Forschende der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB haben Mitte September an einer nationalen Tagung in Bern in Anwesenheit von Wirtschaftsminister Guy Parmelin einen Trendbericht präsentiert und Lösungsansätze diskutiert.
Um eine Berufslehre erfolgreich mit einem eidgenössischen Berufsattest (EBA) oder einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) abzuschliessen, müssen die Lernenden das Qualifikationsverfahren (QV) bestehen. Das QV ist für die Qualitätssicherung in der beruflichen Grundbildung von zentraler Bedeutung. Seit einiger Zeit ist es aber auch Gegenstand intensiver Debatten, unter anderem wegen teilweise hoher Misserfolgsquoten.
Was zu häufigeren Misserfolgen im QV führen kann
Ein aktuell viel diskutiertes Thema ist, ob die QV sich in ihrer heutigen Form genügend an den beruflichen Handlungskompetenzen orientieren, etwa ob die schriftlichen Schlussprüfungen in Berufskenntnissen und in der Allgemeinbildung noch zweckmässig sind, um die relevanten Kompetenzen der Lernenden zu überprüfen. Das Schweizerische Observatorium für die Berufsbildung OBS EHB hat diese und weitere Fragen unter der Leitung von Prof. Dr. Lukas Graf im neuen Trendbericht untersucht.
Am Beispiel des Kantons Bern zeigt sich, dass ungenügende Prüfungsnoten in Berufskenntnissen mit 16 Prozent und in Allgemeinbildung mit 11 Prozent tatsächlich häufig sind. Diese Noten führen aber relativ selten dazu, dass jemand das QV insgesamt nicht besteht. Entscheidender ist die Note der praktischen Arbeit: Eine ungenügende Note führt fast immer zum QV-Misserfolg, da die praktische Arbeit sehr häufig zwingend bestanden werden muss.
Analysen schweizweiter Daten zeigen, dass das Risiko eines QV-Misserfolgs höher ist in Berufen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an schulisch schwächeren, männlichen Lernenden mit Migrationshintergrund und in Berufen mit tendenziell geringerer Ausbildungsqualität sowie in Berufen mit einer vorgegebenen praktischen Arbeit. Für die Qualität der Abschlussprüfungen ist entscheidend, dass die für den Beruf notwendigen Handlungskompetenzen in geeigneter Weise geprüft werden. Um zu gewährleisten, dass alle Lernenden unabhängig von ihrem gewählten Lehrberuf dieselben Chancen haben, das QV zu bestehen, sollten Lernende und Berufe bereits während der Ausbildung noch besser unterstützt werden. Dies mit dem Ziel, Probleme frühzeitig zu erkennen und anzugehen.
Das Potenzial von elektronischen Qualifikationsverfahren und KI
Von elektronischen Qualifikationsverfahren und künstlicher Intelligenz (KI) können sowohl Lernende als auch Prüfende profitieren. Der Einsatz digitaler Technologien ermöglicht einerseits realitätsnahe, handlungskompetenzorientierte Prüfungen und kann die Chancengleichheit unter Lernenden fördern. KI-gestützte Anwendungen können andererseits Prüfungsexpertinnen und -experten (PEX) dabei unterstützen, Prüfungen zu entwickeln und zu evaluieren. Um neue Technologien gezielt einsetzen zu können, benötigen Lehrpersonen, Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sowie PEX den Zugang zu adäquater Hard- und Software, Weiterbildungen und Möglichkeiten für den Erfahrungsaustausch.
Nachwuchs für Prüfungsexpertinnen und -experten sicherstellen
Jedes Jahr kommt eine grosse Anzahl geschulter PEX auf nebenamtlicher Basis zum Einsatz, um schweizweit mehr als 70’000 Lernende im QV zu prüfen. Diese Milizfunktion stützt sich auf das hohe Engagement erfahrener Berufsleute. Einzelne Berufe haben zunehmend Schwierigkeiten, genügend qualifizierte Personen als PEX zu gewinnen. Dies kann die Qualität und Durchführung der QV gefährden. Verschiedene Lösungsansätze bieten sich an. Sie müssen von den Verbundpartnern der Berufsbildung gemeinsam konkretisiert werden, um den Nachwuchs zeitgerecht in den verschiedenen Branchen sicherzustellen.
Herausragende Berufsbildungsprojekte mit dem «Enterprize» 2024 ausgezeichnet
Im Rahmen der Tagung fand auch die Verleihung des «Enterprize» 2024 an herausragende Projekte in der beruflichen Aus- und Weiterbildung statt. Unter dem Patronat von Bundesrat Guy Parmelin hat die SVC Stiftung für das Unternehmertum in Zusammenarbeit mit der EHB den Careum Verlag für sein Projekt «Chloé» ausgezeichnet; «Chloé» ist ein auf künstlicher Intelligenz basierender Lerncoach für Lernende. Der Preis ist mit 10'000 Franken dotiert. Der zweite Preis, dotiert mit 5'000 Franken, ging an das Resilienzprojekt des Universitätsspitals Zürich, das Lernende, die schwerstkranke Menschen pflegen, während ihrer Ausbildung unterstützt. Den erstmals ausgeschriebenen «Enterprize» International, ebenfalls mit 5'000 Franken dotiert, gewann das Projekt Velafrica, ein duales Berufsbildungsprogramm nach Schweizer Modell für Fahrradmechaniker/-innen in Burkina Faso.