Überbrückungsleistungen oder Entlassungsrente?

Donnerstag, 29. Oktober 2020 - Gregor Gubser
National- und Ständerat haben sich im Juni 2020 auf ein Gesetz für Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (ÜLG) geeinigt. SVP-Vertreter sammelten Unterschriften für ein Referendum dagegen. Ein Überblick über das Gesetz und die Argumente der Befürworter und Gegner.

Im Fokus wird aufgezeigt, wie die Zusammenarbeit von jungen und älteren Mitarbeitenden gefördert und organisiert werden kann. Was aber, wenn ältere Mitarbeitende doch ihre Stelle verlieren? Zwar sind über 50-Jährige seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Jüngere; es fällt ihnen aber schwerer, eine neue Stelle zu finden (siehe Grafiken).[1] Finden sie länger keine neue Stelle, verlieren sie schliesslich den Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung und müssen ihr Vermögen aufbrauchen, die AHV-Rente vorbeziehen und häufig auch ihre Altersguthaben aus der 2. und 3. Säule antasten. Schliesslich müssen sie Sozialhilfe beanspruchen.

Um diesem Umstand zu begegnen, hat der Bundesrat im Herbst 2019 die Botschaft für ein Massnahmenpaket ins Parlament geschickt, die «Überbrückungsleistung für ältere Arbeitslose». Nach intensiven Beratungen im National- und Ständerat – das Geschäft musste gar in die Einigungskonferenz – stimmten die Räte am 19. Juni 2020 der Vorlage zu.
Die Massnahmen zur Verhinderung von Altersarmut setzen bei der Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit älterer Personen an, und zwar mit folgenden Regelungen:

  • Es besteht Anspruch auf eine kostenlose Standortbestimmung, Potenzialanalyse und Laufbahnberatung für Erwachsene über 40.
  • Bereits vorhandene berufsspezifische Kenntnisse werden in der beruflichen Grundbildung angerechnet.
  • Zusätzliche Integrationsmassnahmen wie Coaching, Beratung und Mentoring können genutzt werden.
  • Für ausgesteuerte Personen über 50 wird Zugang zu Bildungs- und Beschäftigungsmassnahmen der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren ohne zweijährige Sperrfrist gewährt.

Die Anspruchsvoraussetzungen für Überbrückungsleistungen (ÜL) knüpfen sich an mehrere Bedingungen:

  • Die Aussteuerung aus der Arbeitslosenversicherung (ALV) muss nach vollendetem 60. Altersjahr stattgefunden haben.
  • Es muss für mindestens 20 Jahre eine Versicherung bei der AHV bestanden haben, während derer ein Erwerbseinkommen von minimal 21 330 Franken pro Jahr erzielt worden ist, davon mindestens fünf Jahre nach dem 50. Altersjahr.
  • Das Vermögen muss kleiner sein als 50 000 Franken respektive 100 000 Franken bei Ehepaaren, selbstbewohntes Wohneigentum wird nicht berücksichtigt.Es darf kein Anspruch auf eine Altersrente der AHV oder eine Invalidenrente der IV bestehen.
  • Der Anspruch endet zum Zeitpunkt des Vorbezugs der Altersrente, wenn dann absehbar ist, dass ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen zur ordentlichen Altersrente besteht.

Berechnung der ÜL

ÜL werden gleich berechnet wie Ergänzungsleistungen (EL). Ihre Höhe entspricht der Differenz zwischen den anerkannten Ausgaben und den anrechenbaren Einnahmen. Eine Abweichung: Die ÜL beträgt maximal das 2.25-Fache des Betrags für den allgemeinen Lebensbedarf bei
den EL. Das sind aktuell 43 762 Franken für Alleinstehende respektive 65 644 Franken für Ehepaare.

Kosten und Finanzierung

Der Bundesrat schätzt die Kosten für das erste Jahr auf rund 20 Mio. Franken. Sie dürften sich ab 2027 bei rund 150 Mio. Franken pro Jahr stabilisieren. Die Überbrückungsleistungen werden aus allgemeinen Bundesmitteln finanziert. Die Kantone tragen die Vollzugskosten.

[1] Indikatoren zur Arbeitsmarktsituation älterer Arbeitnehmender 2016, Staatssekretariat für Wirtschaft Seco

Argumente für und gegen die Überbrückungsleistungen

Eine Gruppe von SVP-Exponenten hat erfolglos Unterschriften für ein Referendum gegen das Gesetz gesammelt. Sie sehen im ÜLG keine sinnvolle Unterstützung von älteren Arbeitslosen, sondern vielmehr eine «Entlassungsrente». Hier die Argumente der Befürworter und der Gegner der Vorlage.

Befürworter:
  • Ältere Arbeitslose drohen in die Altersarmut abzurutschen, weil sie ihr Vermögen aufbrauchen und vorzeitig die AHV-Rente beziehen und ihre Altersguthaben aus der 2. und 3. Säule antasten müssen.
  • Gemäss einer Studie ist nicht zu befürchten, dass sich ältere Arbeitslose weniger um eine Integration in den Arbeitsmarkt bemühen oder dass Arbeitgeber vermehrt ältere Mitarbeitende sozusagen in die ÜL entlassen.
Gegner:
  • Das ÜLG setzt falsche Anreize: Firmen werden weniger Skrupel haben, Mitarbeitende ab 58 Jahren zu entlassen, um sie der Arbeitslosenkasse und dann der ÜL anzuhängen.
  • Personen mit einem Vermögen von über 50 000 Franken und Ehepaare mit über 100 000 Franken müssen ihre Altersvorsorge erst aufzehren, bevor sie eine ÜL erhalten. Eigenverantwortlichkeit bei der Altersvorsorge würde dadurch diskreditiert.
  • Wer etwas für die älteren Schweizer Arbeitnehmenden tun will, der schiebt sie nicht in eine Rente ab, sondern gibt ihnen Arbeit.
  • Erst müssten die bestehenden Sozialwerke saniert werden, bevor ein neues geschaffen wird.

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