«Sicher nicht!», werden Sie sagen. Und sich überlegen, was die dumme Frage soll. Warum wohl fast alle Menschen der Welt die gleiche Reaktion auf diese Frage zeigen, haben drei Ökonomen untersucht. Der Türke Acemoglu, der Engländer Johnson und der Amerikaner Robinson haben für ihre Forschung dazu den Nobelpreis 2024 für Wirtschaft erhalten.
Warum ist Südkorea ein erfolgreiches Land, das seinen Bewohnerinnen und Bewohnern einen hohen Lebensstandard bieten kann? Und warum müssen hingegen die Menschen in Nordkorea in bitterster Armut leben? Es kann nicht die Religion sein, auch nicht die Kultur, nicht die Sprache, nicht die Geografie, nicht das Klima – in diesen Bereichen sind sich die beiden Staaten auf der koreanischen Halbinsel denkbar ähnlich. Es muss demnach etwas sein, was seit dem Koreakrieg 1950 und der Spaltung in Nord und Süd anders gelaufen ist. Die Nobelpreisträger haben dazu viele weitere Länder untersucht.
Die drei Ökonomen beweisen: Es sind die langlebigen und gut verankerten, demokratisch organisierten staatlichen und wirtschaftlichen Institutionen und Rahmenbedingungen, die matchentscheidend sind. Wirtschaftsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie machen es aus. Sie machen die Länder reich und schaffen Wohlstand für alle. Wirtschaftliche Mobilität und soziale Sicherheit bedingen einander. Reiche Eliten hingegen, die Staat und Wirtschaft immer zu ihrem eigenen Vorteil steuern, die Bevölkerung nicht an der Willensbildung und den Erträgen ihrer eigenen Arbeit teilhaben lassen, ernten dauernde Massenarmut – und Unzufriedenheit. «Warum scheitern Staaten?», so der Titel eines Buchs von Acemoglu. Diese Frage können wir dank der drei Herren nun klar beantworten.
Das heisst für die Zukunft der Welt aber nicht nur Gutes: Wenn Wirtschaftsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entscheidend sind, dann gibt es überall dort Probleme, wo dies nicht grundlegend verankert ist. Das autoritäre Regime in Russland startete nicht nur einen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat, sondern holt auch Soldaten aus Nordkorea nach Europa. Die russischen Familien opfern ihre Söhne, ihr Geld, ihre Reisefreiheit und erhalten dafür nichts, denn nur die Elite gewinnt. Und warum die Grossmacht China mit einer kommunistischen Parteielite mehr und mehr Probleme hat, wird jetzt auch ersichtlich. Landflucht, Jugendarbeitslosigkeit und ein schlingernder Immobilienmarkt: wenig Freiheit, wenig Rechtssicherheit, dafür eine kleine Machtelite mit vermeintlicher Superpower.
Was heisst das für die Schweiz? Wir wissen jetzt, dass unser wirtschaftlicher Erfolg eben auch auf Wirtschaftsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gründet. Unseren Vormüttern und Vorvätern gilt die Anerkennung für diese Institutionen. Unseren europäischen, liberalen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu sichern, lohnt sich also. Das Erreichte müssen wir verteidigen, wahren und klug weiterentwickeln – auch und gerade wenn wir an die Systeme der sozialen Sicherheit denken. Der Nobelpreis zeigt: Wirtschaftsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind keine parteipolitischen Slogans und Etiketten, es sind die Pfeiler des Wohlstands für alle. Wir wollen nicht in Nordkorea leben.