRP) 4 der Schweizerischen Kammer der Pensionskassen-Experten (SKPE) ermittelt wird: Für Vorsorgeeinrichtungen, die noch mit Periodentafeln rechnen, beträgt er ab dem 1. Oktober 2023 3.33% (zuvor: 2.68%), für jene mit Generationentafeln 3.63% (2.98%).

Unfallversicherung, maximal versicherter Verdienst unverändert

Art. 15 Abs. 3 UVG bestimmt, dass der Bundesrat den Höchstbetrag des versicherten Verdienstes so festsetzt, dass in der Regel mindestens 92%, aber nicht mehr als 96% der versicherten Arbeitnehmenden zum vollen Verdienst versichert sind. Die letzte Anpassung erfolgte auf den 1. Januar 2016. Erstaunlicherweise scheint sich das Lohnniveau seither nicht erheblich erhöht zu haben. Auf jeden Fall wird auf ein Anheben des maximal versicherten Jahresverdienstes von zurzeit 148200 Franken auf Januar 2024 verzichtet.

Krankenversicherung

Die Krankenkassenprämien werden per 2024 um durchschnittlich 9.7% erhöht. Der Bundesrat hat entschieden, Massnahmen aus dem 1. Kostendämpfungspaket auf den 1. Januar 2024 in Kraft zu setzen. Mit der Einführung eines Kostenmonitorings in den Tarifverträgen werden Leistungserbringer und Versicherer verpflichtet, Massnahmen zur Steuerung der Kosten vorzusehen, falls die Kosten übermässig steigen. Zudem wird das Recht der Apotheker, preisgünstige Arzneimittel abzugeben, präzisiert. Ebenfalls wird ein Beschwerderecht für Versichererverbände in der kantonalen Spitalplanung eingeführt.

Erwerbsersatz (EO, MSE/VSE)

Das Parlament hat eine Regelung verabschiedet, die einen Anspruch auf Mutterschafts- respektive Vaterschaftsentschädigung vorsieht, wenn ein Elternteil kurz nach der Geburt stirbt. Der Bundesrat hat aber über das Inkraftsetzungsdatum noch nichts verlauten lassen (vermutlich 1. Januar 2024). Wenn die Mutter innerhalb von 6 Monaten nach der Geburt des Kinds verstirbt, erhöht sich die Bezugsdauer der Vaterschaftsentschädigung (VSE) um 14 auf 16 Wochen. Im umgekehrten Fall (der Vater verstirbt innerhalb von 6 Monaten nach der Geburt des Kinds) erhöht sich die Bezugsdauer der Mutterschaftsentschädigung (MSE) um 2 auf 16 Wochen.

Der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung (MSE) beträgt grundsätzlich 98 Tage ab Geburt. Wenn die Mutter die Erwerbstätigkeit vorher ganz oder teilweise wiederaufnimmt, ­endet der Entschädigungsanspruch vorher. Für Parlamentarierinnen ist ab 2024 eine Sonderregelung angedacht, aber im Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht definitiv beschlossen.

Gleiche Tagesansätze für Dienstleistende und MSE/VSE

Noch im Parlament fertig zu beraten ist Folgendes (Einführung grundsätzlich schon auf 2024 denkbar): Selbständigerwerbende Dienstleistende erhalten zur EO eine Betriebsentschädigung, nicht aber Selbständigerwerbende während des Mutterschaftsurlaubs (MSE). In verschiedenen Motionen wird gefordert, dass für Militärdienst und Mutterschaft die gleichen Tagesansätze gelten sollen.

Familienzulagen FamZ

In einigen Kantonen gibt es auf 2024 eine kleine ­Erhöhung der Kinder- und Ausbildungszulagen. Auch in der Finanzierung kann es zu Anpassungen kommen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) wird Ende Jahr die ab 1. Januar 2024 gültigen «Arten und Ansätze der Familienzulagen» aufschalten.

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