Wie ordnen Sie in diesem Zusammenhang den Trend zur Teilzeiterwerbstätigkeit ein?
Teilzeitjobs erleichtern den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Das begünstigt die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen. Da die Teilzeiterwerbstätigkeit auch bei den Männern zunimmt, steigt der Teilzeitanteil insgesamt, und das Arbeitsvolumen sinkt. Teilzeit hat aber auch Nachteile für die Erwerbstätigen. So kommt man in der Karriere mit reduziertem Pensum weniger schnell voran, oder – und das betrifft aktuell vorwiegend die Frauen – die Vorsorge kommt zu kurz. Dazu kommen noch Teilzeit-Optimierer. Das sind Paare, die ausrechnen, wie sie ihr gemeinsames Einkommen mit Teilzeit dahingehend optimieren können, um möglichst wenig Steuern zu bezahlen. Doch auch sie denken zu kurzfristig und vergessen
die Vorsorge. Letztlich ist Teilzeit ein Wohlstandsphänomen. In Ländern mit tieferem Lohnniveau wie beispielsweise Spanien lässt sich der Teilzeittrend viel weniger beobachten als in der Schweiz.
Die Zahl der Erwerbstätigen wie auch deren Arbeitsvolumen nimmt ab. Müssen wir mit dem Arbeitskräftemangel leben?
Wir müssen Wege finden, diese Lücke zu kompensieren. Wie? Mit Automatisierung und Digitalisierung – damit sind wir beim zweiten Trend angelangt, den ich eingangs genannt habe. Japan, Taiwan und Südkorea haben es vorgemacht. Sie sind uns in der demografischen Entwicklung einige Jahre voraus und haben sehr früh viel in die Automatisierung investiert und so die Produktivität gesteigert und den Rückgang des Arbeitsvolumens kompensiert. Wir haben dank der Zuwanderung bisher weniger stark in die Automatisierung investiert. Das muss aber der Weg in die Zukunft sein.
Wäre es nicht sinnvoll, länger zu arbeiten, um länger zum wirtschaftlichen Erfolg beizutragen und in die Altersvorsorge einzuzahlen?
Ja, wir kommen nicht darum herum, länger zu arbeiten, um unseren wirtschaftlichen Erfolg zu sichern und die Altersvorsorge stabil zu halten. Eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters ist dabei dringend notwendig. Ein denkbarer Ansatz wäre die Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung, um eine gerechtere Verteilung der Arbeits- und Ruhestandsjahre zu ermöglichen.
Könnten auch Bogenkarrieren in diesem Zusammenhang ein Lösungsweg sein?
Bogenkarrieren, also der sanfte Übergang zwischen Vollzeitarbeit, Teilzeit und schrittweisem Rückzug aus dem Arbeitsmarkt, werden seit über 20 Jahren diskutiert. Viele Arbeitnehmende wären dafür offen und sehen darin eine Chance, ihre Erfahrung und ihr Wissen weiterhin produktiv einzubringen, auch über das Pensionierungsalter hinaus. Allerdings sehe ich noch zu wenig Bewegung auf der Seite der Arbeitgeber. Die Bereitschaft, flexible Arbeitsmodelle für ältere Mitarbeitende anzubieten und diese auch aktiv zu fördern, fehlt oft. Das Potenzial dieser Generation wird noch immer unterschätzt – hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Sie glauben also, dass wir dem Arbeitskräftemangel mit Technologie begegnen müssen. Ist die Angst unbegründet, dass uns z.B. Künstliche Intelligenz (KI) die Arbeitsplätze streitig macht?
Wir haben das bereits in der Industrialisierung gesehen. Maschinen haben die Arbeit verändert, die Zahl der Arbeitsplätze hat dadurch aber nicht abgenommen. Auch die Digitalisierung und KI werden viel verändern, aber die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Die Frage ist vielmehr: Haben die Menschen die richtigen Skills, die nachgefragt werden? Unter dem Strich könnte jede und jeder einen Job haben. Aber passen sie dazu? Da ist Weiterbildung und Training wichtig. Dabei sind der Staat, die Unternehmen und jeder Einzelne gefragt. Wer nicht bereit ist, den Umgang mit KI zu lernen und KI einzusetzen, wird es schwer haben.
Ein weiterer Trend, der durch die Digitalisierung erst möglich und durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurde, ist Homeoffice. Sie haben 2016 in der Studie «Der Arbeitsplatz der Zukunft»[2] bereits dessen Vormarsch prognostiziert. Wie geht diese Entwicklung weiter?
Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben, auch wenn es einzelne Firmen – vor allem in den USA – gibt, bei denen alle wieder ins Büro kommen müssen, z.B. Tesla. Elon Musk sagte, dass es schwierig zu rechtfertigen sei, dass die Arbeiter in der Fabrik zu 100% vor Ort sein müssten und die anderen, die in den Büros arbeiteten, nicht. Wir, die wir selbst in Wissensjobs im Büro arbeiten, dürfen nicht vergessen, dass jeder zweite Job nicht von zu Hause aus möglich ist. Das betrifft vor allem die systemrelevanten Jobs vom Gesundheitswesen über die Produktion bis zum Supermarkt oder zum öffentlichen Verkehr. Aus Bürotätigkeiten ist Homeoffice aber nicht mehr wegzudenken. Zwar waren viele zunächst skeptisch, doch nun hat man sich an die Arbeit zu Hause und die damit verbundenen Vorteile gewöhnt.
Welche Vorteile sind das?
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Flexibilität sicher entscheidend. Sie erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und verbessert die Work-Life-Balance. Stellensuchende – vor allem, aber nicht nur die Jungen – erwarten heute die Möglichkeit, im Homeoffice arbeiten zu können. Sie wollen nicht mehr fünf Tage die Woche ins Büro kommen. Beim Recruiting ist Homeoffice zum Kriterium geworden. Diese Anspruchshaltung kann sich durchsetzen, weil wir aktuell einen Arbeitnehmermarkt haben. Die Arbeitssuchenden haben die besseren Karten. Das wird so bleiben, ganz einfach wegen der Demografie. Viele Unternehmen hätten die Leute sicher lieber häufiger im Büro, aber das geht nicht mehr.
Welche Vorteile hat Homeoffice für die Arbeitgebenden?
Wer eine gute Homeoffice-Regelung hat und die Präsenz im Büro gut organisiert, also dafür sorgt, dass an keinem Tag alle Angestellten gleichzeitig vor Ort sind, braucht weniger Bürofläche. Das spart Geld. Und wie bereits angetönt, ein gutes Homeoffice-Angebot ist auch Teil des Employer Branding. Es darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass Remote-Führung anders funktioniert, als wenn man seine Mitarbeitenden Tag für Tag direkt vor sich hat. Je nach Funktion ist mehr Präsenz gefragt. Und im anderen Extrem: Homeoffice darf keine Pflicht sein. Denn nicht alle Mitarbeitenden haben zu Hause ein optimales Setting, das konzentriertes Arbeiten ermöglicht. Auch das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und direktem Austausch ist unterschiedlich ausgeprägt.
Welche Rolle spielt das mobile Arbeiten bis hin zur Workation?
Remote-Arbeit war während der Corona-Pandemie ein bisschen ein Chaos, weil man noch nicht wusste, wie es funktioniert, gerade im Ausland. Manche Firmen erlaubten zwei, drei oder vier Wochen Arbeit im Ausland. Da muss man aber gut schauen, wie das mit Steuern und Sozialversicherungen aussieht. Viele Unternehmen haben Arbeit im Ausland nun limitiert und auch Länder-Ausschlusslisten erstellt. Damit nichts schiefgeht, braucht es klare Regelungen und Genehmigungen. Aber auch Workation ist ein Faktor beim Recruiting. Gerade bei jungen Singles. Lange Homeoffice-Phasen und Workation bergen für die Mitarbeitenden auch Risiken. Da kann sich der Arbeitgeber schon mal fragen, ob jemand in Polen dieselbe Arbeit machen könnte wie der Mitarbeiter, der die ganze Zeit im Ferienhaus im Bündnerland sitzt.
Sie haben auch eine zunehmende Selbständigkeit der Arbeitskräfte vorhergesagt. Bleiben Sie dabei?
Ich sehe das Zeitalter der Selbständigkeit kommen. Die klassische Karriere – von der Berufslehre bis zur Pensionierung im selben Unternehmen – gibt es kaum mehr. Wir haben häufigere Jobwechsel, und das klassische Angestellt-Sein ist nicht mehr so gefragt. Wir werden vor allem bei Personen im Alter 50+ einen Boom an Selbständigkeit sehen. Allenfalls auch gezwungen durch einen Jobverlust. Aber diese Menschen haben Fähigkeiten, die ihnen die Selbständigkeit ermöglichen. Selbständigkeit nimmt in der Schweiz weniger stark zu als im Ausland, da Schweizerinnen und Schweizer eher risikoavers sind. Selbständigkeit hat noch immer keinen guten Ruf. Die Angst vor dem Scheitern spielt da eine wichtige Rolle. Ich ziehe den Hut vor jedem, der sich selbständig macht. Ein kultureller Wandel braucht Zeit. Daher rege ich mich über die Lehrpläne auf, wenn ich meine Kinder sehe. Wir bilden immer noch für Angestellte in der Industrie aus. Selbständigkeit kommt im Unterricht nicht vor. Ein Versäumnis der Bildungspolitik.
Eine moderne Form der Selbständigkeit ist die Plattformarbeit. Welche Entwicklung erwarten Sie hier?
Wir waren vor elf Jahren die Ersten, die eine Sharing-Economie-Studie gemacht haben. Da hat sich einiges geändert. Stark wandeln werden sich Bereiche wie Übersetzungen oder Grafikdesign. Da kommt KI ebenso ins Spiel wie Plattformbetreiber. Plattformökonomie ist sehr spannend, aber in der Schweiz schwierig. Wer bietet seine Arbeit für 10 Franken pro Stunde an? Das ist vor allem für Erwerbstätige in Billiglohnländern interessant. Für sie ist das eine riesige Chance, für uns eine Gefahr. Bleiben wir bei den Übersetzungen: Die Preise in der Schweiz sind jenseits von Gut und Böse. Übersetzungsbüros werden sich warm anziehen müssen. Diese Jobs werden nicht überleben können. Da sind wir wieder beim Strukturwandel. Was macht ein Übersetzer oder Grafikdesigner, der hier lebt? Sie können nicht nach Indien auswandern. Sie müssen sich weiterentwickeln und weiterbilden.
Drohen hier vermehrt prekäre Erwerbsformen?
Plattformarbeit birgt dieses Risiko. Gerade bezüglich der Unterstellung in den Sozialversicherungen haben Fälle wie Uber gezeigt, dass die Situation nicht einfach ist. Zudem besteht zwischen den Dienstleistern auf den Plattformen ein Preiskampf.
Im Zusammenhang mit Teilzeit- und Plattformarbeit wird auch immer wieder die Mehrfachbeschäftigung genannt. Wird es künftig zur Regel, mehrere Arbeits- und Auftragsverhältnisse zu kombinieren?
In der Schweiz sehe ich nicht, dass wir in eine Situation geraten, in der eine Mehrfachbeschäftigung aus wirtschaftlicher Notwendigkeit für viele Menschen zur Regel wird, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Der Wohlstand und die sozialen Sicherungssysteme in der Schweiz bieten dafür eine solide Basis. Was allerdings zunehmen wird, ist die freiwillige Kombination von mehreren Tätigkeiten, insbesondere im Zuge einer stärkeren Verbreitung von Selbständigkeit und Freelancertätigkeiten. Viele Erwerbstätige werden neben ihrem Hauptjob in einem anderen Bereich aktiv sein – nicht unbedingt aus finanziellen Gründen, sondern weil sie ihr Hobby monetarisieren, eine Selbständigkeit aufbauen oder neue Fähigkeiten erwerben möchten. Dieses Modell eröffnet neue Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung und Diversifikation der Einkommensquellen. Gleichzeitig stellt es auch neue Herausforderungen an die soziale Absicherung und die Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit. Es wird entscheidend sein, dass die gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hier Schritt halten, um flexible Arbeitsmodelle zu fördern, ohne die soziale Sicherheit zu gefährden.
Flexibilität ist ein weiterer grosser Trend, der sich sowohl im Arbeitsort als auch in der Arbeitszeit niederschlägt. Wo liegen die Vor- und Nachteile der Flexibilität?
Für Arbeitnehmende sind die Vorteile relativ einfach auszumachen. Sie können selbst bestimmen, wann und wo sie mit der Arbeit anfangen und sie beenden. So kann ich die Arbeit besser in meinen gesamten Tag einbauen. Für Vorgesetzte ist diese Flexibilität eine Herausforderung. Es ist schwierig, ein Team von zehn Leuten zu managen, die alle arbeiten, wann und wo sie wollen. Die mögliche Flexibilität hängt aber auch von der Aufgabe ab. Wissensbasierte Tätigkeiten erlauben mehr Flexibilität. Gilt es – wie bei mir in der Forschung oder bei Ihnen im Journalismus – eine Deadline für eine Arbeit einzuhalten, ist es für das Unternehmen von geringerer Relevanz, wann und wo wir daran arbeiten. In Jobs mit Kundenkontakt braucht es hingegen verlässliche Zeiten und teilweise auch Anwesenheit. Besonders bei der Arbeitszeit muss man sich an die arbeitsrechtlichen Limiten halten. Diese könnten aber auch eine Reform gebrauchen.
Gibt es Settings in den Unternehmen, die die Leute eher ins Homeoffice treiben?
Wenn ich konzentriert arbeiten muss, ist das zu Hause einfacher als im Open-Space-Office. Diese grossen, offenen Büroflächen wurden lange als Trend gesehen, weil sie dank direktem Austausch die Innovation fördern sollten. Wenn da aber 20 Leute sitzen, tippen, reden und telefonieren, gibt es einen hohen Lärmpegel. Wir bei Deloitte haben uns bereits angepasst und Deep-Work-Zones geschaffen. Da darf nicht telefoniert werden. In Open-Space-Offices kann man auch beobachten, dass alle Kopfhörer aufhaben, um konzentriert zu arbeiten. Viele Office-Planer haben das noch nicht begriffen. Oft ist das Design wichtiger als die Funktion. Da bleiben dann oft nur noch Raumtrenner als hässliche Zwischenlösung.
Wie schätzen Sie die Nachfrage nach Coworking Spaces ein?
Die Nachfrage nach Coworking Spaces ist sowohl von Unternehmern als auch von Selbständigen getrieben, lässt sich aber schwer prognostizieren. Je mehr die Selbständigkeit zunimmt, umso mehr Coworking Spaces wird es geben. Zudem sind sie Teil des Remote-Trends. Firmen mieten in gewissen Regionen für kleine Teams fixe Plätze in Coworking Spaces. Das sieht man vor allem im angelsächsischen Raum. Aber auch einzelne Erwerbstätige, die keine Lust haben, immer zu Hause zu arbeiten, fragen solche Arbeitsplätze nach. Wenn sie zum Beispiel kein Extrazimmer fürs Homeoffice haben. Sie bieten auch eine Chance für Regionen, die etwas abgelegen sind. So können Einwohner angezogen werden, die nicht in die Grossstädte wollen. So sind diese Orte nicht nur Schlafstädte, von denen aus die Arbeitnehmenden pendeln, sondern sie werden vermehrt zu einem Arbeitsort.
Bezüglich Arbeitszeit wird vermehrt von der Vier-Tage-Woche gesprochen. Ist das ein Trend oder nur eine kurzfristige Erscheinung?
Ich glaube nicht, dass sich die Vier-Tage-Woche durchsetzen wird. Weniger arbeiten bei gleichem Lohn ist eine Illusion. Wenn das eine Firma anbieten kann, dann nur, wenn sie gewaltige Margen hat. Wird hingegen gleich viel Zeit auf vier Tage verteilt, wenn es der Job möglich macht, warum nicht. In der Zeiterfassung ist aber bereits heute Flexibilität bei vielen gegeben. Was Montag bis Donnerstag zu viel gearbeitet wird, wird am Freitag kompensiert. Bei kundenbezogenen Arbeiten ist das aber schwierig, wenn Termine am Freitag möglich sein müssen, wie bei einem Lift-Notfalldienst.
Take Aways
- Digitalisierung und Demografie sind die grossen Treiber der Veränderungen in der Arbeitswelt.
- Die Demografie mit der alternden Bevölkerung und der versiegenden Zuwanderung führt zum Arbeitskräftemangel, der eine grosse Herausforderung darstellt.
- Die Digitalisierung ist ein Weg zur Lösung. Sie ermöglicht flexibles Arbeiten und trägt zur Produktivitätssteigerung bei.
- Homeoffice und Remote Work sind aus Wissensberufen nicht mehr wegzudenken. Das wirkt sich auf die Arbeitsorganisation ebenso aus wie auf die Infrastruktur.
- Teilzeitarbeit nimmt weiterhin zu – verschärft aber den Arbeitskräftemangel und kann zu Vorsorgelücken führen.
- Selbständigkeit ist die Arbeitsform der Zukunft, in Teilen auch im Zusammenhang mit Plattformarbeit.